Süddeutsche Zeitung

Viertel-Stunde:Die Eschen seiner Majestät

Im Schatten der Bäume im Park zwischen Brienner Straße und Ottostraße grummelte einst Franz von Pocci vor sich hin - denn direkt vor seinem Wohnhaus hatte die Stadt das erste öffentliche Pissoir aufgestellt

Glosse von Stefan Mühleisen

Die Maxvorstadt ist ein wunderschönes Stück Stadt, vollgestellt mit prächtigen historischen Bauten. Oder anders betrachtet: Der Stadtbezirk ist ganz schön zugebaut. Die lokale Politik kämpft buchstäblich um jeden Baum, was einer langen Tradition folgt. Ludwig I. plante und baute schon als Kronprinz an seiner Vision vom "Isar-Athen", wobei der Monarch durchaus ein prachtvolles, aber vor allem ein durchgrüntes Quartier im Sinn hatte. Ablesbar ist das heute noch an Münchens erster öffentlicher Grünanlage überhaupt: den Eschenanlagen am Maximiliansplatz.

Auf dem Gelände des späteren Maximiliansplatzes erstreckte sich damals der Dultplatz, eine öde Sandwüste, wo auch Militär aufmarschierte. Auf Geheiß seiner Majestät legte Friedrich Ludwig von Sckell von 1819 an zwischen Brienner Straße und Ottostraße einen Park an, als grüne Übergangszone zwischen Altstadt und der geplanten Stadterweiterung, die den Namen Maxvorstadt erhalten sollte. Der Nordteil mit dem Nornenbrunnen ist original erhalten, der Südteil geschrumpft durch den Nachtcafé-Anbau. Dort stehen heute Linden, im Norden blühen die namensgebenden Eschen. Die Bäume stammten damals aus der königlichen Baumschule im Englischen Garten; womöglich wurden sie wegen ihrer grazilen Gestalt ausgewählt, die mit der Architektur der Gebäude harmoniert. Ludwig I. hing jedenfalls sehr an ihnen und beackerte nach seiner Abdankung Bürgermeister Kaspar von Steinsdorf, das Areal nicht zu bebauen, wie ein Briefwechsel von 1860 belegt, den der ehemalige Bezirksausschusschef Klaus Bäumler zu Tage förderte. Steinsdorf entsprach der Bitte, "aus Pietät für die von Eurer Majestät geschaffenen Baumanlagen".

Zu dieser Zeit saß ein anderer Liebhaber der Anlage regelmäßig auf seiner gewohnten Bank im Schatten der Eschen und dürfte ziemlich oft grimmig auf sein Wohnhaus am Dultplatz Nr. 5 geschaut haben: der Dichter und Zeichner Franz von Pocci, der auch Zeremonienmeister unter Ludwig I. war. Die Stadt hatte ihm eine "neue Erfindung", wie er das nannte, buchstäblich vor die empfindliche Nase gesetzt: eines der ersten öffentlichen Pissoirs Münchens - und Pocci hatte sich bis dato erfolglos über den "übelen Geruch" bei der Stadtverwaltung beschwert. Jahrelang lässt Pocci nicht locker, lässt seine berühmte Beamten-Karikatur "Staatshämorrhoidarius" missvergnügt vor dem Häusl stehen, oder auch mit Kollegen hineintreten ("Und pisset jetzt nicht mehr im Frei'n, Verbietet's ja Moralität") - bis Pocci dann doch Gehör fand, das Pissoir 1863 abmontiert wurde.

Ein schönes Beispiel für erfolgreiches Bürgerengagement im 19. Jahrhundert, urteilt der ehemalige Stadtarchivleiter Michael Stephan in einem Aufsatz, der dieses "Detail zur Geschichte des historischen Grüns" ausgegraben hat. Er findet: Die kleine Geschichte rege zum Nachdenken über eine Neubenennung der kaum gebräuchlichen Bezeichnung "Eschenanlagen" an. Wie wär's mit "Staatshämorrhoidariusplatz"?

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SZ vom 28.11.2020
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