Süddeutsche Zeitung

Viertel-Stunde:Das pralle Leben in der Farbe Rot

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Im Norden der Stadt werden U-Bahnhöfe mit Denkmalschutz geadelt. Aber wie steht es mit jenen im Süden? Etwa mit dem Halt Machtlfinger Straße, gestaltet vom der Maler und Architekten Rupprecht Geiger, der in seinem langen Leben viele künstlerische Spuren in der Stadt hinterlassen hat

Kolumne von Jürgen Wolfram

Da staunt die Stadtgesellschaft nicht schlecht: Vier U-Bahnhöfe im Münchner Norden werden wegen ihrer künstlerischen Gestaltung und wegen ihres engen Bezugs zu den Olympischen Spielen 1972 unter Denkmalschutz gestellt. Die Wellen der Verwunderung über diese Adelung reichen bis Obersendling, wo man sich interessante Fragen stellt. Liegen unsere U-Bahn-Haltestellen nicht ebenso am Strang der Linie 3? Steht der Münchner U-Bahn-Bau nicht insgesamt im Zusammenhang mit den Spielen von damals? Und vor allem: Weist der U-Bahnhof Machtlfinger Straße etwa keinen gesteigerten künstlerischen Wert auf? Wer den unterirdischen Stopp jemals gesehen hat, dem dürfte die Antwort nicht schwerfallen. Denn hier hat der Maler und Architekt Rupprecht Geiger (1908-2009) eindrucksvolle Zeugnisse seines Schaffens hinterlassen. Es sind Rechtecke, Kreise, Geometrie in leuchtendem Acryl - ein Gratiserlebnis für den Fahrgast.

Rupprecht Geiger zählt zu den renommierten Künstlern der Stadt, bekannt für seine großformatigen, monochromen Farbflächen. Angetan hatte es ihm vor allem die Farbe Rot, sein "Lebenselixier". Davon kann man sich vielerorts überzeugen, zum Beispiel in Neuhausen, wo auf einer Wand des Hochschul-Foyers das "Große Rot mit Contrapunkt" prangt. Gleichwohl stammen auch das Werk "Gerundetes Blau" am Gasteig sowie eine monumentale Aluminium-Skulptur in Schwabing von Geiger. Farben zur Wirkung bringen und dabei vielseitig bleiben, lautete unverkennbar seine Schaffensmaxime. Es ist erst ein paar Wochen her, da würdigte das Lechner Museum in Ingolstadt die Werke Geigers und seines Künstlerfreundes Alf Lechner mit der viel beachteten Doppelausstellung "Rot X Stahl".

Präsent geblieben ist Rupprecht Geiger bis heute auch durch seine ehemaligen Atelierräume an der Muttenthalerstraße 26 in Solln, nicht allzu weit entfernt vom U-Bahnhof Machtlfinger Straße. Sie beherbergen heute das Archiv Geiger (www.archiv-geiger.de), das zu gewissen Zeiten - "Morgen Rot" und "Abend Rot" - öffentlich zugänglich ist, sich auch an Museumsaktionen beteiligt, Führungen veranstaltet und sogar ein kreatives Kinderprogramm auflegt. In dem Sollner Geiger-Bungalow erzählen Kleckse auf den Böden, fluoreszierende Pulver und eine Menge Malutensilien vom schaffensfreudigen Leben eines Virtuosen der Farben und Formen. Kein Wunder, dass schon zur Eröffnung des Ateliers vor zehn Jahren 800 Kunstinteressierte vorbeischauten.

Der Meister der Farbgebung ist 101 Jahre alt geworden - man kann dies auch interpretieren als klare Empfehlung an jedermann, künstlerische Leidenschaft zu entwickeln. Besonders produktiv war Geiger in den 1970er-Jahren, damals Kunstprofessor in Düsseldorf. Josef Beuys und Gerhard Richter kreuzten seinen Weg. An der Documenta in Kassel nahm er viermal teil. Ursprünglich Architekt von Beruf, entdeckte der gebürtige Münchner im Zweiten Weltkrieg seine Neigung zur bildenden Kunst. Wenn er Rot sah, erkannte er darin Energie, Potenz, Macht, Liebe, Wärme, Kraft. Das pralle Leben eben.

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SZ vom 30.04.2020
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