Vierjähriger angefallen:"Sie lügen doch!"

24-Jährige muss 600 Euro zahlen, weil ihr Hund ein Kind biss

Von Susi Wimmer

Manchmal wünscht man sich, eine Tarnkappe überziehen zu können, oder einen unsichtbar machenden Umhang, so wie Fantasy-Zauberer Harry Potter. Stephanie F. versucht das irgendwie: Gar nichts mit der Sache zu tun zu haben, und gar nicht am Amtsgericht sein zu müssen. Nein, ihr Hund könne in Ottobrunn kein Kind gebissen haben, weil sie zur Tatzeit zu Hause gewesen sei, sagt die 24-Jährige recht schnippisch. Doch die Frau mit den dunkellila Haaren kann weder die Zeugin, noch Richter Robert Grain täuschen. "Sie lügen doch, das merke ich", sagt er ihr auf den Kopf zu. Am Ende bleibt von Tarnung und Täuschung nichts mehr übrig. Die Fassade bröckelt und ein heulendes Häufchen Elend bittet um Entschuldigung.

Richter Norbert Grain ist Vernehmungsprofi. Er hat etliche Minderjährige befragt, die Opfer sexueller Gewalt wurden. In einem speziellen Vernehmungszimmer, damit die Opfer nicht vor Gericht aussagen und ihrem Peiniger erneut begegnen müssen. Grain spricht auch jetzt als Amtsrichter sanft und eindringlich mit Stephanie F., die wegen fahrlässiger Körperverletzung vor Gericht steht - und lügt, dass sich die Balken biegen.

Die Anklage wirft ihr vor, am 11. Januar nachmittags gegen 15.30 Uhr mit ihrem Hund an der Rembrandtstraße in Ottobrunn unterwegs gewesen zu sein. Dort soll das angeleinte Tier einen vierjährigen Buben in den Unterarm gebissen haben, die Hundehalterin sei anschließend einfach geflüchtet. "Mein Hund ist immer angeleint", sagt Stephanie F. trotzig. Und außerdem sei sie daheim gewesen. Der sanfte Ton des Richters ändert sich. Er wirft ihr vor, nicht die Wahrheit zu sagen, und fügt an: "Die Mutter des Kindes hat sie bei der Polizei unter acht Lichtbildern als Täterin identifiziert. Sie können sich jetzt zu der Schulklasse im Zuschauerraum setzen, wir holen die Mutter herein, und dann schauen wir, ob sie Sie erkennt."

"Ja gut, ich war es", gesteht die 24-Jährige genervt. Ihr Hund habe sich erschreckt, sei auf das Kind zugesprungen. Aber sie sei davon ausgegangen, dass der Bub nicht gebissen worden sei. "Dass ihnen die Mutter hinterhergerannt ist und geschrien hat, haben sie nicht bemerkt?", fragt Richter Grain sanft. Ja, irgendwas habe sie gehört, aber das könne nicht ihr gegolten haben, meint die Angeklagte. Grain insistiert weiter, und am Ende hat er das Geständnis. Ein ehrliches Geständnis. Die Mutter des Vierjährigen wird als Zeugin gerufen, sie erkennt die Hundehalterin, "damals waren ihre Haare allerdings blond". Sie erzählt, dass ihr Paul dank eines dicken Schneeanzuges nur zwei blaue Flecken am Unterarm erlitten habe. Schmerzensgeld möchte sie keines. Nur dass Stephanie F. in Zukunft anders reagiert. Die heult jetzt wie ein Schlosshund und entschuldigt sich unter Tränen.

Das Verfahren wird eingestellt, die 24-Jährige muss 600 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen. Sie nickt und versichert, das sofort zu tun. "Es gibt Leute hier, die sagen, dass sie selbstverständlich zahlen. Und dann tun sie es nicht", fährt Richter Grain mit lieblicher Stimme fort. "Wenn Sie nicht zahlen", säuselt er, und dann schlägt er wie aus dem Nichts mit der Hand mit voller Wucht auf den Richtertisch. Alle Zuhörer und die 24-Jährige fahren zusammen. "Dann verurteile ich Sie!"

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