Verschleierte Mängel in der Altenpflege:Pflege: Note 5

Das neue Bewertungssystem für Altenheime verschleiert eklatante Mängel in der Pflege. Trotz mangelhafter medizinischer Betreuung gibt es Traumnoten.

Sven Loerzer

Sechs der mehr als 60 Münchner Pflegeheime haben inzwischen Qualitätsnoten im Internet (www.pflegelotse.de) erhalten - doch die überwiegend guten und sehr guten Gesamtergebnisse werfen Fragen auf: Bieten die Heime wirklich optimale Pflege? Oder verschleiert die Systematik der Bewertung schlechte Ergebnisse in existentiellen Bereichen?

Verschleierte Mängel in der Altenpflege: Das neue Bewertungssystem von pflegelotse.de steht in massiver Kritik: Eklatante Mängel in der Pflege und der medizinischen Versorgung gehen unter - dafür bestimmen Nebensächlichkeiten die Gesamtnote.

Das neue Bewertungssystem von pflegelotse.de steht in massiver Kritik: Eklatante Mängel in der Pflege und der medizinischen Versorgung gehen unter - dafür bestimmen Nebensächlichkeiten die Gesamtnote.

(Foto: Foto: ddp)

Das St.-Josefs-Heim in Haidhausen zum Beispiel, das über 86 Plätze verfügt, kann sich über eine rechnerische Gesamtnote von 2,2, also ein "gut" freuen. Auch beim Blick auf die vier Bereichsnoten sieht es nicht schlecht aus: Pflege und medizinische Versorgung sind mit der Note 3,0 bewertet, der Umgang mit demenzkranken Bewohnern mit 2,0, die soziale Betreuung und Alltagsgestaltung mit 1,0 sowie Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene mit 1,4.

Medizinische Betreuung mangelhaft

Ein genauerer Blick auf die Einzelnoten im Qualitätsbereich 1 (Pflege und medizinische Versorgung) offenbart aber bei existentiell wichtigen Kriterien erhebliche Mängel: Die Stichprobe bei fünf Bewohnern, ob die erforderliche Vorbeugung gegen das Wundliegen erfolgt, bewertete der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Bayern mit der Note 4,8, eine Wunddokumentation erfolgt offenbar nicht (Note 5,0), die Behandlung der Wunden entspricht wohl kaum dem aktuellen Stand des Wissens (4,1), eine systematische Schmerzeinschätzung unterbleibt (5,0) ebenso wie eine Vorbeugung, um eine Verkürzung von Muskeln und Bändern zu verhindern, die zu einer Gelenkversteifung führt (5,0).

Dafür gibt es ganz viele Traumnoten in anderen Bereichen, etwa weil der Speiseplan gut lesbar ist, die Essensportionsgrößen sich an den Wünschen der Bewohner orientieren, "jahreszeitliche Feste" stattfinden und sich die Mitarbeiter regelmäßig in Erster Hilfe schulen lassen. Ähnlich beim Caritas-Altenheim St. Antonius: Zum Beispiel entspricht die Medikamentenversorgung nicht den ärztlichen Anordnungen (Note 5,0), ein Schmerzpatient bekam nicht die verordneten Medikamente (5,0) - doch die Gesamtnote liegt bei 2,4.

"Unsere Gesamtprüfung ist bedeutend detailgenauer als die Ergebnisdarstellung im Internet", erklärt Ottilie Randzio, Leitende Ärztin im MDK Bayern. Die zwischen den Leistungserbringern und dem Spitzenverband der Pflegekassen getroffene Transparenzvereinbarung zieht zur Notenbildung aber nur 82 Kriterien heran. "Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, damit der Verbraucher überhaupt Informationen bekommt." Die Erhebung müsse sicher verbessert werden, dazu laufe eine wissenschaftliche Begleitung, um "nachzujustieren". Nur bei einer Note von 1 bis 1,5 könne man davon ausgehen, dass in dem Heim keine Pflege erfolge, die zu Schäden bei Bewohnern führt.

Verbrauchern, die sich über die Pflegequalität informieren wollen, empfiehlt Randzio, jede einzelne Frage zum Pflegebereich anzuschauen. In den anderen Bereichen dagegen steckten viele Strukturfragen, mit denen ein Heim "relativ einfach punkten kann", so Randzio. Sie regt deshalb an, dass die Gesamtnote nie besser sein darf als die Note im Pflegebereich. Sebastian Groth vom Kreisverwaltungsreferat spricht sogar von Scheintransparenz: "Eine vermeintlich gute Gesamtnote suggeriert, in dem Heim stimmt alles." Münchenstift-Chef Gerd Peter urteilt daher vernichtend: "Eine grandiose Täuschung der Verbraucher. Sie entzieht jeder Argumentation, dass die Pflegebranche mehr Geld und mehr Personal braucht, den Boden."

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