Verpflegung mit Magensonde:Pflegeheime kassieren zu Unrecht ab

Bundesgerichtshof schiebt gängiger Praxis Riegel vor.

Von Sven Loerzer

Bewohner von Münchenstift-Pflegeheimen, die nicht einmal einen einzigen Bissen mehr essen können, bekamen bisher die Verpflegung trotzdem in Rechnung gestellt, meist mit Beträgen zwischen vier und fünf Euro pro Tag.

Doch mit dieser auch bei anderen Münchner Heimträgern üblichen Praxis ist nun Schluss: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil (III ZR 68/03) den Rückzahlungsanspruch einer Klägerin aus Baden-Württemberg wegen ungerechtfertigter Bereicherung des Heimträgers bestätigt. Der Mann der Klägerin war bis zu seinem Tod fast drei Jahre lang in einem Pflegeheim nur per Magensonde ernährt worden. Obwohl die Sondennahrung von der Krankenkasse bezahlt wird, berechnete der Träger die üblichen Verpflegungskosten.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung beendet ein Ärgernis, an dem sich Angehörige immer wieder stießen. Menschen, die durch die Magensonde ernährt werden, können ihr Essen weder riechen noch schmecken. Magensonden seien im Gegensatz zum zeitintensiven Essengeben per Löffel "nicht nur pflegeerleichternd, sondern auch pflegevermeidend", sagt der Pflegekritiker Claus Fussek. Den meist bettlägrigen Patienten fehle deshalb auch Zuwendung. In hilflosem Zustand müssen sie sich für eine Verpflegungsleistung abkassieren lassen, die nicht erbracht wurde. Dies mitanzusehen, machte Angehörige traurig und wütend zugleich.

Hein-Peter Horschke, dessen 84-jährige Mutter in einem Heim der gemeinnützigen städtischen Trägergesellschaft Münchenstift lebt, kämpft schon seit langem gegen die "rotzfreche Abzockerei". Seit dem Jahr 2001 erhält die alte Frau Sondennahrung. "Obwohl meine Mutter auf die Vollpension, bestehend aus Frühstück, Mittagessen, Nachmittagskaffee und Abendessen komplett verzichtet, und ihr die Sondennahrung zudem von ihrer Krankenkasse bezahlt wird, wird eine selbst geringe Kostenreduzierung abgelehnt", ärgerte sich Horschke.

Stattdessen hieß es mit dem Segen der Landespflegesatzkommission, bei den Pflegesätzen in den Heimen handle es sich um eine "Mischkalkulation", so dass Einzelrückvergütungen für nicht in Anspruch genommene Leistungen nicht erfolgen könnten. Die Heime beriefen sich obendrein auf einen höheren pflegerischen Aufwand bei der Sondenernährung. Beide Argumente ließ der BGH nicht gelten. Unter Verweis auf dessen Entscheidung hat Horschke gerade einen neuen Vorstoß unternommen und einen Teilerfolg erreicht.

Vom 1. März an verzichtet Münchenstift-Chef Gerd Peter darauf, bei Horschkes Mutter Verpflegungskosten zu verlangen. Wer ausschließlich und langfristig über die Magensonde ernährt wird, wie mehr als 100 der 2800 Münchenstift-Bewohner, dem werden nun 4,10 Euro pro Tag gut geschrieben. Der Betrag kann sich um einen Abschlag für Getränke in Höhe von 0,25 Euro mindern, erklärte Peter auf Anfrage der SZ. Abschläge auf die Erstattung gibt es auch bei den etwa 100 Bewohnern, die neben Sondennahrung Zusatzkost erhalten. Eine Rückvergütung für den Zeitraum vor dem 1. März lehnt Peter ab und verweist auf den Klageweg.

Der Rückerstattung für die Vergangenheit will sich die Arbeiterwohlfahrt anders als der städtische Heimträger Münchenstift dagegen nicht verschließen. Bei der Arbeiterwohlfahrt erhalten 66 von 900 Bewohnern ihre Nahrung ausschließlich über eine ärztlich verordnete Magensonde. Sie müssen vom 1. April an 4,50 bis 4,90 Euro pro Tag weniger bezahlen, erklärt Geschäftsführer Jürgen Salzhuber. Ohnehin sei auf Antrag auch schon bisher die "Rohverpflegungskostenpauschale" zum Teil zurückbezahlt worden.

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