Süddeutsche Zeitung

Verletzung nach Besuch auf Polizeiwache:Gewalt auf dem Revier

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Eine Dolmetscherin verbringt eineinhalb Stunden auf einer Polizeiwache am Münchner Hauptbahnhof. Als sie wieder rauskommt, hat sie zahlreiche Verletzungen. Nun gibt es zwei sehr unterschiedliche Versionen, was dort passiert ist.

Bernd Kastner

Es ist halb neun Uhr abends am Rosenmontag, als eine 59-jährige Frau die Polizeiinspektion im Hauptbahnhof betritt. Sie soll dolmetschen. Eineinhalb Stunden später verlässt sie die Wache wieder und geht schräg gegenüber in die Notfallambulanz des Elisenhofes. An ihrer Stirn hat sie ein großes Hämatom. Es werden Fotos gemacht, ein Arzt stellt weitere Verletzungen fest: Schädelprellung, Verstauchung von Handgelenk und Knie, Schleudertrauma, Schürfwunden, Hämatome am Oberarm.

Was ist passiert am 7. März 2011 auf der Wache? Die Schilderungen weichen stark voneinander ab. Die Frau behauptet, sie sei ohne Grund misshandelt und erniedrigt worden von überforderten Beamten. Die Polizei wiederum wirft der Frau vor, sich Anweisungen widersetzt und sich selbst ihre Verletzung zugefügt zu haben. Die Kripo ermittelt - gegen die Frau und gegen die eigenen Leute.

Den Anfang nahm diese mysteriöse Geschichte auf einer Baustelle in Schwabing, am Freitag des Faschingswochenendes. Schwarzarbeitsfahnder stießen auf zahlreiche rumänische Arbeiter, die laut Zoll unter unmenschlichen Bedingungen lebten und um viel Lohn gebracht wurden. Franka Schneider (Name geändert) übersetzte ihre Vernehmung. Die gebürtige Rumänin spricht hervorragend Deutsch, lebt seit fast 40 Jahren in Deutschland und arbeitet als Dolmetscherin. Weil die Bauarbeiter ihren Chef wegen Betrugs anzeigen wollten, gingen sie am Rosenmontag zur Inspektion der Landespolizei im Bahnhof.

Die Version von Franka Schneider liest sich so: Der zuständige Beamte der Wache habe keine Lust gehabt, so viele Anzeigen aufzunehmen. Mit dem Handy eines der Männer habe er die Dolmetscherin angerufen und beschimpft, weil sie die Männer zu ihm geschickt habe und so viel Arbeit mache. Schneiders Erwiderung, nicht sie, sondern die Bahnhofsmission habe die Rumänen auf die Wache geschickt, habe den Beamten nicht interessiert. Weil die Polizei aber von einer angeblichen Messerstecherei unter den Bauarbeitern erfahren habe, seien die beiden Opfer der Gewalttat abends erneut auf die Bahnhofs-Wache bestellt worden.

Gegen 20.30 Uhr habe einer der beiden Bauarbeiter Frau Schneider angerufen und sie zum Dolmetschen auf die Wache gebeten. Dort sei die Stimmung schon sehr angespannt gewesen, zunächst habe sie aber noch normal mit einem Polizisten gesprochen. Irgendwann sei der Beamte plötzlich wütend geworden und habe Schneider über die Zoll-Vernehmung befragt, die sie gedolmetscht hatte. Franka Schneider aber habe auf ihre Schweigepflicht verwiesen. Der Polizist sei die ganze Zeit sehr hektisch gewesen, sei aufgesprungen und hin- und hergerannt. Ein anderer Beamter habe Schneider angeschrien und ihr erneut vorgeworfen, so viel Arbeit zu machen.

Den Arm nach hinten gedreht?

Zudem hätten die beiden Polizisten sie der Mitwisserschaft an einer Straftat beschuldigt, da ihr angeblich Einzelheiten der Messerstecherei bekannt seien. Weil sie dies nicht anzeigte, habe sie sich strafbar gemacht. Schneider habe betont, dass sie nur als Dolmetscherin fungiere, nichts verbrochen habe, und deshalb nicht bereit sei, ihre Personalien anzugeben. Als sie die Inspektion habe verlassen wollen, habe ein Polizist dies verhindert und sie angeschrien: Sie solle die beiden Rumänen zu einer Aussage bewegen.

Nach etwa einer Stunde sei die Situation vollends eskaliert. Ein Polizist habe nach der Handtasche der Frau gegriffen. Sie habe sich weiter geweigert, die Tasche samt Ausweis herauszugeben. Daraufhin habe ein Beamter ihr den Arm nach hinten gedreht, so dass sie vor Schmerz in die Knie gegangen sei. Der Beamte habe sie wieder in Höhe gezogen und mit dem Kopf gegen eine Tür gestoßen. Im Polizeigriff sei sie zwei weitere Male mit der Stirn gegen Wände gestoßen worden.

Wegen der Aufregung habe Frau Schneider mehrmals dringend gebeten, zur Toilette zu dürfen. Die Polizisten hätten ihr dies verweigert und sie, höhnisch grinsend, erst losgelassen, als sie bereits eingenässt habe. Dass sie nicht aufs Klo gelassen worden sei, empfindet Franka Schneider als extrem entwürdigend. Soweit die Version der Frau.

Polizeisprecher Wolfgang Wenger schildert die eineinhalb Stunden ganz anders: Frau Schneider sei von Anfang an aufgebracht und renitent gewesen. Schon am Mittag des Rosenmontag habe sie nicht einsehen wollen, dass eine Strafanzeige wegen Lohnbetrugs bei der Polizei überflüssig sei, weil der Zoll der Sache bereits nachgehe. Am Abend hätten die Beamten dann laut Wenger den Eindruck gewonnen, dass die Dolmetscherin die beiden rumänischen Arbeiter beeinflusse, um deren Aussage zu verhindern. Und das, obwohl es sich bei der Messerstecherei um versuchte Tötung handle.

Zudem seien Schneider offenbar Details der tätlichen Auseinandersetzung bekannt gewesen: Sie habe einem Polizisten einen Zettel hingehalten, auf dem der Name des mutmaßlichen Täters gestanden habe. Trotz mehrmaliger Aufforderung habe sie sich geweigert, den Zettel herauszugeben. Auch ihre Personalien habe sie nicht verraten, so Wenger.

Deshalb habe sich der Polizist gezwungen gesehen, nach mehrmaliger Androhung, unmittelbaren Zwang anzuwenden: den Polizeigriff. Die Beule an der Stirn rühre daher, dass die Frau sich gewehrt habe und dabei gegen eine Wand gekracht sei. Sie habe wild um sich geschlagen und gekratzt. Zwei hinzugerufene Beamtinnen der ebenfalls am Bahnhof ansässigen Bundespolizei bestätigten diesen Verlauf: Franka Schneider habe sich nicht beruhigen lassen. Was es mit dem angeblich verweigerten Toilettengang auf sich habe, sei der Polizei derzeit noch unklar, so Wenger.

Schneider wiederum versichert, dass sie keinen Zettel mit einem Täternamen vorgezeigt habe. Sicher ist, dass die Dolmetscherin nach ihrer ärztlichen Untersuchung an jenem Abend noch zum Polizeipräsidium ging, um die Bahnhofs-Polizisten anzuzeigen. Weil Schneider die letzte S-Bahn bekommen musste, war keine Zeit mehr für eine ausführliche Befragung. Eine Polizistin aber machte Fotos der Stirnverletzung.

Vorladung von der Mordkommission

Gehört hat Franka Schneider dann lange nichts mehr von der Polizei. Erst nach Wochen habe sich ein Polizist telefonisch bei ihr gemeldet, knapp zwei Monate nach dem verhängnisvollen Abend im Bahnhof kam eine schriftliche Vorladung: Frau Schneider solle als "Beschuldigte" aussagen. Man ermittle wegen Widerstands, Körperverletzung, Strafvereitelung und Beleidigung. Die Vorladung kam von der Mordkommission, dort laufen die Ermittlungen in Sachen Messerstecherei. Zugleich beschäftigt sich das Kommissariat für Amtsdelikte mit den Vorwürfen gegen die Polizisten.

Franka Schneider hat inzwischen über ihre Anwältin Angelika Lex Strafanzeige gegen die Polizisten gestellt. Zu ihrem Erlebnis auf der Wache soll sie nun Ende Juni aussagen. Polizeisprecher Wenger begründet die schleppende Bearbeitung mit der Überlastung nach dem Mord an den beiden Mädchen in Krailling. Zunächst wolle man die Vorwürfe gegen die Frau klären, dann sich mit deren Beschuldigung gegen die Beamten beschäftigen, dies sei üblich.

Welche Version stimmt? Selbst wenn man unterstellt, dass die der Polizei wahr ist, bleiben Fragen: Warum gelingt es vier Beamten nicht, mit einer Frau so umzugehen, dass diese unverletzt bleibt? Irgendetwas scheint schiefgelaufen zu sein, wenn eine Frau, die nicht als Beschuldigte kam, sondern als Dolmetscherin, mit gewaltiger Beule an der Stirn und mit nasser Hose die Wache verlässt. Noch immer, gut drei Monate später, ist sie krankgeschrieben und leidet unter starken Kopfschmerzen.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2011
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