Als Michael Altinger abmoderiert und „noch einen schönen Abend“ gewünscht hat, sind die Fotografen dran, und prompt setzt ein wildes Hin und Her auf der Bühne des Lustspielhauses ein. Gewinner des Bayerischen Kabarettpreises in fünf Kategorien gilt es so zu drapieren, dass sie sich die Trophäen nicht gegenseitig ins Gesicht rammen. Das dauert. Vom Bühnenrand aus schauen sich Laudatoren wie Martina Schwarzmann oder Marc-Uwe Kling das Tohuwabohu entspannt an.
Nur einer schaut, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen: Peer Steinbrück. Mit aufeinander gepressten Lippen und Finster-Miene steht er da, Hände in der Anzughose, nicht so recht wissend, wohin mit sich. Es hilft nichts, man muss ihn retten – und ihm Fragen zur Politik stellen. Wobei: Eine Frage langt, und schon bricht er los, der Wortschwall des Ex-Kanzlerkandidaten. Debattenstoff bietet sein Fach ja zur Genüge. Kernsatz der Alles-muss-raus-Tirade: „Die Qualität der Politik korrespondiert nicht mit den Anforderungen.“ Will sagen: alles Versager. Nur gut, dass Steinbrück (SPD), mittlerweile auch schon 77, weiß, was gegen die Misere zu tun ist. Dazu später mehr.
Was ihn aus dem Rheinland zur Verleihung eines Kabarettpreises (zu sehen am Donnerstag, 7. November, 21 Uhr, im BR) nach Bayern verschlägt? Nun, seit einer Weile darf sich der einstige Finanzminister als Teilzeit-Kabarettist bezeichnen, und das kam so: Im Juli 2017 war Steinbrück mit dem nun von ihm als Hauptpreisgewinner laudatierten Florian Schroeder auf Kabarett-Tournee gegangen. Das ungleiche Duo entstand, nachdem Schroeder das Steinbrück-Zitat „Hätte, hätte, Fahrradkette“ als Titel für sein neues Buch genutzt hatte und der Politiker dafür eine Flasche Rotwein forderte. Schroeder lud ihn in seine Sendung ein, betitelte ihn als „Nachwuchs-Kabarettisten Peer Steinbrück – demnächst auf Tour auf Kleinkunstbühnen in ganz Deutschland“ – was Steinbrück spontan zusagte. So isser, der Peer: immer für eine Überraschung gut. Unvergessen, wie er als SPD-Kanzlerkandidat für das SZ-Magazin den Stinkefinger in die Kamera hielt.
An diesem Abend zeigen alle Daumen nach oben. Was nicht nur am 25. Jubiläum des Preises und dem damit verbundenen Weißt-du-noch-Rückblick auf Preisverleihungen an Legenden wie Hüsch, Hube, Hildebrandt, Beltz, Polt oder Kreisler liegt, sondern auch an den Geschichten und Liedern der Preisträger und Elogen-Beauftragten. Martina Schwarzmann erinnert sich an eine Begegnung vor 22 Jahren im Zug von München nach Augsburg, als sie Claudia Schlenger und Hanns Meilhamer aka Herbert & Schnipsi ihre Bewunderung aussprach. Geändert habe sich daran nichts, sagt sie über die Unverwüstlichen, die seit fast einem halben Jahrhundert ein Bühnen-Paar bilden: „Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der es euch nicht gegeben hat.“ Die beiden Mittsiebziger, Gewinner des Ehrenpreises, danken der Jury für das Timing: „Dass wir das noch erleben dürfen!“ Außerdem seien sie im November vor genau 50 Jahren ein Paar geworden. Mei.
Schwer erklärbar dagegen, warum Bodo Wartke erst jetzt mit dem Musikpreis ausgezeichnet wird. Vielleicht liegt’s daran, dass der Mittvierziger unverschämterweise immer noch wie Mitte zwanzig aussieht und man daher denkt: Hat noch Zeit mit dem Preis. Dabei gibt es wohl niemanden in der Republik, der so großes Musik-Kabarett drauf hat wie Zungenbrecher-Bodo. Im Lustspielhaus reicht ihm zur Demonstration seiner Preiswürdigkeit ein Lied zur Lage der Nation, in dem alles drin steckt, was das Leben in diesem Land gerade nur bedingt lebenswert macht.
Senkrechtstarterin Ana Lucia Cruz wundert sich
Wohl dem, der den Humor noch nicht verloren hat. Auch die Gewinnerin der Kategorie Senkrechtstarter hat trotz ihrer erst 25 Jahre so einiges hinter sich, spricht über Mobbing und Depression, tut das aber auf eine derart erfrischend lakonisch-saloppe Weise, dass man gar nicht anders kann als lachen. Ana Lucia Cruz Saco Lesevic heißt die junge Frau, peruanische Wurzeln, aufgewachsen in München, jetzt Berlinerin. Glaubt man Lobrednerin Teresa Reichl, ist sie „als Baby nicht mit Milch, sondern mit Witzen gefüttert worden“. Die Geehrte wundert sich derweil: „Ein Preis fürs Witze erzählen? Fühlt sich illegal an.“ Auch Kreator-Preisträger Phil Laude, ein Drittel des ehedem sehr beliebten Youtube-Trios Y-Titty, staunte über den Anruf der Jury: „Unsere Karriere beruht größtenteils auf Pimmel-Witzen.“
So viel zu sehen war, hat Peer Steinbrück auch in diesem Moment mit keiner Wimper gezuckt. Später berichtet er von der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“, deren Auftaktveranstaltung kommende Woche mit Thomas de Maizière, Andreas Voßkuhle und Julia Jäkel beim Bundespräsidenten in Schloss Bellevue stattfinden werde, treu dem ungeschriebenen Gesetz: einmal große Bühne, immer große Bühne.