Literatur:Im Faulschlamm der Gesellschaft

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Gabriela Alemán ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Ecuadors - erstmals ist nun ein Roman von ihr auf Deutsch zu lesen. (Foto: Jimmy Mendoza)

Der Augsburger Maro-Verlag hat den hochpolitischen Roman "Poso Wells" der ecuadorianischen Schriftstellerin Gabriela Alemán ins Deutsche übersetzen lassen - und ist dafür mit einer "Verlagsprämie des Freistaats Bayern 2021" ausgezeichnet worden.

Von Antje Weber, Augsburg

Das Grauen hat einen Namen: Poso Wells. So heißt ein fiktives Stadtviertel der schwülen Stadt Guayaquil, das Gabriela Alemán als Romantitel gewählt hat. Poso Wells liegt am "Ende der Welt, im stinkigsten und verkommensten Loch der tropischen Pazifikküste Amerikas. Kilometerweit Behausungen, aus Brettern, Schilfrohr und Betonsteinen gezimmert, über Abwasser und Faulschlamm. Pfähle aus Mangroven, die im weichen, schlickigen Boden versinken, unsicherer Grund, in dem sich Risse bilden bei jeder Flut und jeder Heckwelle der Schiffe auf ihrem Weg in den Hafen von Guayaquil." Bienvenidos in einem bitterbösen Roman über Ecuador!

Gabriela Alemán ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen des kleinen südamerikanischen Landes - in Deutschland allerdings kennt die heute 53-Jährige kaum jemand. Das könnte und sollte sich nun ändern: Der Augsburger Maro-Verlag hat erstmals einen Roman von ihr ins Deutsche übersetzen lassen. Das ist alles andere als selbstverständlich, denn es ist "superschwer" für einen kleinen Verlag, ein solches Projekt mit einer unbekannten Autorin ohne Förderung zu stemmen, wie die Verlegerin Sarah Käsmayr sagt.

Doch zum Geschick kam doppeltes Glück: Auf "Poso Wells", in Ecuador bereits 2007 erschienen, war der Verlag zum einen durch die Übersetzerin Irene Reinhold aufmerksam gemacht worden - und deren Übersetzung wurde 2021 über ein Programm des Deutschen Übersetzerfonds im Rahmen von "Neustart Kultur" der Bundesregierung gefördert. Zum zweiten überzeugte das Buch, mit einer kraftvollen Umschlag-Illustration der Kolumbianerin María Jimena Sánchez Z. übrigens auch sehr liebevoll gestaltet, noch eine Jury des Freistaats Bayern: Maro erhielt dafür eine mit 5000 Euro dotierte "Verlagsprämie 2021". Sarah Käsmayr ist über die beiden Auszeichnungen selbstredend "sehr begeistert" - die Kosten eines solch aufwendigen Projekts bekomme ein Independent-Verlag wie Maro allein mit dem Verkauf der Bücher sonst nicht herein.

Der Maro Verlag hat den Roman "Poso Wells" mit einer kraftvollen Umschlag-Illustration der Kolumbianerin María Jimena Sánchez Z. liebevoll gestaltet. (Foto: Jimmy Mendoza)

Und es wäre schade, wenn es dieses Buch nicht auf Deutsch gäbe. "Poso Wells" ist zwar eine anspruchsvolle Lektüre - oder, wie Käsmayr sagt: "Es ist nicht Mainstream." Wer sich auf den mit kurzen Sequenzen und harten Schnitten arbeitenden Roman einlässt, erfährt jedoch eine Menge darüber, wie ein Entwicklungsland wie Ecuador funktioniert. Die an reale Ereignisse und Orte angedockte Groteske mit fantastischen Elementen ist in vielerlei Hinsicht politisch. Die Autorin hatte das Werk ursprünglich als Fortsetzungsroman angelegt, wie sie in einem neuen Nachwort erklärt. Es wollte ihn in Ecuador jedoch keine Zeitung drucken - wahrscheinlich war allen das Thema zu heiß. Denn Alemán findet in ihrem Roman deutliche Bezüge zu den Präsidentschaftswahlen 2006 - und macht einen der Kandidaten überaus lächerlich.

In einer an schwarzem Humor nicht zu überbietenden Einstiegsszene lässt sie diesen Kandidaten im elenden Stadtviertel Poso Wells einfliegen. Der in der Hitze schwitzende Mann hat ein weiteres Problem: Er muss sich erleichtern, versucht das mangels besserer Gelegenheit per Rinnsal durch die Hosenbeine zu lösen und steht bald in einer Pfütze. Das allein wäre noch nicht so schlimm, wäre nicht das Kabel des Mikrofons, das er in der Hand hält, provisorisch mit einem Starkstrommast verbunden. "Ganz schlechte Kombination", schreibt Alemán.

Korruption, Frauenhass und Gewalt sind wiederkehrende Elemente

Nach dem spektakulären Tod des Kandidaten geht die Handlung erst richtig los. Ein Journalist spielt dabei eine investigative Rolle, Korruption, Frauenhass und Gewalt sind wiederkehrende Elemente. Die reale Umweltzerstörung durch Bergbaufirmen im Intag-Tal findet ebenso Eingang in den Text wie eine surreale Gruppe blinder Männer, die in Tunneln im Untergrund haust und Frauen entführt - Alemán spielt damit ebenso wie mit dem Romantitel auf den Science-Fiction-Autor H.G. Wells und dessen Erzählung "Das Land der Blinden" an.

Nichts ist gut in der komplexen, kaputten Gesellschaft, die Alemán schildert, wäre da nicht auch immer wieder die Solidarität einzelner Menschen zu spüren. "Diese Welt ernährt sich von jenen, die ins Schlachthaus kommen und jenen, die ihnen dabei zusehen", heißt es einmal bitter. An einer anderen Stelle fragt jemand: "Wenn man die Dinge vergisst... Ist es dann so, als wären sie nie passiert?" Nein, antwortet Gabriela Alemáns Roman indirekt, sie sind dann leider trotzdem passiert und wirken untergründig fort. Umso wichtiger ist es, dass eine Schriftstellerin wie sie, dass ein Verlag wie Maro dafür Sorge tragen, dass gewisse Dinge eben nicht vergessen werden.

Gabriela Alemán: Poso Wells. Aus dem ecuadorianischen Spanisch übersetzt von Irene Reinhold. Maro-Verlag , 160 Seiten, 20 Euro.

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