Verkehrsüberwachung:Polizei sammelte ausländische Raser im "Polen-Ordner"

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Bei der Verkehrspolizei standen manche Raser besonders im Fokus. (Foto: Claus Schunk)

Wie bekleidet müssen Frauen auf einem Kalenderblatt sein? Und darf die Polizei Verkehrssünder in einen "Polen-Ordner" einsortieren? Polizeipräsident Hubertus Andrä plagt sich mit Geschmacksfragen.

Von Bernd Kastner

Geschmack ist gewöhnlich nicht das wichtigste Kriterium bei der Polizeiarbeit. Jüngst aber haben sie im Präsidium an der Ettstraße solche Fragen diskutiert: Wie bekleidet müssen Frauen auf einem Kalenderblatt sein? Und darf die Polizei polnische Verkehrssünder in einen speziellen "Polen-Ordner" einsortieren? Hubertus Andrä, Polizeipräsident, gibt nun die Geschmacksrichtung vor: Das geht gar nicht.

Anlass sind ein Frauen-Po und ein Busen, jeweils spärlich bis gar nicht textil bedeckt. Die Fotos hingen neben dem Papst, genauer: im Flur des ersten Stocks der Verkehrspolizeiinspektion Verkehrsüberwachung in der Bad-Schachener-Straße, jener VPI-VÜ, wo aktuell zwei Beamte im Verdacht stehen, Akten von Alkoholfahrten manipuliert zu haben. Der bayerische Papst hängt dort eingerahmt, weil Motorrad-Polizisten ihn bei seinem München-Besuch eskortierten. Als Erinnerung ließ sich Benedikt mit ihnen fotografieren.

Daneben hängt ein Kalender, den ein Beamter für das Jahr 2014 zusammengestellt hatte. Er zeigt viele Fotos mit vielen Beamten, bloß das August-Blatt, das ist anders. Man sieht Uniformierte, wie sie im Strandkorb Pause machen, und drei Polizisten stehen im Wasser der Ostsee und zeigen ihre Muskeln - vor Jahren beim G8-Einsatz in Heiligendamm. Das August-Blatt zieren aber auch zwei andere Strand-Fotos: Auf einem ein gebräunter Frauen-Po, bekleidet mit einem Stringtanga, auf einem anderen eine Gruppe von Frauen im Sand sitzend, oben herum spärlich bis nicht bekleidet. "Es ist Sommer . . . die VPI-VÜ fährt in den Urlaub", steht auf dem Kalenderblatt.

Sexistisch? Ach wo!

Ist diese Fotokombination nun Abbild des sozialen Lebens einer tollen Truppe? So sehen das viele, vor allem wohl auf der VPI-VÜ, wo sich angeblich keine Kollegin je beklagt habe. Sexistisch? Ach wo! Auch in der Ettstraße fragt sich mancher, ob das denn schlimm sei.

Durchgeblättert hat den Kalender jetzt auch Hubertus Andrä. "Das geht ihm zu weit", gibt Polizeisprecher Thomas Baumann seinen Präsidenten wieder. "Das will er nicht." Demnächst werde er allen Inspektionsleitern erklären, was an Polizeiwänden hängen darf und was nicht.

Vielleicht reden sie dann auch über den Umgang mit Polen. Auch dazu liefert die VPI-VÜ den Anlass, und auch dabei hat sich niemand was gedacht, zwei Jahre lang. Im Erdgeschoss der Inspektion stand im Regal hinterm Tresen, wo die Bürger ihre Anliegen vortragen, ein Aktenordner. Und auf dessen Rücken war in großen Lettern mit Filzstift geschrieben: "POLEN".

Thomas Baumann wägt jedes Wort, denn er weiß, wie pikant die Causa ist angesichts der deutsch-polnischen Vergangenheit. Hinter dem "Polen-Ordner" stehe ja ein "prinzipiell" sinnvolles Anliegen, das aber sei schlecht umgesetzt. In dem Akt nämlich hat die Verkehrspolizei Autofahrer mit polnischem Kennzeichen gesammelt, die in München zu schnell gefahren waren und von einer stationären Radaranlage geblitzt wurden. Nun ist es so, dass Ausländer in Deutschland, mit Ausnahme der Österreicher, keine Bußgelder zahlen müssen, wenn sie nicht persönlich angehalten werden. Ihre Blitz-Fotos werden aussortiert, denn es gibt keine staatlichen Übereinkommen, um das Geld einzutreiben.

100 Raser waren im "Polen-Ordner" registriert

In der Inspektion stand deshalb der "Polen-Ordner". Die Beamten hatten sich geärgert über die vielen polnischen Raser, also hat einer einen Aushang gemacht, oben drauf das Inspektionswappen: "Liebe Kollegen, nach teils massiven Verkehrsverstößen von polnischen Kraftfahrzeugführern kümmere ich mich um die Fahrzeugführer. Ich habe hierzu einen Akt erstellt, in dem bekannte und unbekannte polnische Fahrzeugführer mit ihren Taten erfasst werden."

Anfang 2013 haben sie die Sammlung gestartet, manuell. "Solltet ihr einen polnischen Fahrzeugführer kontrollieren, könnt ihr immer (. . .) nachfragen, ob der Kontrollierte eine offene Rechnung hat." An die 100 Raser seien registriert gewesen, berichtet Baumann und betont, dass zwischendurch auch Rumänen, Bulgaren und Slowaken dabei gewesen seien. Zuletzt aber nur noch Polen.

In der "Schuldnerliste" waren die Raser erfasst mit Automarke, Geschlecht, Tempo et cetera. Es gab die Spalte "Besonderheiten" mit Stichworten wie "Brille" oder "Wiederholungstäter". Und die Spalte "Verjährung!", in rot, weil solche Bußgeldsachen nach drei Monaten verjähren. "Viel Erfolg" wünschte auf seinem Aushang der Kollege von der polizeilichen "Rotlicht"-Gruppe dann noch.

In der Ettstraße leuchtete das rote Licht erst jetzt auf. Ein Akt nur für Polen, auf einer deutschen Polizeiinspektion? In der VPI-VÜ hatte man kein Gefühl dafür, dass so ein Akt nach Diskriminierung klingt. "Inakzeptabel" sei das, sagt Sprecher Baumann. "Die Sensibilität war nicht vorhanden."

Unzufrieden ist das Präsidium auch, weil manuell, also altmodisch gearbeitet wurde, alles andere als effektiv und professionell. Wenn, dann solle man das auf technisch moderne Beine stellen, bayernweit. Andrä will das demnächst anstoßen, damit alle säumigen Ausländer erfasst werden, dann aber IT-basiert.

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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