Verkehrsprojekte in München:Planung nach Bauchgefühl

MVG-Spiel

Welche Linie darf's denn sein? Beim MVG-Brettspiel "Erfahre München" können sich Hobbyverkehrsplaner verwirklichen.

(Foto: oh)
  • Rechnet sich die Verlängerung der U 5 nach Pasing? Ist der Ausbau der U 4 nach Englschalking sinnvoll? Das weiß niemand genau, denn verlässliche Untersuchungen gibt es dazu nicht.
  • Die neue Rathauskoalition kümmert das wenig - sie will ihre Lieblingsprojekte dennoch vorantreiben.

Von Dominik Hutter

Die Koalitionäre im Münchner Rathaus fackelten nicht lange: "Die U-Bahnlinie 5 wird vom Laimer Platz nach Pasing verlängert", steht in dem im November eingereichten gemeinsamen Antrag von CSU und SPD. Begründung: "Die starken Fahrgastzuwächse im Münchner Nahverkehr lassen auch für den Abschnitt Laim-Pasing Wirtschaftlichkeit erwarten." Lassen erwarten. Man weiß es also nicht, lautet der einzig logische Schluss, und so ist es auch:

Für die auf mehr als 300 Millionen Euro geschätzte Trasse gibt es keine aktuelle Fahrgastprognose, keine Untersuchung über die Auswirkungen im Gesamtnetz und keine Wirtschaftlichkeitsberechnung, im Fachjargon: standardisierte Bewertung. Der Antrag der Großkoalitionäre lässt dennoch keinerlei Zweifel oder Unsicherheiten erkennen. Die U 5 soll gebaut werden. Ohne Wenn und Aber.

U-Bahn-Röhren sprießen wie Schwammerl nach Regen

Die U 26 ist schon einen Schritt weiter. Für die geplante West-Ost-Trasse durch den Münchner Norden, die die U 2 mit der U 6 verbinden könnte, haben Experten mit viel gutem Willen einen Kosten-Nutzen-Faktor von 0,3 errechnet. Das ist horrend schlecht - es bedeutet, dass jeder in den Bau investierte Euro einen volkswirtschaftlichen Nutzen von 30 Cent hat.

Ein Verlustgeschäft also, mit jedem Euro werden 70 Cent verbrannt. Fördergelder aus staatlichen Nahverkehrsetats gibt es nur, wenn der Faktor mindestens 1,0 beträgt. Die schwarz-rote Rathausmehrheit hat daraus eine gewagte Konsequenz gezogen: Die Strecke bleibt Bestandteil der Verkehrsplanungen für den Münchner Norden.

In Nahverkehrskreisen herrscht längst das große Staunen, wie im Rathaus Verkehrspolitik betrieben wird. Erst gab es jahrelang nahezu Stillstand, jetzt plötzlich sollen teure U-Bahn- und Straßenröhren sprießen wie die Schwammerl nach tagelangem Regen im Wald. Und das oft ohne jede fachliche Expertise. "Mehr Rationalität und weniger Hemdsärmeligkeit" wünscht sich daher Paul Bickelbacher, der Verkehrssprecher der grünen Stadtratsfraktion, von den Großkoalitionären.

Auch Experten aus der Verwaltung, von der MVG wie vom MVV, wundern sich, auf welcher Grundlage neuerdings Strecken geplant werden. Ein "Wunschkonzert" sei das, attestiert ein Planer. Vor allem, wenn man den immer teurer werdenden Unterhalt für die schon bestehenden Bauten miteinbeziehe. Speziell bei der U-Bahn müssen in den kommenden Jahren Milliarden für Tunnelsanierungen und neue Züge ausgegeben werden.

Geld spielt offenbar keine Rolle

Dennoch spielt Geld bei der Verkehrsplanung offenbar keine Rolle mehr: U 4 nach Englschalking, U 5 nach Pasing, die neue Innenstadtstrecke U 9, vielleicht die U 26, dazu bis zu drei neue Straßentunnel am Mittleren Ring und - als Billigheimer unter den Projekten - die Tram-Westtangente durch die Fürstenrieder Straße. Ganz zu schweigen von der kilometerlangen Untertunnelung der S 8 im Münchner Osten, die die Stadt aus eigenen Kassen schultern will.

Vom Bund, dem einstigen Hauptfinanzier des Nahverkehrsausbaus, ist dabei nicht mehr viel zu holen. Der für den Stadtverkehr wichtigste Etat, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG), läuft 2019 aus - trotz der langen Planungszeiten gerade für U-Bahnen gibt es noch immer kein Nachfolgemodell. Dafür ist das bis 2019 noch vorhandene Geld bereits mehrfach verplant. München hat sich deshalb für die U 5 etwas ausgedacht, was nicht nur bei den Verkehrsministerien in München und Berlin, sondern auch in anderen deutschen Kommunen für misstrauische Blicke sorgen dürfte: Die Strecke soll notfalls ohne Zuschüsse, also allein von der Stadt finanziert werden. Wer ko, der ko, lautet die Botschaft, das reiche München kommt auch ohne Almosen aus. Das hat den großen Vorteil, dass der Kosten-Nutzen-Faktor ausgeblendet werden kann, der Voraussetzung für Geld aus dem GVFG-Topf wäre.

Baukosten auf Kante genäht

Denn im Falle Pasings ist es keineswegs sicher, dass die Marke von 1,0 bei der Kosten-Nutzen-Analyse erreicht wird. Eine wesentliche Rolle bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung spielen Fahrtzeitgewinne und Umsteiger vom Auto auf den ÖPNV. Dafür ist Pasing, das schon heute mit am besten erschlossene Stadtteilzentrum außerhalb der Innenstadt, nicht gerade prädestiniert. Fast 900 Regional- und S-Bahn-Züge rollen pro Tag zwischen Pasing und Altstadt - eine Größenordnung, von der Moosach, Feldmoching oder Neuperlach trotz der dortigen U-Bahnen nur träumen können.

Dazu kommen Trambahnen und Busse. Da die U-Bahn obendrein langsamer ist als die S-Bahn und für die Fahrgäste aus der Region nur mit Umsteigen erreichbar wäre, halten es Verkehrsexperten für ziemlich wahrscheinlich, dass der Betrieb dieser Strecke auf Dauer defizitär ist. Und was in der Diskussion kaum noch eine Rolle spielt: Die Verlängerung der U 5 gefährdet die Wirtschaftlichkeit der nahezu parallel verlaufenden zweiten S-Bahn-Stammstrecke. Deren Kosten-Nutzen-Faktor ist wegen der immens hohen Baukosten ohnehin schon auf Kante genäht.

U 4 ist auch keine Cash-Cow

Stirbt aber das aktuell wichtigste Nahverkehrsprojekt Münchens, ist der Ausbau des gesamten S-Bahn-Systems erst einmal für viele Jahre gelähmt - das kann auch das Rathaus nicht wollen. Wer annimmt, der Freistaat würde sich nach einem Scheitern des Tunnels mit Feuereifer auf den Ausbau des Südrings stürzen, träumt diesen Traum vermutlich in einem der vielen Expresszüge gen Flughafen, die nach dem Scheitern des Transrapids so rasch und entschlossen auf die Schiene gesetzt wurden.

Auch die U 4 nach Englschalking ist nicht zwangsläufig eine Cash-Cow. Sie lohnt sich vermutlich erst dann, wenn im Nordosten der Stadt ein neues Stadtviertel entstanden ist. Wie das aussehen soll, wann es losgeht und wie viele dort wohnen? Bislang weiß das niemand, aber die U 4 soll trotzdem möglichst rasch her. So steht es im CSU-SPD-Kooperationspapier.

Dabei hat die Stadt inzwischen seit vielen Jahren keine U-Bahn mehr gebuddelt, die Fachkompetenz für die komplizierten Bauwerke droht bereits verloren zu gehen. Am Mittwoch soll der Stadtrat über eine Vorlage von Baureferentin Rosemarie Hingerl abstimmen, zusätzliche Planstellen für das "ambitionierte Programm zum Ausbau der U-Bahn" zu schaffen. Fünf Profis, deren Pensionierung in den kommenden Jahren bevorsteht, sollen ihre Nachfolger noch anlernen können. Dass die Stadt ausreichend Planer in ihren Reihen hat, um die vielen neuen Tunnelprojekte auch baureif zu kriegen, ist trotzdem mehr als zweifelhaft. Das Rathaus wird Prioritäten setzen müssen. Welche die richtigen sind, ist auch unter Verkehrsexperten umstritten. U 4, U 5 oder U 26 stehen bei den meisten jedoch nicht an vorderster Stelle.

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