Verkehrsplanung in der Innenstadt:Debatte um autofreien Vorplatz am Hauptbahnhof

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So sieht der Entwurf für den Vorplatz und die Empfangshalle des neuen Hauptbahnhofs aus: mit vielen Fußgängern, aber ohne Autos. (Foto: DB Station & Service AG/Architekten Auer Weber)
  • Sollen auf dem Areal vor dem geplanten Hauptbahnhof Autos fahren dürfen oder nicht? In dieser Frage sind SPD und CSU so tief gespalten, wie bei kaum einem anderen Thema. Nur in einer Sache sind sich alle einig.
  • Letztlich dürften die Grünen mit ihren Stimmen dafür sorgen, dass sich ihr früherer Koalitionspartner SPD mit der autofreien Variante gegen die CSU durchsetzt.

Von Andreas Glas, München

Mitten in der Debatte stand Dieter Reiter auf, quetschte sich durch die Stuhlreihe, spazierte an der Pressebank vorbei und blieb am Eingang zum Sitzungssaal stehen, wo ein Miniatur-Modell des neuen Hauptbahnhofs aufgestellt war. Er machte zwei Schritte nach rechts, legte den Kopf schief und begutachtete die Nordseite, ging wieder ein paar Schritte nach links und schaute sich die Südseite an. Dann beugte er sich über den Bahnhofsvorplatz, machte ein Foto mit dem Smartphone, schaute sich das Bild an und grinste zufrieden. Wenn das Gesicht des Oberbürgermeisters sprechen könnte, es hätte in diesem Augenblick gesagt: Ihr könnt gern Pläne schmieden, liebe CSU, aber am Ende, ätsch, da habe ich sowieso die Mehrheit auf meiner Seite.

Was die Mehrheit will, war nicht zu überhören, als die Stadträte am Mittwoch über den Neubau des Hauptbahnhofs debattierten. Sie will, was auch die Architekten des Miniaturmodells wollen: einen autofreien Bahnhofsvorplatz. Um "Räume erlebbar zu machen" und "eine Verknüpfung zur Innenstadt" zu schaffen, sagte SPD-Stadtrat Christian Amlong. Was freilich nur die halbe Wahrheit war, denn im Kern ging es im Stadtrat nicht um ästhetische Fragen, sondern um die politische Glaubensfrage, wie viel Autoverkehr es in Zukunft in der Innenstadt noch geben soll. Und nebenbei, klar, ging es darum, wer in der Rathauskoalition die Hosen anhat.

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Bald ein Jahr arbeitet das Bündnis aus SPD und CSU zusammen, aber selten trugen die Parteien einen Konflikt so ungeniert aus wie bei der Mittwochsdebatte um den neuen Hauptbahnhof. "Ich prophezeie Ihnen", drohte Walter Zöller (CSU) in Richtung SPD-Fraktionsbank, "das wird eine reine Konfliktzone zwischen öffentlichem Personennahverkehr, Fußgängern und Radfahrern." Immer wieder blickte Zöller auf die Projektion an der Wand des Sitzungssaals, auf das Bild eines Bahnhofsvorplatzes ohne Autos, dafür mit drei Trambahnspuren und "unglaublich vielen Fußgängern, die da rumwuseln", wie Zöller es beschrieb. Bei so viel Kampfzone, sagte er, "könnte man die Autos auch gleich drinlassen". SPD-Stadtrat Amlong konterte mit dem Vorwurf, die CSU sei "in einer anachronistischen Ideologie verfangen".

Warum sich die SPD auch ohne die CSU durchsetzen könnte

Michael Kuffer (CSU) bezeichnete einen autofreien Vorplatz als "Humbug" und kritisierte, dass ein Bahnhof "ein Ort für Reisende ist und nicht für Spaziergänger". Ernsthaften Beistand bekam die CSU nur von der Bürgerlichen Mitte, doch für eine Mehrheit wird das nicht reichen, wenn der Stadtrat Ende April endgültig über die Bahnhofspläne abstimmt. Letztlich dürften die Grünen mit ihren Stimmen dafür sorgen, dass sich ihr früherer Koalitionspartner SPD mit der autofreien Variante gegen die CSU durchsetzt. Grünen-Stadträtin Sabine Nallinger jedenfalls stellte klar, dass sie die Bedenken der CSU nicht teile.

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Zu deren Bedenken gehört auch, dass der Bahnhof für ältere und behinderte Menschen schlechter erreichbar sein und Chaos im Autoverkehr entstehen könnte, wenn es nur noch im Norden und im Süden Zufahrtswege gäbe. Das Planungsreferat hält die CSU-Argumente für unbegründet, gibt aber zu, ein Verkehrskonzept erst noch erarbeiten zu müssen. Fest steht laut Referat, dass der Taxiverkehr auch dann "bestens abgewickelt werden kann", wenn die Stellplätze am Vorplatz wegfallen. Weil dort keine Fahrräder mehr abgestellt werden sollen, plane man zudem weitere Abstellplätze in unterirdischen Parkhäusern.

Immerhin sind sich alle Stadträte einig, dass dort, wo heute der Starnberger Flügelbahnhof steht, ein 75-Meter-Hochhaus gebaut werden soll. Über die Fassadengestaltung soll eine Beratergruppe aus Stadträten und Architekten entscheiden. Und noch eine Gewissheit gibt es: Der Bahnhof wird auch gebaut, wenn keine zweite S-Bahn-Röhre kommt.

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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