Verkehr:Wie München dem Verkehrskollaps entgehen kann

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Verkehr staut sich auf dem Mittleren Ring in München. (Foto: Matthias Balk/dpa)
  • Der zunehmende Verkehr ist eine der großen Herausforderungen der rasant wachsenden Stadt.
  • OB Dieter Reiter wollte deswegen von Politikern und Experten hören, welche Ideen es gegen überlastete Straßen und überfüllte Bahnen gibt.
  • Weniger Autos, mehr Raum für Radfahrer und neue Ideen für den öffentlichen Nahverkehr - das sind die Lösungen der Experten.

Von Andreas Schubert

Wie sähe wohl ein Haus aus, das so aufgebaut ist, wie es derzeit europäische Städte sind? Es hätte eine riesengroße Garage, in die mehrere Autos hineinpassen würden, dafür aber winzige Zimmer, in denen sich die Bewohner zusammenquetschen müssen. Der Grundriss, den Stefan Bendiks vom niederländischen Planungsbüro Artgineering zeigt, wirkt komplett absurd. Er soll aber verdeutlichen, dass der öffentliche Raum in Städten wie München ebenso absurd gestaltet ist. Die Verkehrsplanung der vergangenen Jahrzehnte hat dem Auto so viel Platz eingeräumt mit Fahrspuren und Parkplätzen, dass für den Menschen selbst, für den der öffentliche Raum da sein soll, immer weniger Platz übrig geblieben ist.

Bendiks ist der erste Referent der Stadtratsanhörung am Mittwoch im Rathaus, zu dem nicht nur ein Großteil des Stadtrats gekommen ist, sondern auch eine Menge Zuhörer. Denn das Thema polarisiert seit Langem. Die Verkehrsprobleme haben ein Ausmaß angenommen, das - so die Meinung von Bendiks und seinen Nachrednern - ein dringendes Gegensteuern verlangt. Aber wie soll das gehen? Zum Beispiel, indem man den Radverkehr fördert.

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Für Bendiks ist dies eine simple Logik: Einen Radschnellweg zu bauen, der Stadt und Umland verbindet, ist billiger, als eine Autobahn zu verbreitern. Gleichzeitig bringe es viele Verkehrsteilnehmer dazu, aufs Auto zu verzichten. Bei einer Umfrage in den Niederlanden hätten 67 Prozent der Befragten angegeben, dass Radfahren glücklich macht. Gleichzeitig sind dann auch die Autofahrer zufriedener, weil sie schneller vorankommen.

Freilich sind das Überlegungen, die man nicht einfach eins zu eins auf München übertragen kann. Hier ist so vieles im Argen, wie Thomas Feig, Hauptabteilungsleiter Straßenverkehr im Kreisverwaltungsreferat, feststellt, dass die klassischen Methoden der Verkehrssteuerung, etwa die Optimierung der Ampelschaltungen, nicht mehr ausreichen, um den Kollaps zu verhindern. Jeder Verkehrsteilnehmer unternehme pro Tag im Durchschnitt 3,5 Fahrten. Dazu kommen auch viele Pendler, die immer weitere Wege nach München auf sich nehmen. Sie sind auf Straße und Schiene unterwegs - und schon jetzt sind die Verkehrsnetze zeitweise am Morgen zu 100 Prozent ausgelastet.

Wenn sich nichts ändere, so die Prognose, werde das im Jahr 2030 dauerhaft der Fall sein, also den ganzen Tag Hauptverkehrszeit herrschen. Dann werde die Stadt auch nicht mehr in der Lage sein, die notwendigen Verkehre abzuwickeln, also zum Beispiel Rettungsdienste und Lieferverkehre. "Der Unmut wächst", sagt Feig. Andere Städte wie Stockholm oder London setzten auf Mautsysteme, um die Zufahrten zu den Städten zu begrenzen, in Singapur sei sogar die Menge der Fahrzeuge begrenzt, das heißt: Nur wenn eine Lizenz frei wird, darf ein neues Auto zugelassen werden.

Verschiedene Alternativen zum Auto

Für München schwebt dem KVR etwas anderes vor: "Angebotsorientiertes Vorgehen", nennt dies Feig. Man brauche praktikable und erschwingliche Alternativen zum Auto. Und hier sind die Überlegungen im Prinzip nichts Neues, einiges wird bereits umgesetzt: Es brauche einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, man müsse mehr Schnittstellen schaffen, um verschiedene Arten der Fortbewegung zu kombinieren; das wären mehr Park-and-ride-Plätze, mehr Bike and ride und - derzeit noch nicht sehr populär - Park-und-Mitfahrangebote.

Weitere Handlungsansätze, die ebenfalls schon verfolgt werden, sind etwa die Ausweisung von Fahrradstraßen, die Öffnung von Einbahnstraßen für Radler, neue Mobilitätsstationen wie etwa an der Leopoldstraße, die Carsharing, Bikesharing und den ÖPNV kombinieren. Das Ganze müsse dann natürlich mit moderner Technologie wie Apps so vernetzt werden, dass die Bürger die Angebote auch finden und so verstärkt nutzen.

Man müsse, sagt Feig, "dem Stillstand eine flächensparende Mobilität entgegensetzen". Diesen Ansatz verfolgt auch das Planungsreferat, das zusammen mit BMW die Inzell-Initiative steuert. Diese setzt sich für die intelligente und effiziente Nutzung des öffentlichen Raums ein. Auch hier geht es zum Beispiel darum, den Autoverkehr zu reduzieren, etwa indem die oft lange Suche nach Parkplätzen mit einem zeitgemäßen Parkraummanagement überflüssig gemacht wird.

Für Ingo Wortmann, Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), sollte das lieber gestern als heute passieren: "Auch wir freuen uns nicht über Staus", sagt er. Denn die immer wieder von Politikern formulierte Forderung nach schnellen Maßnahmen, den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern, sei nicht so einfach. "Wenn wir dem Stadtwachstum folgen wollen und sehr schnell neue Angebote schaffen wollen, müssen wir das an der Oberfläche tun", sagt Wortmann. "Wenn wir sehen, an der Oberfläche ist kein Platz, kommen wir automatisch zu Umverteilungsdiskussionen."

Umverteilung heißt in diesem Fall: separate Busspuren. Etwa 50 hätte die MVG auf der Wunschliste. Doch ohne den privaten Autos Platz wegzunehmen, sind die nicht zu realisieren. Und auch im Untergrund habe er "keine Glücksgefühle", sagt Wortmann. Momentan sehe er keine großen Reserven mehr bei der MVG. "Wir werden auf der U-Bahn den Zweiminutentakt realisieren", sagt er. Mehr gehe nicht, allein schon wegen der Haltezeiten der Züge an den Bahnsteigen. "Wenn eine U-Bahn steht, steht auch die dahinter", so der MVG-Chef. "Wenn man mehr Kapazitäten ins System gibt, steigt nicht automatisch die Leistungsfähigkeit."

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Zudem sei das U-Bahn-System in die Jahre gekommen und müsse saniert werden: Stromschienen seien auf andere Takte bemessen, daher komme es immer wieder zu Kurzschlüssen. Man könne aber nur unter rollendem Rad sanieren, weshalb sich Bauzeiten, wie am Sendlinger Tor, in die Länge ziehen.

Für Tram und Bus gelte derzeit: An den Kreuzungen und Knotenpunkten sei die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht. Ein drittes Trambahngleis am Hauptbahnhof sei nur ein "Tropfen auf den heißen Stein". Es gehe nun darum, innerstädtischen Verkehr zu begrenzen. "Wir schleifen die meisten Fahrgäste durch die Innenstadt", sagt Wortmann. Dabei wollten längst nicht alle Passagiere wirklich dorthin. Man brauche deshalb neue Tangenten oder Ringsysteme.

Für Neubaumaßnahmen und Neuanschaffungen will die MVG bis zum Jahr 2030 sechs Milliarden Euro ausgeben - größter Posten wäre da der Bau der Innenstadtlinie U 9. Zum Paket gehören aber auch die Tram-West- und Nordtangente und die Verlängerung von U-Bahn-Linien. "Wenn man in einer wachsenden Stadt wie München den ÖPNV ausbauen will, muss man das langfristig mit Schienenbahnen machen." Für schnelles Reagieren würden neue Buskonzepte helfen, etwa neue Expresslinien.

Autonomes Fahren wird getestet

Im Frühjahr startet die MVG erste Tests mit autonomem Fahren und wird Buchungssysteme und Software ausprobieren. Autonome Shuttles, die der Nutzer etwa per App anfordern kann, wären laut Wortmann etwa in Räumen und zu Zeiten interessant, wo sich ein Linienbetrieb sonst nicht lohnt. Mobilitätsplattformen wie eine App für alle Angebote (Taxi, Carsharing, Park and ride, ÖPNV) sind deshalb auch im Sinne der MVG. "Unsere Zielrichtung ist nicht mehr von Haltestelle zu Haltestelle zu denken, sondern von A nach B", so Wortmann.

Kritik übt der MVG-Chef an der "standardisierten Bewertung" von Kosten und Nutzen neuer Projekte, die für die Zuteilung öffentlicher Fördergelder entscheidend ist. Für wachsende Städte mit enormen Mobilitätsproblemen wie München tauge diese nichts. Ein Wiener Kollege habe ihm gesagt: Wenn es in Österreich diese Bewertung gäbe, hätte man keinen Kilometer U-Bahn gebaut.

© SZ vom 08.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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