Verkehr:KVR-Chef fordert schnellere Weiterentwicklung des Radverkehrs

Radfahrer auf der Leopoldstraße in München, 2017

Entlang der Leopoldstraße können Radler auf einen eigenen Weg ausweichen, doch das ist längst nicht bei allen stark befahrenen Straßen der Fall.

(Foto: Florian Peljak)
  • Der Ausbau des Wegenetzes geht KVR-Chef Thomas Böhle nicht schnell genug.
  • In der schnell wachsenden Stadt gebe es auf den Straßen "jetzt schon großteils chaotische Verhältnisse und massive Platzprobleme".
  • Um die Verkehrswende zu schaffen, kann sich Böhle vorstellen, einen eigenen Verkehrsreferenten zu schaffen.

Von Thomas Anlauf

Wenn Thomas Böhle morgens zu seinem Arbeitsplatz an der Lindwurmstraße fährt, nimmt er fast immer sein schwarzes Trekkingrad. "Weil es am praktischsten ist", sagt der Chef des Kreisverwaltungsreferats (KVR).

Zu der Expertenrunde im Verkehrszentrum zur Frage, ob Radverkehr "Chefsache" sei, radelt Böhle am Donnerstagabend selbstverständlich ebenfalls. Auf dem Podium betont er dann, dass er mit der Situation für Radler in München eigentlich "gar nicht so unzufrieden" sei. Und schiebt als Begründung nach: "Weil ich ein wenig ängstlicher Mensch bin."

Böhles Bekenntnis ist bemerkenswert, bedeutet es doch im Umkehrschluss, dass ängstlichere Naturen durchaus unzufrieden sein dürften mit der Sicherheitslage der Radler in der selbsternannten Radlhauptstadt. Deshalb wird der KVR-Chef in der Expertenrunde, zu der die Umweltorganisation Green City und der Fahrradverband ADFC eingeladen hatten, auch schnell ziemlich deutlich: "An einer massiven Förderung des Radverkehrs führt kein Weg vorbei", sagt er.

Denn in der schnell wachsenden Stadt gebe es auf den Münchner Straßen "jetzt schon großteils chaotische Verhältnisse und massive Platzprobleme". Allein die Tatsache, dass jährlich immer mehr Münchner aufs Fahrrad umsteigen - im Jahr 2002 betrug der Anteil der Radler am Gesamtverkehr noch zehn Prozent, im kommenden Jahr könnten es bereits 20 Prozent Radler bei stark steigender Bevölkerungszahl sein -, bedeutet für Böhle, dass der Radverkehr "viel mehr bei der Verkehrsplanung berücksichtigt werden muss".

Sein Referat, das vor allem für die Sicherheitsaspekte und die verkehrsrechtlichen Fragen zuständig ist, müsse bei der Umsetzung von fahrradfreundlicheren Straßen "relativ kleinteilig vorgehen". So wird derzeit an der Schellingstraße eine "grüne Welle" für Radfahrer getestet, auch ein Abbiegepfeil für Radler wird nun geprüft. Am Mittwoch hat der Stadtrat beschlossen, an zehn Plätzen feste Pump-Stationen zu installieren, um Radlern bei Reifenpannen zu helfen. Das meint Böhle mit kleinteilig.

Dabei kann er durchaus Fortschritte beim Radverkehr vorweisen. So gibt die Stadt jährlich neun Millionen Euro für den Ausbau des Radnetzes aus. München ist mit mittlerweile 60 ausgewiesenen Fahrradstraßen die Nummer eins in Deutschland. Außerdem wünscht sich Böhle, dass er schon bald seine Verkehrsüberwacher auf dem Fahrrad losschicken kann, damit diese sich "um parkende Autos auf den Radwegen kümmern".

Um die Verkehrswende zugunsten von Radlern, Fußgängern und öffentlichem Nahverkehr schneller zu schaffen, kann sich der Kreisverwaltungsreferent durchaus vorstellen, in München einen eigenen Verkehrsreferent zu schaffen. Denn bislang müssen sich beim Thema Radverkehr fünf Referate untereinander absprechen. Das führe unweigerlich zu Reibungsverlusten, hat Böhle erfahren.

In dieser Hinsicht sind viele andere Städte längst weiter. In Hamburg wurde vergangenes Jahr ein Bündnis für den Radverkehr geschlossen. Die hauptamtliche Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue kann seither direkt mit den zuständigen Stellen und auch mit Bürgermeister Olaf Scholz über den weiteren Ausbau des sternförmigen Radverkehrsnetzes in der Hansestadt verhandeln.

Böhle kritisiert "das geringe Tempo bei der Weiterentwicklung des Radverkehrs"

"Ich kann Wege verkürzen, dadurch bekommt das Thema eine ganz neue Dynamik", sagt Pfaue. In Hamburg werden derzeit 15 Millionen Euro jährlich in den Radverkehr gesteckt, schließlich hat man an der Elbe ein hochgestecktes Ziel: Der Anteil der Radler soll von zwölf Prozent im Jahr 2008 auf 25 Prozent in den 2020er-Jahren anwachsen.

In Wien sind zwar noch nicht so viele Radler wie in Hamburg und München unterwegs, allerdings gebe es dort seit einigen Jahren "ein stetes Ringen um nachhaltige Mobilität", sagt der Wiener Radverkehrsbeauftragte Martin Blum. In der österreichischen Hauptstadt soll bis zum Jahr 2025 insgesamt 80 Prozent des Verkehrs umweltverträglich sein, also per Rad, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Dazu muss nicht nur die Infrastruktur aus- und umgebaut werden, auch das Serviceangebot wird ständig verbessert. So gibt es in Wien 41 000 Rad-Abstellplätze, das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

In München kritisiert derweil KVR-Chef Böhle "das geringe Tempo bei der Weiterentwicklung des Radverkehrs". Er sagt jedoch, das Tempo gebe letztlich der Stadtrat vor. Erst vor wenigen Tagen wurden dem Gremium von der Verwaltung "zwei Verbesserungen für die Lindwurmstraße vorgelegt", die seien jedoch vertagt worden. Dabei sei die Lindwurmstraße "wirklich ein Problem". Thomas Böhle, der wenig ängstliche Berufsradler, meidet die Straße, obwohl sie direkt an seinem Büro vorbeiführt.

20 Prozent

könnte der Anteil der Münchner Fahrradfahrer am Gesamtverkehr 2018 erreichen. Noch ist das eine Schätzung, aber wenn die Hürde genommen würde, wäre das eine Verdoppelung des Radverkehrs innerhalb von 16 Jahren. Die absolute Zahl der Radler hat sich sogar mehr als verdoppelt, denn im selben Zeitraum stieg die Einwohnerzahl in München um etwa 300 000 Menschen auf nun bald 1,6 Millionen.

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