Verkehr im Münchner Süden:"Chaos von vorn bis hinten"

Bei einer Veranstaltung der CSU protestieren die Bürger heftig. Sie haben Angst vor Autolawinen und befürchten, dass die Stadt ihr Wachstum nicht in den Griff bekommt

Von Jürgen Wolfram, Solln

Reden die Leute im Münchner Süden über den Verkehr auf ihren Straßen, geraten sie schnell in Fahrt. Diese Erfahrung hat die CSU jetzt bei einer Veranstaltung in Solln gemacht. Ein Echo zwischen Zorn und Verzweiflung zeigte den Stadträten und Bezirksausschuss-Vertretern, wie die Anwohner selbst das Thema des Abends ("Ertrinkt der Münchner Süden im Verkehr?") beantworten würden: Das Fragezeichen könne man sich schenken, das Kind sei längst in den Brunnen gefallen. Vor allem die Anwohner der Liesl-Karlstadt-Straße, der Herterichstraße und einiger ihrer Seitenstraßen fühlen sich hoffnungslos von Autos überrollt.

Heftig kritisiert wurde das starke Wachstum, das die Stadt in den Verkehrsinfarkt treibe. Die Entwicklung brauchbarer Verkehrskonzepte, räumte Stadtrat Michael Kuffer (CSU) ein, hinke hinterher. Und sein Parteifreund Reinhold Wirthl, Sprecher des Unterausschusses Verkehr im Bezirksausschuss Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln, konzedierte: "Im öffentlichen Personennahverkehr ist in den letzten Jahren zu wenig gemacht worden." Auswege aus der verfahrenen Situation zu finden, dürfte knifflig werden, neue Konzepte seien nötig. Ansonsten riet Wirthl zu einer unbequemen Einsicht: "Alle Wünsche können sich nicht erfüllen, mit Staus werden wir weiter leben müssen."

Einen Hinweis auf Entlastungsmöglichkeiten erhoffen sich die CSU-Kommunalpolitiker von einem überfälligen Verkehrsgutachten. Es sollte ursprünglich 2013 vorgelegt werden, inzwischen ist der Januar 2017 dafür im Gespräch. "Superideen" habe er darin bisher nicht entdecken können, dämpfte Wirthl allzu große Erwartungen. Wenigstens enthalte das 100-Seiten-Papier einen "amüsanten Antrag". Danach sollen an Ampelmasten Handgriffe angebracht werden, damit Radler bei Grün schneller starten können. Ein Moment der Heiterkeit im Saal.

U-Bahnstation Sendlinger Tor in München, 2012

Ohne die U-Bahn wäre alles noch schlimmer: Im Münchner Süden wünscht man sich, dass die U3 öfter fährt und irgendwann verlängert wird.

(Foto: Robert Haas)

Ansonsten war dem Publikum nach Lachen eher nicht zumute. Vielmehr wusste Moderatorin Veronika Mirlach streckenweise kaum noch, wie sie die Emotionen unter Kontrolle halten sollte. Viele der kritischen Fragen aus dem Publikum zielten auf das Wachstum der Stadt und auf die Frage, ob Kommunalpolitik und Behörden den Zusammenhang zwischen expandierenden Wohn- und Gewerbegebieten und dem Anschwellen der Verkehrslawine weiterhin ignorieren wollten.

"Immerzu werden neue Bauten genehmigt, wir haben Zuwachs ohne Ende und woanders stehen Tausende Wohnungen leer. Warum koordiniert das keiner?", entrüstete sich eine Diskussionsteilnehmerin. Andere sprachen von "Wildwest bei der Nachverdichtung" oder sahen "die Bauwirtschaft kann machen, was sie will". Zweifel an der Strukturpolitik hätte mancher im Saal gern auch dem Planungsreferat um die Ohren gehauen. Doch dessen Vertreter waren der CSU-Veranstaltung ebenso ferngeblieben wie die Polizei - weil sie sich nicht parteipolitisch vereinnahmen lassen wollen. Michael Kuffer immerhin bekannte, dass er kein Mittel gegen urbanes Wachstum wisse. Es komme deshalb darauf an, Verdichtung so zu gestalten, dass sie den Charakter der Stadtviertel nicht völlig verfälsche.

Einigkeit herrschte in einem Punkt: Die öffentlichen Verkehrsmittel müssten schleunigst optimiert werden. Altbekannte Stichworte waren der S-Bahn-Ring, der Ausbau des U-Bahn-Netzes, attraktivere Taktung der Busse (vor allem der Linie 134). Durch bessere Angebote müssten die Leute "dazu gebracht werden, das Auto auch mal stehen zu lassen und auf Busse, Bahnen und das Fahrrad umzusteigen", betonte Stadtrat Kuffer. Nur für die Tram-Westtangente ist die CSU unverändert nicht zu haben. Reinhold Wirthl: "Die ist ideologisch gewollt, bringt aber nichts." Die Anwesenden sahen's bei einer Probeabstimmung mit überwältigender Mehrheit genauso.

Verkehr im Münchner Süden: Richtig eng: Der Verkehr in der Wilhelm-Leibl-Straße hat zugenommen.

Richtig eng: Der Verkehr in der Wilhelm-Leibl-Straße hat zugenommen.

(Foto: Claus Schunk)

Mehrere Eltern nutzten die Zusammenkunft, um wegen latenter Gefahren auf dem Schulweg Alarm zu schlagen. Anke Sponer vom Verein Verkehrsberuhigung München und andere beschwerten sich über "unglaubliche Verkehrsmengen" und "wahnsinnige Autofahrer", die den Gang zum Unterricht für Kinder zum Überlebenstraining machten. Sponer rief zugleich dazu auf, nicht an punktuellen Problemen herum zu laborieren, sondern endlich Konzepte zur Verkehrsberuhigung für ganze Stadtbezirke zu entwickeln. Der 19er-Stadtbezirk habe es besonders nötig, denn er zähle zu den wachstumsstärksten in München überhaupt.

Als besonders gefährdet, im Verkehrsdruck abzusaufen, sind nach Darstellung ihrer Anwohner die Bleibtreu- und die Wilhelm-Leibl-Straße in Solln. "Wir haben an unseren Ortsstraßen seit drei Jahrzehnten zu 90 Prozent Durchgangsverkehr, und es passiert einfach nichts", beklagte sich Thomas Gilg und empfahl wie schon des Öfteren einen Durchstich der Drygalskiallee zur B 11 in Pullach. Wie auch immer, "das Chaos von vorn bis hinten" müsse ein Ende haben, sekundierte ein anderer Bürger.

Michael Kuffer kündigte an, die CSU werde sich zur Entspannung der Lage für leistungsfähige Verkehrsachsen, eine Reduzierung des Transitverkehrs sowie eine Verlängerung der U 3 einsetzen. Als "Minimum an Verkehrskonzept für den Münchner Süden" bezeichnete der Stadtrat eine bauliche Lösung am Neurieder Kreisel, die aus westlicher und südlicher Richtung kommende Autofahrer davon abhalten soll, die Route via Liesl-Karlstadt-Straße einzuschlagen. Dass damit schon die letzten Antworten auf die verkehrspolitischen Herausforderungen gegeben wären, bezweifelte Reinhold Wirthl: "Wenn wir das Fragezeichen im Titel unserer Veranstaltungen zur Gänze auflösen könnten, hätten wir es schon gemacht."

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