Debatte im Stadtrat:Die wachsende Stadt und ihre Verkehrsfalle

Schwanthalerstraße in München, 2018

In Zukunft soll es weniger Autos in der Innenstadt geben und mehr Raum für andere Verkehrsteilnehmer.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Im Stadtrat wird bei einer großen Generaldebatte über den Verkehr der Zukunft gestritten, wobei die Positionen der Parteien sehr unterschiedlich sind.
  • Es geht darum, wie der öffentliche Raum umverteilt werden soll und wie weit die Stadt den Autoverkehr einschränken darf.
  • Oberbürgermeister Reiter fordert mehr Platz für den öffentlichen Nahverkehr, Radler und Fußgänger.

Von Andreas Schubert

Passend zur großen Generaldebatte des Stadtrats über den Verkehr der Zukunft ist ausgerechnet am Marienplatz eine U-Bahn-Schiene gebrochen. An einem der größten Nahverkehrsknoten der Stadt. Und natürlich zur Hauptverkehrszeit. Der Gleisbruch und der vorübergehende Ausfall vieler Züge sind durchaus ein Symbol: Denn was für das U-Bahn-Netz gilt, gilt für den ganzen Nahverkehr in der Stadt: Er ist in die Jahre gekommen und überlastet.

Wie die wachsende Stadt aus ihrer Verkehrsfalle herauskommen kann, darüber wird auch nach dem teils emotionalen Schlagabtausch am Mittwoch weiter gestritten werden. Denn die Debatte über die Mobilität im Jahr 2030 zeigt, dass die Positionen nach wie vor unterschiedlich sind. Weitgehend einig sind sich die Parteien darin, dass die Zeit der autogerechten Stadt vorbei ist. Im Prinzip geht es nun darum, wie der öffentliche Raum umverteilt werden soll und wie weit die Stadt den Autoverkehr einschränken darf, um dem öffentlichen Nahverkehr, den Radlern und Fußgängern mehr Platz zu geben. Dabei wollen CSU, Bayernpartei und FDP noch lange nicht so weit gehen, wie sich das SPD, Grüne und Linke vorstellen. Doch für Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gilt es, genau diese Grundsatzfrage zu klären: Soll man Fahrspuren und Parkplätze zugunsten der Verkehrswende opfern? Für Reiter steht eines fest: Auf zunehmenden Verkehr mit neuen Straßen zu reagieren, sei nicht sinnvoll. "Wir können nicht so weitermachen", sagt er. Und: "Die Mehrheit der Stadt will eine Veränderung."

Vorschläge, wie es gehen könnte, gibt es aus der Inzell-Initiative im Rahmen des Projekts "Modellstadt 2030". Die Initiative ist eine Arbeitsgemeinschaft unter der Federführung des Planungsreferats und der BMW-Gruppe. Und es gibt so einige Ideen, wie Georg Dunkel, Leiter der städtischen Verkehrsplanung, im Stadtrat erörterte. Dazu gehört die Stärkung platz- und umweltschonender Nahmobilität wie Radfahren, eine Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel inklusive Carsharing und natürlich der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Jens Röver, der stellvertretende verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, forderte ein klares Bekenntnis zur Verkehrswende, zur autofreien Altstadt, zum Ausbau der Elektromobilität und zum emissionsfreien Carsharing. Alles Punkte, die die Grünen auch unterschreiben würden. Sie stünden der SPD als Mehrheitsbeschaffer im Stadtrat zur Verfügung. Damit die Debatte aber nicht zur reinen "Showveranstaltung" wird, wie Grünen-Fraktionschefin Katrin Habenschaden sagte, fordern die Grünen noch bis zum Sommer konkrete Maßnahmenvorschläge. Habenschaden warf dem schwarz-roten Rathausbündnis vor, beim Thema Verkehr seit fünf Jahren "auf der Bremse" zu stehen. Erst seit der Landtagswahl, bei der die Grünen in München stärkste Partei wurden, sei Zug in die Debatte gekommen. Die Grünen hätten vieles, was die Inzell-Initiative für die Zukunft vorschlägt, schon in der Vergangenheit beantragt, etwa einen Boulevard auf der verkehrsberuhigten Sonnenstraße.

Wie die CSU ihrer Sorge um die Autofahrer Ausdruck verleihe, bezeichnete Habenschaden als "erschütternd". Zur Erklärung: Die CSU hatte beantragt, die Straßen oberirdisch, so weit es geht, von parkenden Autos zu befreien, dafür aber 7o Prozent der wegfallenden Stellplätze durch alternative Parkmöglichkeiten zu ersetzen, etwa indem bestehende Parkhäuser von Firmen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, aber auch durch neue Parkhäuser mit modernen Leitsystemen. Dahinter steckt aus Sicht der CSU aber schon eine innere Verkehrswende: Sie bekennt sich dazu, nahezu auf ein Drittel aller Parkplätze zu verzichten.

"Dann zu sagen, wir würden nichts für den Radverkehr tun, ist unanständig"

CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl wollte auch deshalb die Vorwürfe Habenschadens so nicht hinnehmen. In keiner anderen Amtsperiode vor der 2014 begonnenen sei so viel für die Verkehrsinfrastruktur beschlossen worden. Als Beispiel nannte er die Tram-Westtangente, das U-Bahn-Bauprogramm mit der U-5-Verlängerung bis Pasing und den Planungen zur U9, neue Rad- und Fußgängerbrücken wie den Arnulfsteg und die Brücke am Giesinger Berg. Letztere kosteten 36 Millionen Euro. "Dann zu sagen, wir würden nichts für den Radverkehr tun, ist unanständig." Die CSU wolle alle Menschen im Blick haben, nicht nur Innenstadtbewohner. Es werde immer Leute geben, die auf das Auto angewiesen seien, Rentner oder Mütter mit kranken Kindern. Pretzl warf den Grünen vor, dass sie in der Vergangenheit selbst etwa gegen die U-5-Verlängerung oder die Fußgängerzone am Marienplatz gewesen seien.

SPD-Fraktionsvize Christian Müller unterstellte den Grünen eine "selbstgerechte Attitüde", da sie nur eigene Vorschläge gelten ließen und zum Beispiel ständig Kritik am zweiten Stammstreckentunnel übten. Doch auch die eigene Partei schloss er bei seiner Kritik nicht aus. Was die schwarz-rote Koalition in Berlin für den Nahverkehr tue (Finanzminister ist Olaf Scholz von der SPD), sei zu wenig. "Wenn wir nicht mehr Mittel von Bund und Land bekommen, ist alles, worüber wir hier diskutieren, Schall und Rauch."

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