Verkehr:Bürger entscheiden für drei Tunnel am Mittleren Ring

Sowohl das Begehren für Unterführungen als auch das zweite für Schulen, Kindergärten und einen Ausbau des Nahverkehrs findet eine klare Mehrheit

Alfred Dürr

(SZ vom 24.06.1996) - Die Bürger, die sich gestern am ersten Bürgerentscheid in der Geschichte der Stadt beteiligt haben, wollen sowohl drei neue Tunnel am Mittleren Ring als auch mehr soziale Einrichtungen und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Das Bürgerbegehren 'Drei Tunnels braucht der Ring' und die Gegeninitiative 'Das bessere Bürgerbegehren' erhielten nämlich beide jeweils die Mehrheit der Ja-Stimmen. Entscheidend war damit das Ergebnis der Stichfrage: Die Befürworter des kreuzungsfreien Ausbaus der Stadtautobahn hatten am Ende mit 50,7 Prozent nur äußerst knapp die Nase vorn. Die Tunnelgegner erreichten 49,3 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei bei 32,2 Prozent. Stimmberechtigt waren gut 910 000 Münchner Bürger.

Angesichts dieses schwachen Interesses sieht Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) in einer ersten Reaktion 'die Behauptung widerlegt, daß ganz München nach den drei Tunnel lechzt'.

Allenfalls ein Drittel der Bevölkerung habe sich überhaupt von dem Thema angesprochen gefühlt. Ude: 'Vor dem Hintergrund der allgemeinen Spardebatten und den Einschnitten in den sozialen Bereich haben die Menschen ganz andere Sorgen, als den Wunsch nach Großbauwerken.'

Selbstverständlich werde aber von ihm und vom Stadtrat der Ausgang des Bürgerbegehrens respektiert. Das heißt konkret: Für den Petuel-Tunnel im Nordabschnitt des Rings müssen nun im Detail die Finanzierungsmöglichkeiten aufgezeigt und der Zuschuß beim Freistaat beantragt werden.

Für die Bereiche Richard-Strauss-Straße und Luise-Kiesselbach-Platz sind die Planungen einzuleiten.

Wann genau die Baumaschinen am Petuel-Ring auffahren, konnte der Oberbürgermeister gestern noch nicht sagen. Der CSU-Fraktionsvorsitzende Hans Poduik hofft, daß nun nicht mit Verzögerungstricks versucht werde, die Tunnel zu verhindern.

Podiuk: 'Klar ist jetzt, daß die Bürger beides bekommen - die Bauwerke am Ring und die sozialen Einrichtungen. Wenn der politische Wille da ist, kann am Petuel-Ring im nächsten Frühjahr mit dem Bau begonnen werden.' Die Stadt könne die jährlichen Tunnelkosten von 30 Millionen Mark auf jeden Fall verkraften.

Die CSU wird eine Stadtratssitzung beantragen, in der unverzüglich alle Vorarbeiten (Finanzplan, Bauauschreibung usw.) beschlossen werden.

Steuererhöhung als Ausweg

Entschiedener Widerstand gegen die CSU-Rechnung kommt vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Dietmar Keese: 'Aus dem, was wir derzeit in der Kasse haben, kann kein Tunnel bezahlt werden.'

Der einzige Ausweg sei eine Erhöhung der kommunalen Steuern. Betroffen wären dabei das Gewerbe und - über höhere Grundsteuern - auch die Mieter. Mit dem knappen Votum am gestrigen Sonntag ist in München eine Abstimmung erfolgt, welche die kostspieligsten Folgen von allen bayerischen Bürgerentscheiden in ganz Bayern hat.

Der Baupreis für alle drei Tunnel wird auf zwei Milliarden Mark veranschlagt. Der Stadtrat ist nun drei Jahre an die Entscheidung des Bürgervotums gebunden.

Erbitterte Wahlschlacht

Geradezu erbittert hatten die verschiedenen Initiativen Werbung für ihren jeweiligen Standpunkt gemacht. Ein Bündnis von 16 Verbänden und Organisationen - vom ADAC bis zur CSU - hatte sich für die drei Tunnel eingesetzt. Verschiedene Umweltorganisationen, die SPD und die Grünen lehnten die Großprojekte als zu teuer und verkehrspolitisch unsinnig ab.

Gestern konnten schließlich die Bürger Ring-Richter spielen. Zur Wahl standen drei Fragen. 55,0 Prozent stimmten beim Entscheid der Tunnel-Befürworter mit Ja, 45,0 Prozent mit Nein.

Beim 'Besseren Bürgerbegehren' der Tunnel-Gegner sieht das Ergebnis so aus: 59,8 Prozent dafür, 40,2 Prozent dagegen.

Die entscheidende Stichfrage führte dann zu dem äußerst knappen Erfolg des Begehrens 'Drei Tunnel braucht der Ring'.

Seit mehr als zehn Jahren wird intensiv über den Ausbau einer der am stärksten befahrenen Strecken Deutschlands gestritten. Rund 700.000 Fahrzeuge, vor allem auch die Pendler aus dem Umland, sind täglich auf dem Mittleren Ring unterwegs.

Nach dem Bau des Trappentreu- und des Brudermühltunnels vor einigen Jahren war nach Ansicht der rot-grünen Stadtratsmehrheit vor allem aus Finanzgründen das Ende der Ausbaumöglichkeiten erreicht.

Das Ergebnis des Bürgerentscheids hat das Blatt jetzt gewendet - doch der Streit um die Tunnel ist auch nach dem gestrigen Votum bestimmt noch lange nicht zu Ende.

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