Verhandlung:Streit an der Bushaltestelle

41-jähriger Angeklagter soll sein bereits regloses Opfer brutal getreten haben

Von Susi Wimmer

Es war ein Gewaltausbruch, der kaum zu erklären ist. Nach einem Gerangel an einer Bushaltestelle in Laim in einer Mainacht vergangenen Jahres lag das Opfer von Stefan E. schon reglos am Boden. "Der hat eine Prothese, der ist behindert", rief noch dazu dessen Begleiter. Stefan E. drehte zunächst ab, ging davon - doch kurz darauf kam er wieder und trat dem Opfer mit voller Kraft gegen den Kopf. Der Mann erlitt einen Bruch der Schädeldecke, Hirnblutungen, seine Nase war mehrfach gebrochen. Nun muss sich der 41-jährige E. vor der zweiten Strafkammer am Landgericht München I wegen versuchten Totschlags verantworten.

Stefan E. sieht nicht aus wie ein Schläger: Dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, schwarze Brille; kein Muskeltyp, sondern groß und schlaksig. Auf Anraten seines Verteidigers sagt er gar nichts, weder zu seinem Lebenslauf noch zur Tat. Dafür hat Staatsanwältin Nina Prantl die von der Polizei ermittelten Fakten in ihrer Anklageschrift zusammengetragen.

Istvan Z. und sein Begleiter Adam S. warteten am 13. Mai gegen 23 Uhr an der Bushaltestelle Aindorferstraße auf der Fürstenrieder Straße. "Ich hab' so drei, vier Tage lang meinen 40. Geburtstag gefeiert", erzählt Istvan Z. im Zeugenstand, "wir waren schon richtig besoffen". Sie hatten noch ein Sixpack Bier dabei, "den konnten wir schon gar nicht mehr trinken". Das Bier stellten sie auf einem Zeitungskasten ab. Dann sei der Fremde gekommen und habe sich das Bier schnappen wollen. "Ich habe ihm gesagt: Brauchst ned zu klauen, ich hätt' es dir geschenkt." Dann verlässt Istvan Z. die Erinnerung.

Laut Anklage soll Stefan E. die beiden Männer an der Bushaltestelle aggressiv angegangen haben. Istvan Z. soll noch gesagt haben: "Wer bist du? Was willst?" Daraufhin soll der 41-Jährige ihn gegen die Glasscheibe des Wartehäuschens geschubst, ihn zu Boden gerissen und mit Fäusten geschlagen haben. Schließlich trat er dem Reglosen von oben herab auf die linke Kopfseite, so heftig, dass der Begleiter von Istvan Z. ein Knacken hörte. Istvan Z. verlor das Bewusstsein. Stefan E. blieb an der Haltestelle stehen, ohne dem Schwerverletzten zu helfen und griff sich zwei Bier aus dem Sixpack. Als sich zufällig eine Polizeistreife näherte, versuchte er zu fliehen. Die Beamten konnten Stefan E. aber noch ergreifen und festnehmen. Seitdem sitzt der Familienvater in Untersuchungshaft.

"Nein", sagt Istvan Z., den Mann auf der Anklagebank erkenne er heute nicht mehr. "Auf den Lichtbildern bei der Polizei hat der Herr anders ausgeschaut", sagt er entschuldigend. Istvan Z. ist 40 Jahre alt und seit einem Arbeitsunfall nicht mehr arbeitsfähig. Sein linker Unterschenkel musste amputiert werden, vorangegangen waren 42 Operationen, die sein Bein retten sollten. Vier Jahre lang saß er im Rollstuhl, schließlich schaffte er es mit Radfahren und einer Prothese buchstäblich wieder auf die Beine.

Und jetzt habe ihn der Vorfall an der Bushaltestelle "wieder in den Rollstuhl zurückgeworfen". Denn bei dem Sturz brach die Prothese am Kopfteil, "das verursacht bei jedem Schritt Schmerzen", sagt Z. Er habe Ärger mit der Krankenkasse, weil die nicht für die neue Prothese aufkommen wolle. Seitdem leide er wieder unter Depressionen und Panikattacken. "Aktuell ist auch noch der Riss in der Schädeldecke da", sagt er und streift mit dem Finger über die kahlrasierte rechte Kopfhälfte. Außerdem sei am rechten Ohr das Trommelfell gerissen und er leide unter Schwindelanfällen.

Stefan E. hört reglos zu. Er hatte am Tattag knapp zwei Promille und laut ärztlicher Untersuchung keinerlei Ausfallerscheinungen. Der Prozess wird am 24. Januar fortgesetzt.

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