Verhandlung:Boykott dem Boykott

Lange Nacht der Museen in München, 2018

Die strittige Veranstaltung sollte im Münchner Stadtmuseum am Jakobsplatz stattfinden.

(Foto: Stephan Rumpf)

Seit einem Jahr ächtet die Stadt die gegen Israel gerichtete Kampagne BDS. Jetzt befindet darüber erstmals ein Gericht

Von Stephan Handel

Ein knappes Jahr ist der Beschluss des Stadtrats alt, keine städtischen Räume für antisemitische Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Nun wird er zum ersten Mal gerichtlich überprüft: Das Verwaltungsgericht hat am Mittwoch die Klage eines Mannes verhandelt, dessen Ansinnen abgelehnt wurde, eine Podiumsdiskussion im Stadtmuseum zu organisieren.

Der Stadtratsbeschluss zielt auf die ursprünglich von palästinensischen Organisationen initiierte Kampagne BDS ("Boycott, Divestment, Sanctions"): Sie ruft dazu auf, Israel zu boykottieren, Investitionen von dort abzuziehen und Sanktionen zu verhängen - wegen Israels Palästinenser-Politik. Die Kampagne gilt nach allgemein anerkannten Kriterien als antisemitisch. In welcher Beziehung Klaus Ried, der Kläger, zu BDS steht, ist unklar. Jedenfalls hat er heuer im April bei der Stadt für einen Raum im Stadtmuseum angefragt. Im September wollte er dort zu einem Streitgespräch einladen. Titel der Veranstaltung: "Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein?" Die Stadt befand, man könne ja wohl schlecht über den Beschluss diskutieren, der BDS ächte, ohne dass der Boykottaufruf zur Sprache käme, und lehnte die Raumvergabe ab.

Das Verwaltungsgericht in der Bayerstraße spricht sein Recht normalerweise nicht vor großem Publikum - anders war es in diesem Fall. Der ursprünglich vorgesehene Sitzungssaal war für den Andrang deutlich zu klein, also zogen Gericht, Beteiligte und Zuhörer in einen größeren Saal um.

Dort entspann sich eine fast zweistündige Verhandlung, bei der die Vorsitzende Richterin Christine Gibbons mehrfach darauf hinwies, dass es nicht darum gehe, ob die kontroversen politischen Meinungen von der Stadt auf der einen und BDS-Befürwortern auf der anderen Seite richtig oder falsch seien, sondern nur darum, ob die Kommune das Recht habe, die Nutzung ihrer Räume per Beschluss einzuschränken. Gerd Tersteegen, der Anwalt des Klägers, argumentierte hauptsächlich mit der Meinungsfreiheit: Die Stadt nehme die "Deutungshoheit" für sich in Anspruch: "Ihr braucht gar nicht mehr zu diskutieren, sondern habt das Bild, das wir haben, zu übernehmen." Die Vertreter der Stadt hielten dagegen, dass dem Kläger ja nicht seine Meinung genommen werden solle, sondern nur die Möglichkeit, sie in städtischen Räumen kundzutun: "Es gibt Themenfelder, die wollen wir in unseren Räumen nicht haben." Er könne sie aber ansonsten überall äußern, auf der Straße, in privaten Räumen, in Druckerzeugnissen oder auch im Internet.

Tersteegens Erwiderung entbehrte nicht einer gewissen Brisanz: Er beklagte, dass es in München nicht einfach sei, Räume für BDS-Veranstaltungen zu bekommen. Wörtlich sagte der Anwalt, es gebe "eine Clique, die der israelischen Regierung positiv gegenübersteht", diese übe Druck etwa auf Wirte aus, wenn sie Räume für die BDS-Kampagne überlassen wollten. Interessant ist diese Einlassung, weil es auch die Methode der BDS-Kampagne ist, staatliche Stellen oder Privatleute unter Druck zu setzen, wenn diese der Meinung der Aktivisten nach zu israel-freundlich agieren. Der Anwalt meinte noch, sein Mandant wolle "einen unvoreingenommenen Dialog" in Gang setzen. So gesehen sei die von ihm geplante Veranstaltung ein Beitrag zu Kultur und Volksbildung, insofern also mit der Satzung des Stadtmuseums vereinbar - die städtischen Vertreter hielten dem entgegen: "Es fällt schwer, beim Thema Antisemitismus über ein Für und Wider zu verhandeln." Außerdem sei der in Frage stehende Beschluss im Stadtrat über alle Parteigrenzen hinweg angenommen worden, dahinter stehe "ein breiter gesellschaftlicher und parteipolitischer Konsens".

Richterin Gibbons führte das Gespräch schließlich wieder auf die Gemeindeordnung zurück. Diese verpflichte die Kommunen zwar, allen Bürgern den Zugang zu öffentlichen Räumen zu ermöglichen. Bei der Ausgestaltung habe die Stadt aber weiten Spielraum. Diese Äußerung könnte als Anzeichen dafür gedeutet werden, dass das Gericht im Sinne der Stadt entscheiden wird. Zunächst aber bekam der Klägeranwalt zwei Wochen Zeit, einen Schriftsatz zu bisherigen Veranstaltungen im Stadtmuseum einzureichen, danach wird das Gericht ohne weitere mündliche Verhandlung sein Urteil sprechen. Gegen die Aussage, BDS sei antisemitisch, hat sich übrigens während der gesamten Verhandlung niemand gewehrt.

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