Süddeutsche Zeitung

Verhalten auf der Rolltreppe:Aus dem Weg!

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Rechts stehen, links gehen: Das gilt in München als Gesetz. Doch was passiert, wenn man dagegen verstößt? Münchner Soziologie-Studenten haben das untersucht. Mit überraschendem Ergebnis: Auf der Rolltreppe geht es zu wie auf der Karriereleiter.

Von Benedikt Laubert

Die Münchner Soziologen Christiane Bozoyan, Tobias Wolbring und Dominik Langner haben zusammen mit Studenten untersucht, wer auf der Rolltreppe eher zurechtgewiesen wird: Frauen oder Männer? Und kommt es auch auf die Kleidung an? 254 Mal haben sich zwei Studenten nebeneinander auf Rolltreppen am Sendlinger Tor gestellt und die Regel "rechts stehen, links gehen" gebrochen. Andere Studenten haben notiert, wer wie reagiert und die Daten statistisch ausgewertet. Christiane Bozoyan erklärt, welche Ergebnisse überrascht haben - und wieso wir in Stereotypen denken.

Süddeutsche.de: Frau Bozoyan, wer es eilig hat, ärgert sich über verstopfte Rolltreppen. In Ihrem Experiment haben Ihre Studenten absichtlich die Rolltreppe blockiert. Was ist passiert?

Bozoyan: Die Norm "rechts stehen, links gehen" gilt auf den Münchner Rolltreppen und wird zum Teil rigoros durchgesetzt. Interessant war, dass Frauen sowohl schneller als auch häufiger zurechtgewiesen wurden. 86 Prozent der Frauen wurden verbal angegangen, aber nur 64 Prozent der Männer. Auch die Kleidung der blockierenden Studierenden hatten einen Einfluss darauf, wie sie behandelt wurden: Waren sie leger gekleidet, gab es eher Reaktionen; waren sie schick gekleidet, wurden sie meist in Ruhe gelassen.

Hat es eine Rolle gespielt, wer wen zurechtweist?

Nein. Vor der Untersuchung hatten wir vermutet, dass sich Menschen als freundlicher erweisen, wenn vor ihnen jemand steht, der dasselbe Geschlecht hat oder ähnliche Kleidung trägt. Einen solchen Interaktionseffekt gibt es in vergleichbaren Studien. Aber dem war nicht so: Auch Frauen waren beispielsweise unfreundlicher zu Frauen.

Wie erklären Sie diese Ungleichbehandlung?

Wie wir Menschen behandeln, richtet sich danach, welche Eigenschaften wir ihnen zuschreiben. Wenn man nichts Persönliches über den Anderen weiß, versucht man auf gut sichtbare Signale zu vertrauen und ihn aufgrund der sozialen Gruppe, der er angehört, einzuschätzen - also: Nationalität, Geschlecht, Alter und so weiter. Frauen wird eher Freundlichkeit und Einfühlsamkeit zugeschrieben, Männern hingegen Durchsetzungskraft. Ähnliches gilt für legere und schicke Kleidung. Und diese Stereotype spiegeln sich darin wider, wie wir diesen Gruppen begegnen.

Was hat Sie überrascht?

Womit wir nicht gerechnet hatten war, dass Männer und Frauen nicht nur unterschiedlich stark, sondern auch auf unterschiedliche Weise angegangen wurden: Während Frauen die Kritik vor allem zu hören bekamen, wurden Männer öfter mal angetippt oder gar zur Seite gedrängt. Ein Student wurde sogar geschubst.

Eine heftige Reaktion. Sind die Regeln für die Rolltreppenbenutzung so normal für uns, dass wir sie gar nicht mehr hinterfragen?

Sie müssen nicht erst einen Mord begehen, um zu merken, dass das nicht erwünscht ist - diese Norm kennt jeder. Manchmal ist uns aber nicht ganz klar: Was erwarten meine Mitmenschen von mir? Die Norm "links gehen, rechts stehen" ist nicht so weit verbreitet - in US-amerikanischen Großstädten ist sie meines Wissen nur wenig ausgeprägt. Ob das in München eine Norm ist, kann man am besten untersuchen, wenn man sie bricht und die Reaktionen der Passanten einfängt.

Ungleichheitsforschung ist eines Ihrer Fachgebiete. Welcher Gruppe sollte ich angehören, damit ich tun und lassen kann was ich will?

Gesellschaftliche Gruppen, die in jeder Situation tun und lassen können, was sie wollen, gibt es vermutlich nicht. Ob ich zurechtgewiesen werde, ist stark kontextabhängig. Ich forsche zum Beispiel auch zu Übergewichtigen. Die werden in der Schule oder auf der Jobsuche diskriminiert, weil sie nicht der gesellschaftlichen Norm eines schlanken Körpers entsprechen - ob sie in Partnerschaften Nachteile haben, habe ich allerdings nicht untersucht.

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