Vergewaltigungen:Wo es wirklich gefährlich ist

Ein Missbrauch durch einen Fremden im Wald oder in einer Tiefgarage - davor fürchten sich viele Frauen. Die meisten Vergewaltigungen finden jedoch im Verwandten- oder Bekanntenkreis statt. Der Frauennotruf beklagt, dass vor allem Frauen aus gut situierten Familien sich nicht trauen, ihre Männer anzuzeigen.

Von Florian Fuchs

Es ist der Alptraum jeder Frau: Ein dunkler Weg, ein kurzes Waldstück, plötzlich greift jemand von hinten an und zieht einen ins Gebüsch. In Pullach ist so etwas erst wieder passiert, um 6.30 Uhr morgens, das 52 Jahre alte Opfer war auf dem Weg zur Arbeit. Die Polizei hat den Vergewaltiger inzwischen gefasst.

Ein Missbrauch durch einen Fremden, ob in einem Waldstück oder in einer Tiefgarage, ist eine bei jeder Frau präsente Angst. Es sind die Fälle, über die in den Medien groß berichtet wird. Diese Angst aber, sagen die Expertinnen vom Frauennotruf, die Missbrauchopfer betreuen, ist in der Öffentlichkeit überrepräsentiert - denn die meisten Vergewaltigungen finden im Verwandten- oder Bekanntenkreis statt.

"Eigentlich ist nicht das Waldstück, sondern die eigene Wohnung oder die des Partners der gefährlichste Ort für eine Frau", sagt Mitarbeiterin Maike Bublitz. Der Frauennotruf beklagt, dass vor allem Frauen aus gut situierten Familien sich nicht trauen, ihre Männer bei häuslicher Gewalt anzuzeigen - oder sich von ihnen zu trennen.

Kriminalstatistiken besagen, dass sich bei etwa 80 Prozent aller Vergewaltigungen Täter und Opfer vorher bereits kannten, und sei es nur die flüchtige Discobekanntschaft. Gerade in solchen Fällen ist die Hürde aber größer, sich jemandem anzuvertrauen. "Bei einem fremden Vergewaltiger ist es für eine Frau meist leichter, Hilfe zu suchen, weil die Tat eindeutig ist", sagt Simone Ortner, Leiterin des Frauennotrufs. Bei einer Vergewaltigung im Bekanntenkreis dagegen machten sich viele Frauen erst einmal Vorwürfe und hielten die Vergewaltigung aus Scham geheim. Musste ich den Typen aus der Disco zu mir nach Hause einladen? "Es ist absurd, aber diese Gedanken kommen auf", sagt Ortner.

Scham und sozialer Druck

Dazu komme die Tendenz, Übergriffe zu verharmlosen, wenn es der eigene Partner war. "Viele Frauen wollen es nicht wahrhaben und versuchen, den Vorfall bewusst klein zu halten." Auch hier spiele wieder die Scham eine Rolle - und der soziale Druck. Gerade Akademikerinnen mit guten Berufen, so die Erfahrung der Expertinnen vom Frauennotruf, wollten sich vor ihren Freunden und Verwandten nicht die Blöße geben und eingestehen, dass ihre Beziehung nicht perfekt läuft. "Die gemeinsamen Kinder, das gemeinsame Haus, alles steht auf dem Spiel. Deshalb ist gerade in dieser Gruppe das Thema sexuelle Übergriffe absolut tabuisiert", klagt Bublitz.

Schließlich sei eine Vergewaltigung für Frauen umso schwerer nachzuweisen, je näher ihnen der Täter steht. War es der eigene Partner, muss eine Frau erst einmal beweisen können, dass sie den Geschlechtsverkehr verweigerte. "Je näher die Tat dagegen Vergewaltigungsmythen wie einem Übergriff im Wald kommt, desto eher werden die Täter verurteilt", sagt Bublitz.

Der Rat der Expertinnen vom Frauennotruf an Missbrauchopfer ist deshalb, immer sofort zum Arzt zu gehen. Die Rechtsmedizin in München hat einen ständig erreichbaren Notdienst. Die Ärzte dort versorgen nach Vergewaltigungen nicht nur Verletzungen. Sie sichern auch Beweise, die noch Monate später vor Gericht verwertbar sind. Dadurch sind die Frauen nicht gezwungen, sofort Anzeige zu erstatten - und können sich erst in Ruhe professionell beraten lassen.

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