Verbotene Liebe:Der strenge Kardinal und seine heimliche Liebschaft

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Michael von Faulhaber war von 1917 bis 1952 Erzbischof von München und Freising. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

"Nur einmal acht Tage mit Dir irgendwo allein": Tagebücher einer Schwabinger Lehrerin decken eine Liebesbeziehung des Münchner Erzbischofs Michael von Faulhaber auf.

Von Rudolf Neumaier

Ein Kardinal verliebt sich. In eine Frau. Er büxt aus, wenn die Nonnen, die ihn umsorgen, zur Beichte gehen. Und er flieht mit Schmetterlingen im Bauch durch München. Um die Frau, die er liebt, in ihrer Schwabinger Wohnung zu besuchen und zu betören: "Nur einmal acht Tage mit Dir irgendwo allein - alles vergessen dürfen - und nur sich erzählen und lieb haben." Klingt nach der Fantasie eines verschwitzten Schnulzenromanciers, keine Frage. Aber so hat sich die Liebesgeschichte eines der markantesten Kardinäle in der deutschen Kirchengeschichte offenbar abgespielt. Michael von Faulhaber, Erzbischof von München und Freising von 1917 bis 1952, hatte in den Vierzigerjahren eine heimliche Beziehung.

Dass es zum Äußersten kam, zum Geschlechtsverkehr, ist unwahrscheinlich. Doch gänzlich ausschließen lassen sich sexuelle Handlungen auch nicht. Von Zärtlichkeiten, von "streicheln" etwa und von Liebkosungen, ist in den Aufzeichnungen von Franziska Bösmiller die Rede. Diese Frau führte Tagebuch über ihre Beziehung zu Kardinal Faulhaber. Ihre Notizen lassen auf eine tiefe gegenseitige Zuneigung schließen.

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Würden einem katholischen Bischof solch delikate Aufzeichnungen über einen Pfarrer seines Bistums in die Hände fallen, müsste er ihn bis zur Klärung des Falles glatt suspendieren. Denn katholische Geistliche sind per Kirchengesetz, dem Codex Iuris Canonici, dem Zölibat verpflichtet. Es heißt dort nicht nur, dass sie "vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren" haben. Sie müssen sich auch "mit der gebotenen Klugheit gegenüber Personen verhalten, mit denen umzugehen die Pflicht zur Bewahrung der Enthaltsamkeit in Gefahr bringen" könnte. Zumindest spielte Kardinal Faulhaber, der Leugers zufolge "von außen unnahbar sittenstreng wirkende Kirchenfürst", bei seinen Rendezvous mit Franziska Bösmiller mit dem Feuer. Rang sein Herz die gebotene Klugheit nieder?

An vergleichsweise entlegener Stelle, in Band 35 des "Rottenburger Jahrbuchs für Kirchengeschichte", herausgegeben vom Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart, ist die Geschichte des Münchner Erzbischofs und seiner Freundin erzählt. Eine Enthüllung. Der in Erfurt tätigen Kirchenhistorikerin Antonia Leugers ist dieses Material zu einer, wie sie schreibt, "der weltweit bekanntesten Bischofsgestalten" in den Schoß gefallen. Eine Stiefgroßnichte der Kardinalsgeliebten habe ihr bei einer wissenschaftlichen Tagung von dem Nachlass berichtet und ihn zur Bearbeitung bereitgestellt, schreibt Leugers. Sie selbst habe einen Koffer mit den Dokumenten nach der Auswertung im Dezember 2013 dem erzbischöflichen Archiv in München übergeben. Dort liegen die Unterlagen nun.

Bösmillers Notizen wirken mitunter wie Wortlautprotokolle, die nach den Treffen mit Faulhaber verfasst wurden. Sie schreibt Äußerungen ihres Besuchers in direkter Rede auf, als ob sie diese Gespräche festhalten wollte, um sich bei der Lektüre immer wieder dieser innigen Beziehung zu vergewissern. Der Münsteraner Kirchenhistoriker und Bestsellerautor Hubert Wolf warnt allerdings davor, diese Aufzeichnungen vorschnell als vollkommen authentisch zu betrachten. Zum Handwerk des Geschichtswissenschaftlers gehöre, "bei so einer brisanten Quelle die Gegenüberlieferung zu suchen, die es in Faulhabers Nachlass ja tatsächlich gibt". Beide Quellen seien dann kritisch abzugleichen. Gleichwohl beglückwünscht Wolf Antonia Leugers "zum Fund dieser tollen Quelle". Sie öffne durchaus neue Zugänge zu Michael von Faulhaber.

Bald begannen sie sich zu duzen

Der Kardinal zählte bereits 68 Jahre, als ihm die ledige Lehrerin erstmals begegnete. Die Frau war 17 Jahre jünger als er, laut Leugers besuchte sie im Januar 1938 eine Sprechstunde des Kardinals. Mehrere Jahre zuvor hatte er Texte der promovierten Germanistin gelesen, die ihn beeindruckt hatten. Denn Franziska Bösmiller war von der protestantischen zur katholischen Konfession konvertiert. Darüber schrieb sie.

Antonia Leugers schildert die gebürtige Kitzingerin als "in jeder Hinsicht modernen Typ einer unabhängigen akademisch hoch gebildeten, berufstätigen" Frau, die ebenso aufs Oktoberfest ging wie an den See zum Baden - was für Katholikinnen noch keineswegs selbstverständlich war. Wenn Faulhaber Post an sie mit "Fräulein Bösmiller" adressierte, verbat sie sich das. Sie wollte "Frau" genannt werden.

Der ältere Kardinal faszinierte sie, das belegen ihre Notizen unzweifelhaft. Und wenn auch stimmt, was sie über Faulhaber stenografierte, dann faszinierte sie ihn ebenfalls. Er betreute sie zunächst als Seelsorger, sie ordnete seine Bibliothek und zeichnete seine Reden bei öffentlichen Auftritten auf und seine Predigten. Aus der Seelsorge wuchs offenbar persönliches Interesse. Bald duzten sie sich.

Ende Dezember 1940 notiert Franziska Bösmiller, Faulhaber mache ihr Komplimente wegen ihrer Schönheit. Dann zitiert sie ihn wieder wörtlich: "Wenn ich nachts lange wach bin, dann träume ich von unserem Zusammensein - von Dir!" Die Abschiedsszene in diesem Eintrag klingt höchst romantisch: "Als er mich liebkost, schaue ich auf das Bild seiner Mutter - ich wage zu sagen: ich möchte dir Kraft geben - aber es ist überspannt, das zu sagen - und er hat mich weiter lieb."

In diesem Eintrag treten auch die Schwierigkeiten einer solchen Geheimbeziehung zutage. Sie können sich nicht oft sehen. Die vielen Verpflichtungen... Und auffällig wäre es vielleicht auch. Man verabredet geheime Zeichen, dreimal Läuten, wenn er sie besucht. Grundsätzlich sind Donnerstage am günstigsten, Leugers verzeichnet bis Kriegsende neun Nachmittagsbesuche des Erzbischofs.

Sie bedenken sich mit kleinen Souvenirs. Im Juli 1942 turteln sie laut Bösmillers Tagebuchnotizen wieder.

Sie: "Ich freue mich, daß Du jeden Tag meinen Kamm in die Hand nehmen mußt."

Er: "Ja, heute früh hat die Schwester gesagt: da steht ja 1.40 darauf! Das macht nichts." Faulhaber wurde von Nonnen umsorgt, Bösmiller hatte offenbar das Preisschild auf dem Geschenk gelassen. Wenn sie sich beim Stenografieren nichts zusammenfantasierte, sagt der Kardinal dann: ihre Aufzeichnungen "Das ist die wahre Schönheit - die Schönheit von Geist und Körper - diese Vereinigung. Daß Du so bist, daß Du da bist - daß du da bist in Atem deiner Seele und deines Lebens - darum liebe ich Dich so - meine Franziska!" Darauf sie: "Sage zum 1. Mal seinen Namen, vor dem ich so viel Ehrfurcht habe!" Sie fragt ihn nach seiner Liebe. "Nein", sagt er, "so habe ich noch nie geliebt!"

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In Franziska Bösmillers Notizen hat diese Liebesszene eine geradezu fromme Innigkeit: "Und wir schweigen so viel miteinander wie noch nie - Aber es ist das ein großes Ausruhen. - Und die Zeit verfliegt."

Die Unterhaltung klingt naiv. Er: "So eine ganze Nacht - glaubst Du, daß wir schlafen würden?" - Sie: "Doch - ich glaube es auch, daß wir zuletzt ein paar Stunden plaudern, dann ein paar Stunden schlafen und dann morgens wieder plaudern würden." Einer von beiden sagt dann: "Ich habe mir immer gedacht, daß sich Eheleute, die sich vereinigt haben nachts, morgens voreinander schämen würden - doch nun weiß ich, daß es das Natürlichste ist - das ist eben die innigste Form des Zusammenseins - wir haben unsere Grenzen, die wir einhalten, gelt! Du!"

Später soll Faulhaber bei einem Besuch gesagt haben: "Ich überlege eben, wie wir die Wohnung einteilen würden, wenn..." Wer den Satz mit "wir zusammenleben dürften" vervollständigt, liegt kaum falsch.

Im Tagebuch des Kardinals heißt Franziska Bösmiller meist nur "Dr. Malmolitor"

In der Gegenüberlieferung, in Faulhabers Tagebüchern, lassen sich einzelne Treffen mit Bösmiller verifizieren. Die Aufzeichnungen des Kardinals werden gerade in einem umfangreichen Forschungsprojekt des Erzbistums, des Instituts für Zeitgeschichte und des von Hubert Wolf geleiteten Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Uni Münster erfasst und ediert. Faulhabers Notizen zu Bösmiller fallen wesentlich knapper aus als umgekehrt. Er spricht meistens von Dr. Malmolitor. Faulhaber neigte dazu, Namen zu latinisieren. "Mal" ist die Abkürzung für das lateinische Wort "malus", das unter anderem "böse" heißt, und "molitor" heißt Müller.

An Antonia Leugers' Aufsatz bemängelt Hubert Wolf, dass sie den Eindruck erwecke, "als ob Faulhaber bestimmte Sätze eindeutig so gesagt hätte, wie Bösmiller sie niederschrieb". Das sei zwar möglich. Doch ebenso sei es möglich, dass "sie seine Aussagen übertrieb, dass sie sie herunterspielte oder dass sie in ihre Notizen unbewusst das hineinprojizierte, was sie zu hören glaubte". Wolf hofft auf Hinweise in den Tagebüchern des Kirchenfürsten.

Einfach wird die Suche kaum. Im April 1943 zum Beispiel schreibt Bösmiller von einer gemeinsamen Stunde im erzbischöflichen Palais. "Unsere Herzen stärken einander", schreibt sie. "Ich denke am Abend an Dich - das habe ich Dir ja versprochen - beim Rosenkranz - und beim Spaziergang", zitiert sie ihn. Im Tagebuch Faulhabers ist der Eintrag ausgerechnet zu diesem Tag herausgeschnitten.

Im Jahr 1950 scheint Faulhabers Zuneigung abgeebbt zu sein. Weil er kurz angebunden ist, sei Malmolitor "beleidigt", notiert er im Januar jenes Jahres. Und im Oktober schreibt er, sie sei nur "mit Mühe wegzubringen - unter Tränen". Michael von Faulhaber stirbt im Juni 1952, Franziska Bösmiller lebt noch bis 1983. Einzelne Zeitungsberichte über ihren geliebten Kardinal sammelte sie.

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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