Tragödie
Goetheteilchen-Beschleuniger
Habe nun, ach! Teilchenphysik durchaus studiert, mit heißem Bemühen - das können wahrscheinlich die meisten Wissenschaftler der Schweizer Forschungseinrichtung Cern behaupten; stammt doch aus ihrer Hand der weltgrößte Teilchenbeschleuniger. Da witterten einige dem Defätismus verfallenen Vereinigungen gleich den Gau: die ganze Welt könne in ein schwarzes Genfer Loch aufgesogen werden! Bis jetzt aber sitzt zumindest das Münchner Volkstheater nach wie vor im weiß-blauen Loch und gibt seine Antwort auf Cern, Globalisierung, Popkultur und Machtstreben: Simon Stolberg inszeniert Goethes Faust, oder zumindest das, was davon übrig blieb.
Denn der erst 29-jährige Regisseur, der mit seiner Don-Quijote-Inszenierung in diesem Jahr zum Nachwuchsfestival "radikal jung" eingeladen war, bringt kaum einen Text auf die Bühne, ohne ihn vorher historisch zu entladen, auf unsere Zeit zu polen und mit Gags und Klamauk zu elektrifizieren.
In diesem Spannungsfeld findet sich nun auch Heinrich Faust (Jan Viethen) wieder, der mit seinem Teilchenbeschleuniger und den fünf Forscher-Kollegen nach dem sucht, was "die Welt im Innersten zusammenhält". Und kommt gleich zur Sache, ohne langwierigen Eingangsdialog über das Theater, aber dafür mit scharfen, schnellen Witzen, die so vielleicht nicht ganz im Original stehen, dafür umso mehr als Goethebeschleuniger wirken.
"Größtenteils werden aber immer noch die Texte verwendet, die so auch in der Tragödie stehen", so die Dramaturgin Katja Friedrich, aber "weggestrichen und umgebaut wurde schon einiges". Und auch auf der Bühne wird viel umgebaut, jedoch nicht materiell, sondern personell: Die Forschergruppe löst sich schnell ins Abstrakte auf, um als Gretchen (Barbara Romaner) oder multipler Fünfer-Mephisto auf Faust einzuwirken, der sich den anziehenden Versuchungen der Gegenwart stellen muss: Berühmtheit als Popstar, die wirtschaftliche Weltherrschaft als Global Player. Was von alledem aber macht glücklich? Das Volkstheater hat bestimmt eine elementare Antwort parat.
Faust, nach J. W. Goethe. Premiere: Do., 2. Okt., 19.30 Uhr, Volkstheater, Brienner Str. 50, 5234655
(SZ-Extra vom 2. Oktober 2008/Matthias Weigel/jh) Foto: Gabriela Neeb