Theater
Geschieht dir recht!", heißt das Motto, unter dem die brandneue Spielzeit an den Kammerspielen steht - oder doch: "Geschieht dir Recht?". Freilich spielen die Theatermacher mit der Doppeldeutigkeit dieser Worte. Und Andreas Kriegenburg darf als erster ihrer Virtuosen unter Beweis stellen, wie weit man dieses Spiel treiben kann.
Er hat sich Franz Kafkas Roman-Fragment "Der Prozess" dafür vorgenommen, literarisches Material, das schon häufiger für eine Transformation in Film oder (musikalisches) Bühnenwerk benützt worden ist. Und wer einen Blick auf die ersten Szenenfotos werfen darf, sieht es auf Anhieb: Kriegenburg hat visuelle Anleihen beim Stummfilm genommen.
"Der verkörpert die Ästhetik aus Kafkas Zeit - er hat den Roman zwischen 1914 und 1915 geschrieben", sagt Dramaturg Matthias Günther. "Außerdem schätzt Kriegenburg schätzt den Slapstick Buster Keatons sehr".
Der Komiker mit dem betont ernsten und immer stoischen Gesichtsausdruck ist auch das Vorbild für Maske und Darstellung dieses Herrn "K.", dem hier "Der Prozess" gemacht wird. Respektive der Ks im Plural. Denn Andreas Kriegenburg schickt K. - den Bankbeamten und Pensionsuntermieter, der eines Morgens aus unerfindlichen Gründen verhaftet und abends hingerichtet wird - nicht als Einzelnen, sondern als Kollektiv auf die Bühne.
Und die hat's in sich: Sie besteht unter anderem aus einer Drehbühne, die sich senkrecht kippen lässt. Stühle, Tische und Schauspieler kippen mit ihr. Doch ist das Mobiliar im Gegensatz zu Letzteren an der Platte festgeschraubt.
In der Folge "waren die Proben am Anfang ganz schön anstrengend", erzählt Katherina Schubert, die als eines der Ks zudem in viele verschiedene Rollen schlüpft. Die der ungeheuer interessant lasterhaften Mitbewohnerinnen Ks zum Beispiel.
Doch mittlerweile, so sagt sie, hätten alle Schauspieler die "nötigen Muskeln" für den massiven Körpereinsatz, den dieses Agieren an der Steilwand samt Kaffeetasse und Sitzplatzwechsel erfordert.
"Dieser Prozess", sagt Katharina Schubert, "könnte theoretisch ja auch im Schlecker spielen" - der aktuellen Bezüge gäbe es genug. "Aber unser K. ist aus jeder Zeit und Logik gefallen, er ist alptraumhaft nur in seiner eigenen Welt eingesperrt". Matthias Günther nennt den Zustand trefflich "Kopfgefängnis", doch der Dramaturg betont auch, dass damit "Der Prozess" keinesfalls auf die psychologische Auslegung des Stoffes beschränkt werden soll.
Das wäre ja auch viel zu eindimensional bei so brillanter Ausnützung des Theaterraumes. 3D-Kino war gestern.
Der Prozess, Premiere: Do., 25. Sept., 19.30 Uhr, Kammerspiele, Schauspielhaus, Maximilianstr. 28, 21839182.
Susanne Hermanski
Foto: dpa
(SZ Extra vom 25.09.2008)