Ausstellung
Nicht echt, aber umso wahrer: Die Galerie Schöttle präsentiert den Kanadier Jeff Wall, einen Meister zeitkritischer Inszenierungen
Der Mann, der an einer Straßenkreuzung in der Peripherie von Vancouver sitzt, scheint hier seit Stunden, Tagen, Ewigkeiten zu verharren. Alles an ihm zeugt von seiner Herkunft: das von der Sonne gegerbte Gesicht, die abgetragenen Stiefel, die alte Jacke. Ein Arbeiter, ein Ausgegrenzter, dem ein Dolch im Rücken zu stecken scheint. Dennoch wirkt er gelassen. Auf dem Hügel über den Industriezonen der Stadt hat der Fotograf ihn zum einzigen Denker, zum Philosophen im Gewirr der kapitalistischen Zeitläufte geadelt.
"The Thinker" nimmt Bezug auf Rodins "Denker" und auf Dürers Entwurf zu den gescheiterten Bauernaufständen ("Die Bauernsäule"). Doch bei Jeff Wall hat der Mensch seine Würde gerettet.
In der Tat bezieht sich der Kanadier in vielen seiner Arbeiten auf die Malerei, die er studiert hat, doch er arbeitet wie ein Regisseur. Für eine Einstellung vergehen Wochen, manchmal Monate, in denen er an Details feilt, auf kleinste Veränderungen achtet, am Licht arbeitet. Dass er Großbilddias verwendet, die er am Computer bearbeitet, auf riesige Formate vergrößert und in Leuchtkästen präsentiert, verstärkt den cinematografischen Eindruck. Man fühlt sich hineingesogen in die Szenerie - obwohl sie doch nur aus einem einzigen, wie für die Ewigkeit eingefrorenen Moment besteht.
Rüdiger Schöttle hat Jeff Wall 1981 erstmals in Europa präsentiert (für die Ausstellung "Westkunst" in Köln) und zeigt zum 40-jährigen Bestehen seiner Galerie sieben Arbeiten aus jener Zeit.
"Woman and her Doctor" etwa, das eine psychoanalytische Sitzung ironisiert. Oder "Picture for woman" von 1979, eine selbstreflexive Arbeit, die sich auf Manets Bild "Un bar aux Folies-bergère" bezieht. Wall hat sein Modell in eine kühle Laborsituation platziert. Der junge Künstler drückt auf den Fern-Auslöser seiner Großbildkamera, während die nachdenkliche Frau durch den Zuschauer hindurch ins Leere blickt - selbstbewusster als bei Manet, sie ist ein Kind der siebziger Jahre, abgelichtet von einem der größten Künstler seiner Zunft.
Jeff Wall ,,Works 1979-1990'', Galerie Schöttle, bis 24. Januar, Amalienstraße 41/Rgb., 33 36 86
Text: Martina Scherf Foto: courtesy Galerie Schöttle