Süddeutsche Zeitung

Veranstaltungsräume:Stadt hält Boykott-Kampagne gegen Israel für antisemitisch

  • Die Stadt München wird nicht mit der umstrittenen BDS-Bewegung zusammenarbeiten.
  • Mit einem Beschluss aus dem Rathaus soll sich die Stadtverwaltung nun selbst die Arbeit erleichtern.
  • Mit neuen Klauseln soll es künftig einfacher sein, Mietverträge fristlos zu kündigen oder öffentlich-rechtliche Überlassungen zu beenden.

Von Jakob Wetzel

In der Auseinandersetzung um Veranstaltungen zum Nahost-Konflikt in München steht eine Entscheidung bevor: Nachdem im Juli die Stadtratsfraktionen von SPD und CSU gefordert hatten, die Stadt solle sich gegen Antisemitismus, konkret gegen die anti-israelische Kampagne "Boycott, Divestment, Sanctions" (BDS) stellen, liegt jetzt die vom Direktorium der Stadt ausgearbeitete Beschlussvorlage vor.

Es gehe um die historische Verantwortung Münchens, schreibt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Die Stadt solle zunächst die "Arbeitsdefinition Antisemitismus" anerkennen, die 2004 von der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erarbeitet wurde und die unter anderem von der Bundesregierung befürwortet wird: Solange Kritik an Israel vergleichbar ist mit der an anderen Ländern, gilt sie demnach nicht als antisemitisch. Die Grenze werde überschritten, wenn etwa das Recht des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung bestritten werde.

Auf 16 Seiten begründet Reiter, warum die BDS-Kampagne antisemitisch sei; dazu analysiert er den Boykottaufruf von 2005 sowie Äußerungen führender Repräsentanten. So fordere die Kampagne etwa ein Ende der "Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes", womit das gesamte Staatsgebiet gemeint sei, sowie ein Rückkehrrecht aller palästinensischen Flüchtlinge inklusive ihrer Nachkommen.

Damit sei die Existenz Israels als jüdischer Nationalstaat in Abrede gestellt. Zudem dämonisiere die Kampagne Israel und vergleiche dessen Politik mit derjenigen der Nazis. Eine Kooperation mit BDS-Befürwortern dürfe es nicht geben, weder in Form von Zuschüssen noch durch die Bereitstellung städtischer Räume.

Mit dem Beschluss soll sich die Stadtverwaltung nun selbst die Arbeit erleichtern. Tatsächlich wehrte sie sich zuletzt wiederholt gegen einzelne Veranstaltungen etwa im städtischen Kulturzentrum Gasteig. Mal aber gab es Bedenken, ob eine Kündigung rechtlich vertretbar sei, mal musste der Gasteig eine Kündigung vor Gericht zurücknehmen. Mit neuen Klauseln soll es künftig einfacher sein, Mietverträge fristlos zu kündigen oder öffentlich-rechtliche Überlassungen zu beenden.

Mit seinem Einsatz gegen die BDS-Kampagne steht München nicht alleine da: Bereits im September beschloss das schwarz-rot-grün regierte Frankfurt am Main, die Kampagne zu ächten. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) kündigte jüngst an, dem Beispiel zu folgen. Und im Oktober erklärten die bayerischen Grünen auf ihrer Landesdelegiertenkonferenz, die Boykott-Kampagne sei "als antisemitisch, israelfeindlich, reaktionär und antiaufklärerisch zu bewerten".

Dennoch gibt es an dem Münchner Antrag auch Kritik. Umstritten ist vor allem, was die BDS-Kampagne bezweckt: Unterstützer sagen, die Forderung nach dem Ende der "Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes" beziehe sich lediglich auf diejenigen Gebiete, die sich seit 1967 unter israelischer Hoheit befinden.

Widerstand regt sich allen voran bei den Initiativen, die selbst in der Kritik stehen, etwa bei der "Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe", die zu den BDS-Unterstützern zählt. Ein von ihr organisierter Vortrag über den Boykott im Gasteig brachte die Stadtspitze 2015 überhaupt erst dazu, sich zu positionieren - dass sie das Existenzrecht Israels leugne, weist die Initiative indes empört von sich. Unterstützt wird sie von einem Aufruf namens "Hände weg von der Meinungsfreiheit in München", den Hunderte Bürger, darunter einige Kulturschaffende, unterzeichnet haben.

Auch Fuad Hamdan protestiert; der gebürtige Palästinenser stand 2014 als Veranstalter der Münchner "Palästina-Tage" in der Kritik, weil er in einem Flyer vom "Genozid" Israels an den Palästinensern geschrieben hatte. Jetzt sagt er, der Stadtrat wolle ein Grundrecht antasten, "um die Politik eines Staates, der ganz offen das Völkerrecht missachtet und die Menschenrechte permanent verletzt, vor berechtigter Kritik zu schützen". Auch der Regionalverband der "Humanistischen Union" warnt, CSU und SPD wollten "die vom Grundgesetz geschützte Meinungsfreiheit in städtischen Räumen" einschränken.

Reiter widerspricht dem explizit: Die Meinungsfreiheit sei nicht betroffen, heißt es im Entwurf: Schließlich leite sich aus dem Grundrecht keine staatliche Pflicht ab, Meinungen Gehör zu verschaffen. Die Stadt müsse nicht jedem Bürger für jede beliebige Meinungsäußerung eine Infrastruktur bereitstellen.

Doch selbst innerhalb der Stadtverwaltung ist umstritten, worum es der Boykott-Kampagne geht. In einer Stellungnahme schreibt etwa das Kulturreferat, BDS sei keine Partei, deren Mitglieder ihre Forderungen gemeinsam ausgehandelt hätten. Es handele sich vielmehr um eine "vielschichtige Bewegung, die von Menschen mit durchaus unterschiedlichen Zielen unterstützt wird", die man nicht alle pauschal als antisemitisch einstufen dürfe.

Zudem seien die Ziele der Kampagne, besonders die Forderungen nach einem Ende der Besatzung und nach gleichen Bürgerrechten, grundsätzlich nicht verwerflich. Nur die Maßnahmen, Boykott und Sanktionen, seien inakzeptabel. Im Raum stehen zudem juristische Bedenken. Die Frankfurter Stadtverordneten stimmten ihrem Antrag nur unter dem Vorbehalt zu, dass der Magistrat prüfe, "ob und wie die Inhalte der Vorlage umzusetzen sein könnten". In München soll demnächst der Personal- und Verwaltungsausschuss des Stadtrats über den Vorstoß beraten.

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Quelle:
SZ vom 13.11.2017/ebri
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