Süddeutsche Zeitung

Veränderte Einstellung:Die Macht der Tracht

Dirndl und Lederhose waren einst Zeichen eines konservativen Weltbilds. Heute sehen viele junge Menschen in ihnen ein eher identitätsstiftendes Symbol

Von Josef Wirnshofer

Früher, sagt Sepp Stückl, hätten die Leute abweisend reagiert. Hätten gesagt, dass sie atypisch seien. Dass sie die Tracht missbrauchten. Dass es ihnen nicht zustehe, sie zu tragen. Heute ist das anders. Heute gehören die Schwuhplattler zum bayerischen Kulturbetrieb. Treten beim Christopher Street Day (CSD) in München genauso auf wie bei der Feier zu 500 Jahren Reinheitsgebot. Platteln in Hamburg, Rom, Philadelphia. Weil sie Tracht tragen, schuhplatteln und schwul sind.

Aus dem Keller von St. Willibrord, einer Kirche an der Münchner Blumenstraße, dringt Volksmusikalisches vom Akkordeon. Dazu ein scharfes Schnalzen, das entsteht, wenn die Handfläche auf die Lederhose trifft. Alle zwei Wochen proben die Schwuhplattler hier. An einem Freitagabend im Juli sind neben dem Vereinsvorstand Sepp Stückl 23 andere Männer gekommen. Auch Benjamin Stein, 30, einer der Jüngsten. Drei Stunden lang plattelt er Tänze wie den "Ruhpoldinger" oder den "Ammerseer". Lässt seine Haferlschuhe durch die Luft schnellen, die Absätze auf den Boden knallen. Und, bei bestimmten Tänzen, drehen sich die Plattler paarweise ein, gehen auf die Knie und geben sich ein Bussi. Wie es Brauch ist.

Die Schwuhplattler zeigen, wie Traditionen in München neu verstanden werden

Die Schwuhplattler zeigen beispielhaft, wie bayerische Traditionen in München neu verstanden werden. Wie Menschen sie divers und weltoffen besetzen. Benjamin Stein kommt aus dem Rheinland, ist mit dem Karneval aufgewachsen, mit dem er nie viel anfangen konnte. Nachdem er für die Arbeit nach München gezogen ist, hat er die Schwuhplattler beim CSD gesehen. Hat sich für die Anfängerprobe angemeldet und ist dabeigeblieben. Ein Jahr ist das her. Am Platteln gefällt ihm vor allem die Traditionspflege. Am Anfang hätten sich Familie und Freunde schon gewundert über sein neues Hobby. "Mittlerweile finden sie es aber total interessant, wenn ich ihnen Fotos oder Videos von unseren Auftritten zeige", sagt Benjamin.

Schwuhplattler-Vorstand Sepp Stückl kommt aus Uffing und ist Trachtler seit seiner Jugend. In den Neunzigerjahren hat der 64-Jährige beim Weggehen in München regelmäßig schwule Männer kennengelernt, die auch geplattelt haben. So kam ihm die Idee, dass man das doch mal zusammen machen könnte. Und weil die erste Probe so eine Gaudi war, weil immer mehr Männer mitmachen wollten, haben sie beschlossen, sich regelmäßig zu treffen. 1997 war das, vier Jahre später gründeten sie ihren Verein: "D'Schwuhplattler e.V."

Schwule Trachtler - für den Trachtenverband und andere Vereine war das zu der Zeit nicht vorstellbar. Außerdem geisterten in den Köpfen allerlei krude Vorstellungen: "Die dachten, wir würden in rosa Lederhosen auftreten, als wären wir eine Faschingstruppe", sagt Stückl. Dabei nehmen die Schwuhplattler ihre Tracht sehr ernst. Das historische Gewand - Dirndl und Lederhosen - ist eines der strahlkräftigsten Symbole für München und Bayern. "Diese Bildsprache wussten schon die Wittelsbacher im 19. Jahrhundert einzusetzen", sagt Simone Egger. Die Münchner Kulturwissenschaftlerin lehrt an der Universität Innsbruck. Für sie haben die Bayernbilder von heute ihren Ursprung vor gut 200 Jahren. Als Bayern Königreich wurde und die Wittelsbacher nicht mehr nur Altbayern, sondern auch Franken, Schwaben und die Pfalz zu regieren hatten. "Da brauchte es Bilder, mit denen sich die gesamte Bevölkerung identifizieren konnte, auch die neuen Bürgerinnen und Bürger", sagt Egger. Eines davon: Schon beim ersten Oktoberfest 1810 ließ Kronprinz Ludwig Kinderpaare in Tracht auflaufen.

Dass Tracht neu verstanden wird, fing für Egger um 2000 an, als es nicht gängig war, in Lederhosen und Dirndl auf die Wiesn zu gehen. Wiederbelebt wurde die Tracht vor allem von jungen Menschen, "für die der Lodenmantel nicht mehr automatisch für die CSU und für konservative Politik stand", sagt Egger.

Die Münchner Selbstinszenierung steht auf vier Pfeilern: höfische Pracht, technischer Fortschritt, Kunst und eben Volkstümliches - Maximilianstraße, BMW, Staatsoper und Biergarten. Als zu den Olympischen Spielen 1972 die ganze Welt nach München blickt, präsentiert die Stadt nicht nur ein Olympiagelände, das damals architektonische Avantgarde ist. Natürlich spielt bei der Eröffnungsfeier eine Blaskapelle, tragen die Hostessen Dirndl, sind schuhplattelnde Trachtler dabei. Bis heute fehlt "das Bayerische" bei keinem Staatsempfang. "Ich glaube, inzwischen sind diese Bayernbilder wie eine Cloud zu verstehen", sagt Simone Egger. "Man kann sich was runterladen und dann seinen eigenen Entwurf wieder einspeisen."

Ein solcher Entwurf sind auch die afrikanischen Dirndl von Noh Nee. Rahmée Wetterich und ihre Schwester Marie Darouiche bieten seit 2011 Trachtenkleider an, die nach afrikanischem Vorbild gestaltet sind. In ihrem Laden an der Hans-Sachs-Straße findet man Dirndl, auf denen die Farben tänzeln, deren Muster den Stoff kaleidoskopisch auffächern und das traditionelle bayerische Gewand neu interpretieren. Entstanden sind sie spontan. Marie Darouiche hatte eine Modenschau geplant, ihre Kinder meinten, sie solle doch mal ein Dirndl nähen. "Und plötzlich kamen Besucher zu mir und haben gesagt, dass sie ihrer Frau gerne so ein Kleid kaufen würden", sagt Rahmée Wetterich.

"Mein Vater ist Kurde, meine Mutter aus Kamerun, wir haben immer zwischen den Kulturen gelebt", sagt Wetterich. Vor zwei Wochen kam ein älteres Ehepaar in ihren Laden. Die Frau im Dirndl, der Mann in Lederhosen, Hut und Gamsbart. Sie betreiben ein Dirndl-Museum in Niederbayern. "Im ersten Moment habe ich mich gefragt: Wie sind die denn auf uns gekommen?", sagt Rahmée Wetterich. Nach wenigen Sätzen ging es aber schon um die Farbe, die Länge des Kleides, die Details. "Wenn etwas wirklich schön und authentisch ist, finden die Bayern es gut", sagt Wetterich, "dann ist es egal, woher es kommt".

"Ich denke, dass Bilder wie das Dirndl deshalb so gut funktionieren, weil sie einerseits etwas Vertrautes haben und andererseits neu belegt werden können", sagt Simone Egger. Die Tracht sei ein identitätsstiftendes Symbol, das offen für die verschiedensten Lebensentwürfe ist - als ein Zeichen, das jenseits von Sprachgrenzen funktioniert. "Wenn dem nicht so wäre, wären diese Bilder in Zeiten von Social Media nicht so wahnsinnig populär", sagt Egger. "Die Menschen bringen über dieses Bayerische zum Ausdruck, dass sie Teil einer bestimmten Gemeinschaft sein wollen."

Mehr als zwei Stunden haben die Schwuhplattler geprobt. Dann ist Schluss. Die Männer streifen ihre Lederhosen wieder ab, ziehen ihre Haferlschuhe aus. Benjamin Stein trocknet sein Gesicht mit einem Handtuch. Das Platteln, sagt er, sei für ihn mehr als ein Hobby: "Für mich ist das auch ein Ausdruck, dass ich Münchner bin."

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Quelle:
SZ vom 30.07.2016
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