Sendling:Münchens erste vegane Kita wehrt sich gegen Kritik

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In der Erdlinge-Kita sind tierische Produkte tabu. (Foto: dpa)

Münchner Eltern wollen eine vegane Kindertagesstätte eröffnen, Kritiker werfen ihnen Kindesmisshandlung vor. Einige Initiatoren antworten, andere lässt das kalt.

Von Lea Weinmann, Sendling

Eine Gruppe von Münchner Eltern schließt sich zusammen, um eine Kindertagesstätte zu gründen. So weit, so gewöhnlich. Der Kindergartenverein "Erdlinge" hat es dennoch geschafft, bereits Monate vor seiner Eröffnung in ganz Deutschland von sich reden zu machen und das hängt - wenn man es auf den Kern der Sache herunterbricht - an einem einzigen Adjektiv, das die Tagesstätte beschreibt: vegan. Tierische Produkte sollen dort nicht auf den Tisch kommen.

Als die Nachricht des ersten veganen Kindergartens in München Ende Mai die Runde macht, überschlagen sich die Medien mit Schlagzeilen und Kommentarartikeln. Die Reaktionen in den sozialen Netzwerken lassen nicht lange auf sich warten. Wenn es um Ernährung geht, hat jeder eine Meinung: Die einen verkünden eine "Generation der neuen Werte", andere sprechen von "Kindesmisshandlung", fordern gesetzliche Verbote und attestieren Veganern "sektenähnliche Züge", da sie sich "immer mehr separieren" würden.

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Der Aufschrei in den Kommentarspalten der sozialen Medien lässt Anna-Sophie Staudacher kühl. Die Softwareentwicklerin aus München gehört zusammen mit ihrem Mann Markus dem Vorstand der Elterninitiative an, die den Verein im Dezember 2017 gegründet hat. Staudacher hatte "nicht das Gefühl", auf die negativen Kommentare reagieren zu müssen, sie habe sie stattdessen einfach ignorieren wollen. "Andere Eltern hat das aber mehr getroffen", sagt sie. Deshalb hat sich der Verein entschlossen, dagegenzuhalten: Auf ihrer Website greifen die "Erdlinge" die häufigsten kritischen Aussagen auf und beziehen dazu Stellung. Vor allem denjenigen, die sich wirklich dafür interessieren, wolle man damit eine Möglichkeit geben, sich zu informieren, so Staudacher. "Erfahrungsgemäß verirren sich aber die wenigsten Kritiker auf unsere Website - ist vielleicht auch ganz gut so."

Zurück auf Anfang. Zurück zu dem Zeitpunkt, als die Idee des eigenen Kindergartens "aus der Not heraus" entstand, wie Anna-Sophie Staudacher sagt. Sie und ihr Mann leben vegan. Ihre Tochter, heute 20 Monate alt, ebenfalls. Sie soll einen Kindergarten besuchen, in dem sie "viel rauskommt" in die Natur. Ein Kindergarten, den das Kind nicht "als bunter Mensch" betrete und "als rosa Prinzessin Lillifee" wieder verlasse. Hinzu kam der Wunsch nach veganer Kost. Viele Ansprüche, wenige Möglichkeiten: "Wir haben schnell gemerkt, dass es einen Kindergarten in dieser Konstellation einfach nicht gibt."

Kinder sollen frei von "Schubladendenken" aufwachsen

Was nicht existiert, muss eben geschaffen werden, also finden sich die Staudachers und sechs weitere Eltern zusammen und gründen im Dezember 2017 den Verein als Träger des Kindergartens. Acht Monate später haben sie den Mietvertrag für ein Gebäude in Sendling schon unterschrieben, der Antrag für die baulichen Änderungen wartet noch auf die Genehmigung des Baureferats. Aus den ursprünglich acht aktiven Elternmitgliedern sind 20 geworden. Im November soll der Kindergarten eröffnen.

Ihre "Philosophie" erläutert die Elterninitiative ausführlich auf ihrer Webseite. Ganz oben steht der Begriff "Toleranz": Die Kinder sollen "frei von Schubladendenken" aufwachsen, heißt es da, sie sollen "Geschlechterrollen und Klischees" hinterfragen können. Weiterer wichtiger Grundpfeiler sei die Verbundenheit mit der Natur, weshalb die Kinder mindestens vier Tage der Woche im Freien verbringen sollen - egal bei welchem Wetter. Die Lage des Kindergartens, wenige hundert Meter von den Isarauen entfernt, kommt diesem Vorsatz gelegen.

Und dann gibt es da eben noch die vegane Ernährung: Den Kindern werde man ein "vollwertiges, pflanzliches Bio-Mittagessen" anbieten. Das Essen wird von einem Bio-Caterer geliefert und nur, weil es sich um Bio-Kost handele, sei es in der Kita "Erdlinge" etwas teurer, so Staudacher. 250 Euro im Monat plus Essensgeld zahlen Eltern für die achtstündige Ganztagesbetreuung ihrer Kinder - das sind 90 Euro mehr als die aktuelle Gebühr in den städtischen Kindergärten Münchens.

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Ob die Familie zu Hause ebenfalls aus Vollblut-Veganern besteht, spiele für die Aufnahme keine Rolle: "Wir haben einige Kinder, die zu Hause Milch trinken oder Fleisch essen", sagt Staudacher. Wichtig sei nur, "dass man mit unseren Grundwerten übereinstimmt". Unterm Strich geht es bei den "Erdlingen" also nur um fünf vegane Mahlzeiten pro Woche - jeweils ein Mittagessen von Montag bis Freitag. Der Verein will deswegen auch nicht die komplette Verantwortung für die ausreichende Nährstoffversorgung der insgesamt 18 Kindergartenkinder übernehmen.

Der in der Öffentlichkeit entfachte Streit dreht sich nun aber um die grundsätzliche Frage, ob eine ausschließlich vegane Ernährung von Kindern - wie bei den Staudachers und ihrer Tochter - gesund ist oder zu Mangelerscheinungen führt. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat eine klare Haltung. In einem Positionspapier formulierte sie im Jahr 2016: "Für Schwangere, Stillende, Säuglinge, Kinder und Jugendliche wird eine vegane Ernährung nicht empfohlen."

Für das Ehepaar Staudacher ist das alles "kein Hexenwerk". Ihre knapp zweijährige Tochter sei "super entwickelt". Seit ihrer Geburt beugen ihre Eltern dem Mangel an Vitamin B 12 mit Nahrungsergänzungsmittel vor - in ihrem Fall in Form von Traubenzucker-Bonbons. "Die liebt sie heiß und innig", so die Mutter. Wichtig sei nur, dass man sich richtig informiert. Die Einschätzung der DGE hält Anna-Sophie Staudacher für "zurückgeblieben". Sie fuße allein auf der Argumentation, dass Veganer "zu blöd" seien, Nahrungsergänzungsmittel zu konsumieren. Dabei seien die schon lange in der Gesellschaft angekommen: "Über Jodsalz und Fluorid-Zahnpasta regt sich keiner auf."

© SZ vom 28.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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