So war das große Kunstwochenende in MünchenEin Hauch von Berlin

Lesezeit: 4 Min.

Den Denker nach Rodin konnte man noch recht leicht erkennen bei der Performance „Attention“ von Göksu Kunak im Luitpoldblock. Die nächtliche Aktion war der schräge Auftakt zum Kunstwochenende von Various Others in München.
Den Denker nach Rodin konnte man noch recht leicht erkennen bei der Performance „Attention“ von Göksu Kunak im Luitpoldblock. Die nächtliche Aktion war der schräge Auftakt zum Kunstwochenende von Various Others in München. (Foto: Sophie Wanninger)

Die Kunstinitiative Various Others hat bei der diesjährigen Ausgabe vieles verändert und ein riesiges Rahmenprogramm im Bayerischen Hof veranstaltet. Hat es sich gelohnt?

Von Evelyn Vogel

Irgendwann sagte jemand, das sei ja fast so, als ob man in Berlin den Künstlern erlauben würde, das Adlon zu zerlegen. Das war zwar mächtig übertrieben. Denn „zerlegt“ wurde der Bayerische Hof ganz und gar nicht. Aber im Laufe des Abends sah man doch mal das besorgte Gesicht von Hotelinhaberin Innegrit Volkhardt, die sich womöglich fragte, ob das so eine gute Idee war, der Kunstinitiative Various Others ihr Hotel als Spielwiese zur Verfügung zu stellen. Spoiler: Das war es! Es war anders, es war vielfältig, es war überfordernd - und teils auch etwas chaotisch. Einfach mal etwas anders als München normalerweise.

Klar kann man sich fragen, ob es das ist, was die Münchner Kunstszene will. Ob das noch typisch München ist. Ob ein derartig großes Rahmenprogramm nicht zu viel Aufmerksamkeit von den Ausstellungseröffnungen in den Galerien und Museen abzieht. Und ob die Sammler, die meist der älteren Generation angehören, davon nicht eher abgeschreckt werden. Aber niemand muss zu Konzerten, Performances, Interventionen gehen. Schade war es nur an den Stellen, wo interessante Panels und Künstlergespräche durch ständiges Kommen und Gehen und die entsprechende Unruhe gestört wurden. Und die Szene, gerade die junge, liebt es nun mal, wenn der Bär steppt - und sei es einer, der mehr dem Berliner als dem Münchner ähnelt.

Nach dem Auftritt der Chicks on Speed beim VO-Dinner war klar, jetzt wird's bunt und laut.
Nach dem Auftritt der Chicks on Speed beim VO-Dinner war klar, jetzt wird's bunt und laut. (Foto: Lilian Polosek)

Der Red-Alert im Festsaal hätte jedenfalls als Warnung gemeint sein können. Rupprecht Geigers monumentale Fahne „Abend Rot“ füllte den Raum beim angekündigten Dinner von Various Others. Doch von Dinner kaum eine Spur. Vielleicht wollte man es unter dem Motto „Kunst macht nicht satt, aber glücklich“ verstanden wissen. Statt einer Fülle für den Bauch gab's eine Fülle für Auge, Ohr und Hirn. Da war der Auftritt der Chicks on Speed zum Dessert nur der Auftakt. Oder wie es Ursula Krinzinger, die Grand-Dame der österreichischen Galerieszene, ausdrückte: Dass sie nach einem Galerie-Dinner noch auf dem Podium sitzt und über den Kunstmarkt diskutiert, das sei neu auch für sie. Und die Wiener Galeristin ist immerhin 85 Jahre alt.

Sie war nicht die Einzige, die an einem Panel zu später Stunde teilnahm. Im Stundentakt und noch kürzer waren die Veranstaltungen mit Künstlerinnen, Kuratoren, Museumsleuten angesetzt. Wer gleich loslegte, konnte immerhin noch in Ruhe sehen, wie die Sammlung Goetz Cindy Sherman auf die Schönheitsgalerie im Palais Montgelas blicken lässt. Oder wie das Künstlerduo Mehmet & Kazim mit ihrer Video-Installation den Fürsten- in einen Comicsalon verwandelten, den Markus Oehlen (einst ihr Professor an der Münchner Kunstakademie) später mit seinen Sounds zum Vibrieren brachte.

Kunst zeigen in mageren Zeiten
:Mit frischen Ideen gegen die Krise

Warum die Münchner Kunstinitiative Various Others mit einem Luxushotel kooperiert, wieso sie nun im Frühjahr stattfindet und welche Rolle Trumps Zollpolitik spielt. Ein Interview mit Christian Ganzenberg, dem Leiter der Initiative.

SZ PlusInterview von Evelyn Vogel

Ansonsten musste man aufpassen, dass man zwischen den Gesprächsrunden und Filmvorführungen, die bis weit nach Mitternacht reichten, nicht die Mini-Performances im ganzen Haus verpasste. Wo sich zu später Stunde auch noch das Publikum der Langen Nacht der Musik dazugesellte. Auf der Treppe ließ Thomas Geiger in Lied- und Arienform vom Weh und Ach des Künstlerdaseins singen. Im Fitnessstudio schlug sich die österreichische Performancekünstlerin Ina Loitzl im Boxring für die Mühsal der Kunst. Herrlich!

Vor Mitternacht ging's bei der One-Hour-Disco hoch oben im Dachgarten ebenso hoch her. Was niemand davon abhielt, danach noch in der Karaoke-Bar vorbeizuschauen. Oder etwas später dicht gedrängt im kleinen Ministerzimmer des Palais Montgelas dem experimentellen Konzert von Vincent Scheers und Raphael Weilguni zu lauschen.

Aber zurück zum Berlin-Vergleich. Schon bei der Einweihung von Johannes Sperlings neuem Galeriestandort im Kunstareal am Freitagabend konnte man ein klein wenig davon spüren, auch wenn die Dimensionen ganz andere sind. Der Galerist ist gerade in die Räume einer früheren Druckerei in einem Hinterhof in der Maxvorstadt gezogen.

Und mehr als ein Hauch von Berlin wehte schon am Donnerstagabend durch die Münchner Innenstadt. Im Luitpoldblock war inmitten der brutalistischen Architektur des Innenhofs die auch international gezeigte Performance „Attention“ der Berliner Künstlerin Göksu Kunak zu sehen, die auf ein Performance-Festival im Whitney Museum in New York von 1976 zurückgeht. Trotz einiger Längen war das Körperästhetik vom Feinsten, gespickt mit kunstgeschichtlichen Zitaten, teils aufgeführt auf dem Dach und der Motorhaube einer Luxuskarosse.

Immer schräg drauf: Der britische Künstler Martin Creed hatte ein grünes Erbsen-Risotto beim Dinner von Various Others ergattert.
Immer schräg drauf: Der britische Künstler Martin Creed hatte ein grünes Erbsen-Risotto beim Dinner von Various Others ergattert. (Foto: Evelyn Vogel)

Die dürfte danach reif gewesen sein für das Recycling & Demontage Centre von BMW. Wie ästhetisch das Abwracken eines Autos sein kann, erzählt der Film der brasilianischen Künstlerin Gabriela Mureb, den sie vor zwei Jahren während eines Stipendiums in München drehte. Auf Einladung des Off-Spaces Salta Art stellte sie ihn im Kino des Bayerischen Hofs vor. Dort war auch die Filmpremiere des britischen Künstlers und Turner-Preisträgers Martin Creed zu sehen, der wie immer mit seinem schrägen Outfit hervorstach.

Beim Filter-Café von Ruscha Voormann und Milen Till mischten sich bei Kuppelkuchen und Talks (beispielsweise mit Beate Passow und Leonhard Hurzlmeier) Kunstvolk und Hotelgäste im Atrium. Wer hingegen das Glück hatte, zum Sammlerinnen-Gespräch auf eine der Penthouse-Dachterrassen eingeladen zu sein, durfte am Samstagnachmittag bei herrlichem Sonnenschein das Panorama und den direkten Blick auf die Kunstaktion von Ossian Fraser genießen.

Auch der „Könnt ihr noch?“-Roboter von Deichkind ist in der Königsklasse zu sehen
Auch der „Könnt ihr noch?“-Roboter von Deichkind ist in der Königsklasse zu sehen (Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlun; Haydar Koyupinar)

Wer zum Muttertag übrigens nach Herrenchiemsee rausfuhr, wo die Sonderausstellung „Königsklasse“ eröffnet wurde, nahm ebenfalls - vielleicht ohne es zu wissen - am Programm von Various Others teil. Denn auch viele Museen wie die Pinakothek der Moderne sind Teil der Initiative und legen neue Ausstellungseröffnungen auf den Termin. Der Titel der Schau dort nach einem Song von Deichkind: „Könnt ihr noch?“

Könnte auch für VO gelten, wo einige nach den vielen Galerieeröffnungen seit Freitag und dem VO-Special dann am Sonntag schon gewaltig in den Seilen hingen. Zudem standen auch da viele Talks und Performances wie das Filter-Café auf dem Programm dieses Formats, das sich „Too Soon to Say“ nannte. Und ja, noch ist es zu früh, um zu sagen, ob sich das Format mit der Verlegung vom Herbst ins Frühjahr, mit dem zentralen Ort und einem so umfangreichen Programm erfolgreich weiterentwickelt.

Aber ein Fazit der VO-Ausgabe 2025 kann man schon mal ziehen: Was Various Others da auf die Beine gestellt hat, war zwar eine irre Überforderung für alle, die sich intensiv darauf einließen, andererseits aber auch eine fulminante Erfahrung. Und aus Erfahrungen kann man ja lernen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Phänomen der Vollsuff-Kunstlieder
:Ballermann-Hits fürs Klassik-Publikum

Auf Youtube sind sie unfassbar beliebt: die Mallorca-Vollsuff-Kunstlieder von Simon Mack. Das Repertoire reicht von „Geh mal Bier hol’n“ bis „Ich schwanke noch“. Nun gelingt dem Münchner damit sogar der Sprung auf die Bühne eines Staatstheaters.

SZ PlusVon Michael Stallknecht

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: