Various Others:Die Fülle der Leerstelle

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Starke Frau mit zartem Strich: Künstlerin Brenda Draney. (Foto: Christian Kain)

Die kanadische Künstlerin Brenda Draney ist bei Deborah Schamoni zu Gast. Es ist ihre erste Einzelausstellung in Europa

Von Evelyn Vogel, München

"Malen in der Ferne" - war Brenda Draneys Veranstaltung an der Salzburger Sommerakademie angekündigt. In der Ferne gemalt hat die kanadische Künstlerin dann auch. Aber nicht in Salzburg - Absage wegen Corona. "Ich hätte das erste Mal in Salzburg unterrichtet und hatte mich schon sehr darauf gefreut", erzählt sie beim Treffen bei ihrer Galeristin Deborah Schamoni in München. Die hatte Draneys Arbeiten in der Ausstellung "Tell me about yesterday tomorrow" im NS-Dokumentationszentrum kennengelernt. Bei Schamoni, wo sie planmäßig erst Ende August erwartet worden wäre, um bei Various Others mit "Break" ihre erste Einzelausstellung in Europa zu eröffnen, saß sie für etliche Wochen fest.

Draney hat die zwangsverordnete Pause genutzt, um eine Reihe von Aquarellen zu malen. Die Bilder, in denen sie ihre unmittelbare Umgebung eingefangen hat, wirken leicht und heiter, wie kleine Fingerübungen. In der Ausstellung werden sie nicht zu sehen sein. Dort stehen die Ölgemälde im Mittelpunkt. Aber auch dabei fokussiert sich Draney auf vertraute Motive, werden Themen wie Nähe und Ferne relevant. Die Lebenswelt, aus der Draney stammt, ist weit entfernt. Die Themen jedoch, die sie malerisch umsetzt, sind oft familiär, fast intim. Die Art, wie sie sich diese zu eigen macht, wirken vertraut und befremdend zugleich.

Brenda Draney ist 1976 im kanadischen Edmonton geboren. Sie ist Cree der Sawridge First Nation und lebte bis nach ihrem Schulabschluss in Slave Lake. In dieser Kleinstadt einige hundert Kilometer nordwestlich von Edmonton, der Hauptstadt der Provinz Alberta, sitzt die Reservatsverwaltung der Sawridge First Nation. Die Vergangenheit ihrer Vorfahren und die Gegenwart von deren Nachkommen treffen hier unmittelbar aufeinander. Draneys Lebenswirklichkeit basiert auf eigener Erfahrung mit dieser Gesellschaft und dem Umgang mit den Institutionen. Dazu gehört, erzählt sie, dass im Umfeld der First Nations noch vor Jahrzehnten alles Persönliche auch politisch war und alles Politische auch persönlich.

Draney zeigt unter anderem Bilder aus der Serie "Bodies of Water" (Courtesy the artist and Deborah Schamoni). (Foto: Ulrich Gebert)

Davon will Brenda Draney sich nicht vereinnahmen lassen, ringt mit ihrer Identität und konzentriert sich auf ihre eigenen Erfahrungen, auf private Momente und alltägliche Gegebenheiten. "Ich erzähle in meinen Bildern meine Geschichte, meine Wahrheit. Der Betrachter sieht darin vielleicht eine ganz andere Geschichte, eine andere Wahrheit."

Die 44 Jahre alte Künstlerin setzt diese Erfahrungen in einer Malweise um, die von der Angst erzählt, mehr auszusagen als sie selbst weiß. Sie malt vorwiegend in Öl und auf recht rauer, nicht grundierter Leinwand. Figurativ und gegenständlich, ja. Aber auch intuitiv-gestisch, mitunter skizzenhaft-flüchtig, was ihren Darstellungen eine gewisse Verletzlichkeit verleiht. Und mehr als die dargestellten Figuren und Formen sagen die Zwischenräume etwas aus über Draneys Wirklichkeit. Sie konzentriert sich auf die Auslassungen, die Fehlstellen. "Was in meiner Erinnerung nicht klar umrissen ist, bleibt auch in meinen Bildern offen." Kurator Nicolaus Schafhausen schreibt im Begleittext zu Draneys Ausstellung: "Diese bewussten Lücken und Freiräume erzeugen eine Spannung zwischen einer Selbstvergewisserung qua Bild, um die eigene, als brüchig empfundene Biografie zu thematisieren, und einer Verallgemeinerung, die den ausgeprägten Subjektivismus in eine Verantwortung gegenüber der Wirklichkeit stellt."

Wenn Brenda Draney also Menschen am Pool malt, erinnert das nicht an ein glamouröses Hollywood-Setting, sondern an eine Szene in einem kleinstädtischen Schwimmbad. Das Wasser ist deutlich ausgeführt, teils mit Wellen und Spiegelungen. Die Figuren am Rande hingegen wirken offen und brüchig, weil dort, wo die Badebekleidung wäre, die unbehandelte, naturfarbene Leinwand zu Tage tritt. Mit Hilfe der Offenlegung des Malgrunds geht Brenda Draney ihren Figuren auf den Grund. Sie definiert die Körperlichkeit ihrer Gestalten über die Aussparung.

Ein anders Thema, das in ihren Bildern immer wieder auftaucht, sind Zelte, deren Formen zwitterhaft wirken. Weder sind sie bloß verklärende Zitate einer glorreichen Cree-Vergangenheit, noch Anklänge an die zeitgenössische kanadische Freizeitgesellschaft. Beides fließt zwar mit hinein, am prägendsten aber war die Erfahrung, als nach einem Großbrand 40 Prozent der Gebäude in ihrer Heimatgemeinde dem Feuer zum Opfer gefallen war. "Zelte", ist sich Draney bewusst, "bieten nur einen temporären Schutz, und sie sind zugleich ein limitierter Raum". Die Öffnungen und die Verschlüsse setzt sie in den Mittelpunkt der oft flächig angelegten Formen, die zudem aus der Bildmitte gerückt sind. Dort, wo man das zentrale Moment der Bildkomposition erwarten würde, bleibt die Leere. Oder auch die Pause. Was recht gut zu Brenda Draneys Lebenswirklichkeit und der augenblicklichen Situation passt. "Denn schließlich, sagt sie, macht auch die Welt gerade eine Pause".

Brenda Draney: Break, Eröffnung: 11. Sep., 15- 21 Uhr im Rahmen von Various Others bei Deborah Schamoni, Mauerkircherstr. 186, außerdem Rosa Panaro & Alex Vivian (Sandy Brown Galerie Berlin), beide bis 17. Okt., Mi-Fr 12-18 Uhr, Sa 12-16 Uhr

© SZ vom 08.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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