Von München aus betrachtet, wo der Himmel derzeit so grau ist wie der Dreck auf den Straßen, erscheinen die Bilder wie ein Traum oder wie PR für Hipster-Getränke. Zu sehen sind lässige Menschen in Badekleidung mit Flaschen in der Hand, einige spielen Karten am Wasser. Das Zischen einer Dose suggeriert: Wir haben Durst, hier ist es warm. Die Szene aber ist Werbung in eigener Sache. Anja Mäuerle und Lars Bendels haben sie über Instagram in die Welt geschickt und bedanken sich "for a great Sunday at the pool", für einen tollen Pool-Sonntag. Hin und wieder füttern sie Freunde und Familie mit solchen Posts, um mitzuteilen, wie es ihnen geht. Im Moment offensichtlich gut. Auf ihrer Webseite erklären die beiden, "Videos sind unsere Reiseaufzeichnungen". Seit einem Jahr sind Mäuerle und Bendels unterwegs. Doch sie hatten auch schon weniger schöne Momente.
Das erzählen sie Mitte Dezember in einem Videotelefonat. An jenem Tag ist das Paar gerade an der mexikanischen Grenze. Die beiden haben sich dort in einem Stundenhotel eingemietet, weil sie stabiles Wlan brauchten. Sie zoomen, chatten, mailen, telefonieren, wann immer sie Zeit und vor allem die digitalen Voraussetzungen haben. Manchmal gehen sie in einen Supermarkt, um ihre Filme zu schneiden. "Es ist sauber hier", sagt Anja über das Etablissement.
Der einzige Luxus sind das breite Bett und das rote Licht. An einer Wand ist eine kleine Klappe. Die sei für Freier, wenn sie Essen oder Getränke bestellen wollen. Die beiden lachen viel, während sie erzählen. Bendels hat eine Kappe auf dem Kopf, den Schirm nach hinten gedreht. Mäuerle trägt ein T-Shirt mit Spaghetti-Trägern. Sie fühle sich sicher in dem Hotel, sagt sie. Auch Sicherheit ist ein Luxus in Mexiko, das wissen sie nach knapp sechs Wochen in diesem Land.
Mäuerle und Bendels sind als "Vagateers" unterwegs, so nennen sie sich selbst. Das Wort ist ein Kompositum aus vagabonding und Volunteers, man kann es mit "herumziehende Freiwillige" übersetzen. Die beiden sind auf Weltreise, aber nicht als Pauschaltouristen, sondern nach eigenen Plänen und auf staubigen Straßen. Jeder hat nur soviel dabei, wie in einen Trekkingrucksack passt. Wie lange sie wegbleiben werden, ist noch nicht absehbar. Gestartet sind sie im Januar 2022 mit dem Flugzeug von München nach Kapstadt. Von dort ging es auf dem Landweg nach Johannesburg. Im Krüger Nationalpark und in Botswana ließen sie sich zu Rangern ausbilden. Das hatten sie schon von Deutschland aus geplant. "Die Natur lesen zu können wie ein Buch", das wollte vor allem Bendels lernen. Von einer früheren Reise nach Kenia hatte er die Idee mitgebracht. Für die Ausbildung haben beide einen höheren fünfstelligen Betrag hingelegt.
Wegen der Pandemie hatte sich ihre Abreise verzögert. Ende 2021 dann lösten sie die Wohnung in München auf, verkauften und verschenkten ihre Möbel. Ihre Ziele wählen sie danach aus, wo es etwas zu tun gibt für sie, wo sie Berufe kennenlernen - als Praktikanten, Auszubildende oder Gäste, die mitanpacken können.
"Ich bin überrascht, immer wieder coole Projekte zu finden", sagt Mäuerle. Sie ist 32 Jahre alt, zierlich, sportliche Statur, in Memmingen aufgewachsen, hat Spanisch studiert und als Übersetzerin gearbeitet. Lars Bendels, 41, durchtrainierte Oberarme, wortgewandt, stammt aus Hannover und hat als strategischer Markenberater 15 Jahre in der Werbebranche sein Geld verdient. Selbstkritisch sagt er: "Ich habe Leute dazu gebracht, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen und vielleicht zu den Problemen beigetragen, über die ich schon seit einiger Zeit nachdenke." Bendels wünscht sich, jetzt etwas mit seiner Freiwilligenarbeit gutzumachen.
Als Kind hatten sie sich den Berufsalltag anders vorgestellt, schreiben die beiden auf ihrer Webseite. "Immer schön Rüssel an Schwanz mit dem Vordermann - bis zur Rente, Hauptsache gesellschaftskonform", dieses Szenario haben sie für sich nun aufgebrochen. Sich einbringen und dabei so viele Länder wie möglich und den Alltag anderer Menschen kennenzulernen, neue Lebensweisen auszuprobieren, das ist, was sie wollen.
Sie haben lange gespart für den Trip
Vor ihrer Tour, als sie noch dabei waren, jeden Euro dafür zurückzulegen, fragten sich Mäuerle und Bendels, wie man heutzutage wohl am besten um die Welt reisen könne. Mit ihrem Vagateers-Projekt, mit dem sie offensiv über Instagram und Youtube nach außen gehen, könnten sie eine Bewegung lostreten. Sich im Ausland zu engagieren, dafür sogar Geld zu zahlen, ist vor allem bei Abiturienten und Studierenden beliebt. Mehr Mut gehört wohl dazu, wenn man schon etwas älter ist und so wie Mäuerle und Bendels den Wohnsitz, den Job und den Alltag aufgibt, während andere Familien gründen.
Bendels spricht von der Komfortzone, die sie verlassen hätten und erzählt, dass auch Sonne und Strand manchmal nicht vor Sentimentalität schützen können. Die Schwester habe inzwischen geheiratet, der Bruder ein Kind bekommen. Er konnte ihnen nur aus der Ferne gratulieren.
Die Weihnachtstage 2021, als sie schon wohnungslos waren, hatte jeder bei seiner eigenen Familie verbracht. Mäuerle in Memmingen, Bendels in Isernhagen. Ein Jahr später, an Heiligabend 2022, posten die beiden ein gemeinsames Foto. Bendels mit Drei-Tage-Bart, Mäuerle in einer weißen Bluse mit bunter Ethnostickerei. Beide haben Rotweingläser in der Hand und grinsen in die Kamera. Sie sitzen in einer Bar in Antigua in Guatemala, auf dem Weg nach Costa Rica. Es hat sich einiges getan in ihrem Leben.
In den USA haben sich die beiden einen 30 Jahre alten Chevy-Van gekauft. Eine Investition, die sie sich vorher gut überlegt hatten. Ihr Budget ist dadurch erheblich geschrumpft. Der Anfang mit dem neuen Gefährt war holprig. Auf dem Weg zum Yellowstone Nationalpark hat er schlapp gemacht. Tagelang mussten sie auf einem Schrottplatz campieren, bis es repariert war. Und doch macht der Van sie unabhängig und sie hoffen, dass der Verkauf am Ende des Trips etwas Geld zurückbringen wird. Auf der Kühlerhaube des Vans steht in großen Lettern "Vagateers". Das erste A ist durch einen Vogelbauer mit einer offenen Tür ersetzt. Wie in einen Käfig gesperrt, so hatten sich die beiden wohl zuletzt in Deutschland gefühlt.
In den vergangenen zwölf Monaten waren sie Safari Guides in Botswana und Südafrika, Manager auf einem Non-Profit-Campingplatz im kanadischen Squamish, Permakulturgärtner auf Vancouver Island und Agro-Förster auf der hawaiianischen Insel Kauai. Sie haben Felder umgegraben, Müll aufgesammelt und Toiletten geputzt.
Mexiko hingegen haben sie mit Touristenaugen gesehen. Mäuerle wollte schon immer mal den Día de los Muertos, den Tag der Toten Anfang November, erleben. Die Feiern seien schon cool gewesen, sagt sie, wenn auch für sie nicht fröhlich. Denn der Tod sei in unserer Kultur eben etwas Trauriges. Dass Mäuerle fließend Spanisch spricht, hilft dem Paar in diesem Teil der Welt. "In Mexiko ist nichts regelkonform", sagt Bendels. Immer wieder seien sie von Polizisten aufgehalten worden, die von ihnen Geld verlangten. Zur ihrer eigenen Sicherheit montierten sie eine Kamera auf ihr Auto. Von anderen Reisenden bekamen sie den Rat, möglichst so zu tun, als ob sie nichts verstünden und auf gar keinen Fall gleich an der Straße zu zahlen.
Die Gegensätze von arm und reich beschäftigen sie
Bendels erzählt: "Wir haben meistens stur darauf bestanden, auf die Polizeistation zu fahren und kamen deshalb davon." Jedesmal eine Nervenprobe für die beiden. "Immerhin ist uns nichts Schlimmeres zugestoßen", sagt Mäuerle. "Man weiß ja, was hier alles Schreckliches passiert." Und Bendels ergänzt: "Unsere Hautfarbe signalisiert, die sind reich, denen macht das nichts." Die Gegensätze zwischen Armut und Reichtum, zwischen Schrecklichem und Schönem beschäftigten sie noch in jedem Land, besonders aber in den USA.
Im Moment sind die beiden in Costa Rica auf der Halbinsel Osa. Sie haben bei dem Schildkröten-Projekt Coprot ein Research-Training angefangen. Zwei Monate wollen sie dort bleiben und in der kleinen Forschungsstation mithelfen. Sie können umsonst dort wohnen, müssen nur 300 Euro monatlich für das Essen bezahlen. Auf Nachfrage über Whatsapp, wie es ihnen dort gehe, antwortet Bendels "sehr gut" und schwärmt von dem angrenzenden Dschungel: "Aras fliegen hier rum, auch viele andere tolle Vögel wie Tukane. Wir haben Faultiere gesehen, Klammeraffen, Brüllaffen und Kapuzineraffen. Sensationell frech." Am Strand gebe es Tapirspuren, und sie hofften auf eine baldige Begegnung mit einem dieser Huftiere.
Und dann schickt er ein Bild mit frisch geschlüpften Oliv-Bastardschildkröten in den sandigen Händen. Der Markenberater und die Übersetzerin sind nun für eine Weile Schildkrötenretter und gerade mehr Volontäre als Vagabunden.