Uschi Glas hilft armen Kindern:Früher Schätzchen, heute Wohltäterin

Berühmt wurde Uschi Glas mit ihrem Strip in "Zur Sache, Schätzchen". Später landete sie wegen ihrer Scheidung und ihrer Faltencreme in den Schlagzeilen. Nun organisiert sie für hungrige Schulkinder jeden Morgen ein Frühstück. Ein Ausflug in die sozialen Problemviertel von München und Berlin.

Ulrich Schäfer

Es war ein Zufall, der ihr Leben verändert hat. Uschi Glas sagt: "Es war Schicksal!" Wenn sie an jenem Morgen im Jahr 2008 nicht mit dem Auto in München unterwegs gewesen wäre, und wenn sie damals im Radio nicht diesen Bericht gehört hätte, der sie so verstört hat, dann, sagt sie, "wäre all das niemals passiert".

Uschi Glas hilft armen Kindern: Zeit für etwas Neues: Uschi Glas und Dieter Hermann helfen benachteiligten Schülern, so auch in Neuaubing.

Zeit für etwas Neues: Uschi Glas und Dieter Hermann helfen benachteiligten Schülern, so auch in Neuaubing.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dann säße die 68-jährige Schauspielerin jetzt nicht in einem Straßencafé im Berliner Stadtteil Neukölln, zwischen Dönerbuden und Internetcafé, zwischen dröhnenden Lastwagen und Menschen mit Plastiktüten von C&A, vor ihr ein Kaffee im Pappbecher. Glas erzählt eine Geschichte, die nicht so recht passt zum Bild, das man von ihr hat: dem ewigen "Schätzchen", dem Liebling von Bunte und Bild.

Sie erzählt voller Emotionen, ihre Stimme übertönt den Verkehr, und deshalb bleibt irgendwann eine ältere Dame stehen und fragt: "Sind Sie es wirklich?" Ja, sagt Uschi Glas, ich bin es. Die ältere Dame sagt: "Schön, dass Sie mal hier sind. Ich dachte, Sie sitzen immer am Starnberger See."

Ja, so stellen sich normale Berliner die Glas vor. Und die meisten Münchner auch. Dass sie auf einer weitläufigen Terrasse sitzt, die Alpen im Blick, den Cocktail in der Hand, den Pool nebenan. Es ist ein Abziehbild. Dass es in den Köpfen der Menschen entstanden ist, dazu hat Uschi Glas auch selbst beigetragen.

Aber in den letzten Jahren ist in ihrem Leben eine neue, andere Welt hinzugekommen, die nicht dazu passt. Denn Uschi Glas hat sich gemeinsam mit ihrem zweiten Mann, dem Unternehmensberater Dieter Hermann, den sie 2005 geheiratet hat, nachdem die Ehe mit dem Filmproduzenten Bernd Tewaag gescheitert war, eine neue Aufgabe gesucht, "etwas, das mir sehr viel gibt".

Und diese Aufgabe hat sie in abseitige Ecken von München geführt. In Gegenden, für die sich kein Society-Fotograf interessiert. Und schließlich auch bis nach Neukölln.

Begonnen hat alles, als sie im Bayerischen Rundfunk etwas hörte, das sie zunächst nicht glauben mochte: In München gebe es viele Kinder, die jeden Tag hungrig in die Schule kommen, die daher unter Magenkrämpfen leiden und dem Unterricht kaum folgen können. "Wenn das stimmt", dachte Glas, "dann ist das eine Katastrophe." Abends redet sie darüber mit ihrem Mann, dem "Ingenieur", wie sie ihn manchmal nennt.

Dieter Hermann, 59, hat, ehe er Uschi Glas bei einem Golfturnier kennengelernt hat, ein Leben außerhalb der Klatschspalten geführt. Er ist charmant und fürsorglich. Und er ist ein Mensch, der den Dingen auf den Grund geht: Als Berater hilft er Unternehmen, ihre Buchhaltung so zu organisieren, dass keine Rechnung und kein Geldbetrag mehr verloren geht und die Konzerne dadurch Millionen sparen.

Gründlich gehen Hermann und Glas deshalb auch der Frage nach, ob Schulkinder wirklich hungrig in die Schule kommen. Sie schreiben alle rund 130 Münchner Grundschulen an. 23 Schulen antworten: Ja, wir kennen das Problem. Und darunter sind nicht nur Schulen aus dem Hasenbergl oder Perlach. Glas und Hermann fragen: Wie können wir helfen?

Zwieback wäre gut, sagen ein paar Schulleiter. Gern auch Knäckebrot oder Müsliriegel. Also fahren die Schauspielerin und der Berater in den Supermarkt, packen Kisten mit Lebensmitteln und bringen diese in vier Schulen. Lehrer und Schüler sind dankbar.

Ihre Begeisterung und ihr Name

Und so reift bei Glas und ihrem Mann die Idee, mehr zu tun: Sie gründen Ende 2008 einen Verein namens "BrotZeit", bei dem jeder das einbringt, was ihn auszeichnet: Glas ihre Begeisterungsfähigkeit und ihren Namen, der Türen öffnet; und Hermann sein Talent, komplizierte Prozesse gut zu organisieren. Ihr Ziel: Sie wollen, so steht es in den Charts, die Hermann erstellt hat, mehreren tausend Grundschülern nicht nur ab und an zu einem Frühstück verhelfen - sondern täglich.

Sie gewinnen große Unternehmen wie Daimler und Linde und private Stiftungen wie die Josef-und-Luise-Kraft-Stiftung, die ihnen Geld geben. Sie überzeugen einen großen Discounter, kostenlos Brot und Müsli, Marmelade, Aufschnitt und Milch bereitzustellen. Sie heuern Senioren an, die alle zwei Wochen mit einem Kühllaster, den eine Spedition bereitstellt, die Lebensmittel abholen und in die Schulen liefern.

Sie engagieren andere Senioren, die morgens das Frühstück vorbereiten und die Kinder betreuen. Im Jahr 2008 geht es mit vier Schulen los, zwei Jahre später sind es 24 und bald nun 70. Jeden Tag versorgt "BrotZeit" 3000 Grundschüler in München und Berlin, Heidelberg und Leipzig. Demnächst kommen Hamburg und das Ruhrgebiet hinzu; am Ende sollen es 5000 Kinder in 120 Schulen sein. "Wir wollen zeigen, dass so etwas auch ohne Staat geht", sagt Hermann. Und sie hoffen darauf, dass andere es nachahmen.

"Als wir von dem Projekt gehört haben, haben wir uns sofort gemeldet", erzählt Claudia Hirschnagl, die Rektorin der Grundschule am Ravensburger Ring in München-Neuaubing. 399 Kinder aus 39 Nationen besuchen die Schule, die mitten in einer Hochhaussiedlung liegt. Viele Türken sind darunter, aber auch Iraner und Iraker, Rumänen und Bulgaren, Russen und Vietnamesen.

Dass viele Kinder hungrig in die Schule kommen, liege nicht "am bösen Willen der Eltern", sagt die Schulleiterin. Oft aber müssten die Eltern für ihre schlecht bezahlten Jobs mitten in der Nacht aufstehen. Viele Mütter gehen putzen, die Väter arbeiten im Lager oder räumen im Baumarkt Regale ein. Oder die Eltern schlafen nach der Nachtschicht noch. Die Kinder kämen dann oft nicht nur hungrig, sondern gereizt in die Schule, sagt die Schulleiterin.

Seit es das Frühstück von "BrotZeit" gibt, serviert in einem abgetrennten Bereich im Foyer, hat sich manches verändert, wie Hirschnagl beobachtet. Weil die Kinder sich schon vor dem Unterricht austauschen können, sind sie ausgeglichener, konzentrierter, weniger aggressiv. Das liegt auch daran, dass die Senioren, die "BrotZeit" bezahlt, sich für die Schüler Zeit nehmen, sich ihre Erlebnisse anhören.

Wem sie das Frühstück zu verdanken haben, wissen die Kinder am Ravensburger Ring nicht so genau. Das sei "eine Schauspielerin", sagen sie. Aber der Name? Keine Ahnung. Ihre Helden sind andere, Fußballer wie Ribery, Rapper wie Bushido.

"Was will die denn hier?"

Heinz Buschkowsky dagegen gerät, wenn er über Uschi Glas redet, ins Schwärmen. "Sie ist", sagt der Bezirksbürgermeister von Neukölln, "die Ikone meiner Jugend. Sie hat mein Leben maßgeblich beeinflusst." Der Bezirksbürgermeister von Neukölln hat die Pauker-Filme gesehen, "Zur Sache, Schätzchen" natürlich, auch ihren Auftritt als Apanatschi in "Winnetou". Und doch ist er skeptisch gewesen, als Glas und Hermann ihm vor drei Jahren erklärt haben, dass sie auch Schüler in Neukölln mit Frühstück versorgen wollen.

Denn Buschkowsky hat - erst recht seit dem Skandal um gewalttätige Schüler an der Rütli-Schule - viele Prominente in seinem Bezirk kommen sehen, die helfen wollten und doch nur daran interessiert waren, dass Fernsehteams sie ins rechte Licht rückten. "Was will die denn hier", habe er sich gefragt, räumt der SPD-Politiker ein.

Doch dann habe er, sagt Buschkowsky, schnell gemerkt, dass es Glas und Hermann eben nicht um die PR gegangen sei, sondern dass sie es ernst meinten. Und natürlich weiß der hemdsärmelige, wortgewaltige Bezirksbürgermeister auch, auf welche Widerstände solch ein Projekt gerade in Berlin-Neukölln stoßen kann.

Er erzählt von "kleinen Möchtegern-Gangstern", von acht- oder neunjährigen Jungs, "die nur das Faustrecht kennen"; von Familien, in denen nicht die Mahlzeiten den Tagesablauf bestimmen, sondern der Fernseher; und auch davon, dass seit kurzem derart viele Sinti und Roma aus Rumänien herziehen, dass in Neukölln jeden Monat eine neue Schulklasse eröffnen werden muss.

Für Glas und Hermann ist das anfangs eine fremde Welt gewesen, die sie aber mittlerweile sehr viel besser verstehen. So haben sie von den Lehrern gelernt, dass viele Kinder zuhause niemanden haben, der sich um sie kümmert, mit ihnen Hausaufgaben macht oder darauf achtet, ob sie in die Schule gehen.

Deshalb haben Glas und Hermann das Angebot von BrotZeit ausgeweitet: Ein Teil der 350 Senioren, die für ihr Projekt arbeiten, kommen auch tagsüber in die Schulen, um den Kinder vorzulesen, mit ihnen im Schulgarten zu arbeiten, mit ihnen Englisch oder Mathe zu lernen oder eine Schachgruppe zu leiten.

"Wir sind heilfroh über diese Hilfe, denn wir hätten das nie selber finanzieren oder organisieren können.", sagt Birgit Knopf, die Leiterin der Hermann-Boddin-Schule in Neukölln, als Glas und Hermann vor ein paar Wochen morgens beim Frühstück vorbei schauen. So nutzt die Schule den Frühstückraum, der vor zwei Jahren hergerichtet wurde, auch für Kochkurse und Haushaltskurse. 95 Prozent der Kinder kommen aus Migrantenfamilien, fast alle leben von Hartz IV.

Die Senioren, die das Frühstück vorbereiten, berichten, dass die Kinder sich anfangs nicht getraut hätten, weil ihre Eltern skeptisch waren; manche hätten gefragt, ob im Aufschnitt Schweinefleisch sei. Doch nun gehöre das Frühstück für 50 Kinder zum Alltag, und manche, weiß Glas, seien einfach nur froh, dass sie jemand mal in den Arm nimmt.

Wenig später, nach dem Kaffee an der Karl-Marx-Straße, sitzen Glas und Hermann dann im Büro von Buschkowsky. Er sagt, dass er kein vergleichbares Projekt kenne, nichts in dieser Größe. Er redet von der gescheiterten Bildungspolitik und davon, dass die Gesellschaft einspringen müsse, wenn der Staat versage. "BrotZeit" sei eines der Puzzleteile, das dabei helfe, sagt Buschkowsky: "Für mich ist das tätige Nächstenliebe". Und dann fügt er hinzu: "Uschi Glas bräuchte sich das ja nicht anzutun. Aber dann ist es über sie gekommen. Und das ist gut so!"

Die Schauspielerin hört zu und lächelt. Sie könnte stattdessen auch am Starnberger See sitzen.

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