US-Tour:Die pure Euphorie in der Carnegie Hall

US-Tour: Das Konzert in der Carnegie Hall war ein Meisterstück des Machens von Musik.

Das Konzert in der Carnegie Hall war ein Meisterstück des Machens von Musik.

(Foto: Peter Meisel)

Erstmals seit 2003 geht das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf Tournee durch die Metropolen der amerikanischen Ostküste. Eine Reise, die von Klassikfans in USA und Kanada mit Spannung erwartet wird. SZ-Kulturredakteur Egbert Tholl begleitet die Tour und schildert in einem "Symphonischen Tagebuch" hier täglich seine Eindrücke von den Auftritten der Münchner Musiker und der Kultur- und Klassikszene zwischen Montreal und Washington.

Von Egbert Tholl

Nach dem Konzert mit Schostakowitschs Siebter in Chicago schrieb ein Kritiker der dort ansässigen Zeitung, so habe man diese Symphonie hier noch nie gehört, nicht einmal unter Leonard Bernstein. Abgesehen davon, dass der Kollege über ein beneidenswertes Gedächtnis verfügen muss, Bernstein starb 1990, beweist die euphorische Besprechung, mit welcher Verve das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Mariss Jansons gerade Nordamerika aufmischen.

Was werden wohl die New Yorker Zeitungen nach dem Konzert in der Carnegie Hall schreiben? War der Vorabend mit Dvořáks Achter schon reichlich sensationell, so beweist der Schostakowitsch-Abend, dass die Liaison zwischen Jansons und seinem Orchester in ihrem 13. Jahr gerade auf einem Höhepunkt ist. Jansons vertraut dem Orchester völlig, und seine Freude, mit diesem Musik zu machen, überträgt sich auf die Musiker. Und umgekehrt. Und überhaupt. Das hat eine Freiheit, die Größtes ermöglicht. Das Konzert war dann wirklich phänomenal. Jansons erklärt an diesem Abend die Dramaturgie einer völlig disparaten Symphonie bis ins letzte. Das war ein Meisterstück des Musik-Machens! Besser geht es nicht, besser kann man dieses Stück nicht verstehen. Man könnte alleine darüber viel erzählen.

Entsprechend gering war auch die Aufregung nach den offenbar falsch interpretierten Sparprognosen aus München, wobei mancher Musiker dennoch gleich an die Zeit denken musste, als man versuchte, das Rundfunkorchester abzuschaffen. Aber trotzdem kann man derzeit beim BRSO grandios selbstbewusst sein, überheblich ist man aber deswegen nicht.

Jansons schon gleich gar nicht. Wenn er sagt, man müsse noch weiter am Klang arbeiten, was in einem guten Saal halt viel weiter gehen kann - siehe New York, siehe Chicago -, dann ist das sein vollkommener Ernst als unermüdlicher Arbeiter, der zu Hause in St. Petersburg Partituren wochenlang studiert, bevor er mit einer klaren Vorstellung nach München aufbricht. Ja, vielleicht, so meint er, solle er noch mehr in Bayern dirigieren. "Aber ich schlafe doch nicht, trinke nicht, arbeite wie ein Verrückter." Und denkt monatelang über den Aufbau des Finales von Mahlers Siebter nach.

Die Zukunft treibt Jansons um. Er weiß um die konservative Grundhaltung des Münchner Publikums, glaubt, vielleicht zu Recht, behutsam vorgehen zu müssen, wollte er das Repertoire erweitern. Freilich sagt er dann auch, dass wegen der Verjüngung im Orchester 40 Prozent der Musiker nun zum ersten Mal Mahlers Fünfte gespielt hätten. Die Balance zwischen Pflege des Repertoires und dessen Ausbau wird immer eine Herausforderung bleiben, das Publikum hat nun einmal seine Lieblingsstücke. Jansons: "Neues suchen, Kernrepertoire nicht vergessen."

Und dann hat er noch eine Angst. Nämlich, dass beim neuen Saal Fehler passieren könnten. Natürlich bleibt bei der Akustik stets ein Restrisiko, man denke nur an die für viele Musiker zwar durchaus akzeptable, aber keineswegs spektakuläre neue Philharmonie in Paris. Vor allem geht es Jansons aber um die weiterführende Leistungsfähigkeit eines neuen Saals. Ein Saal allein reicht nicht, das wird auch auf dieser Tournee deutlich, es braucht ein Musikzentrum, ein Kulturareal, um auch ganz andere Schichten anzuziehen. Jansons: "Wir arbeiten an neuem Publikum, sonst gibt es eine Katastrophe." Er denkt an eine Musikschule, an einen Musikkindergarten, angeschlossen an den Konzertsaal.

Symphoniker USA

Ob die Hornisten im Orchester wohl ein Problem mit den New Yorker Verkehrsschildern hatten?

(Foto: Peter Meisel/BR/oh)

Tatsächlich ist im Seitenflügel der Carnegie Hall das "Weill Music Institute" untergebracht, das Schüler nach dem täglichen normalen Unterricht in Musik unterrichtet und dabei großen Wert auf die Förderung von Eigenständigkeit und Kreativität legt. Sprich: Die jungen Leute sollen selbst etwas aufführen. Im kommenden Herbst soll dann eine Art stehendes, alle Musikgenregrenzen überwindendes Jugend-Ensemble mit an die 20 Mitglieder gegründet werden. Die Carnegie Hall ist ja nicht nur eine leere Konzerthalle, sie ist auch ein Institut, das im Jahr 80 Millionen Dollar an privaten Spenden erhält und damit den Konzertbetrieb wie eben auch die Jugendarbeit finanziert.

Ähnliches Beispiel: Das Kennedy Center in Washington bringt nach eigenen Angaben landesweit die Kunst zu elf Millionen Jugendlichen, Lehrern und Familien, über Kurse (Theater, Tanz, Musik), übers Internet, über Workshops und das Programm der "American Residencies" des National Symphony Orchestra. Im Grunde übernimmt das Center eine nationale Aufgabe der kulturellen Bildung, was andere Orchester, wie etwas das extrem umtriebige in Cleveland, für ihre Stadt respektive Region unternehmen. Kommen die jungen Leute nicht zur Musik, kommt die Musik eben zu ihnen. Nichts Neues, aber wichtig, sehr wichtig. Außerdem wird das Kennedy Center gerade baulich erweitert, und zwar ausschließlich unter der Prämisse "Creativity & Community Connected".

"Du darfst nicht spielen wie ein Schwein"

Das heißt, gebaut wird eine Fußgängerbrücke vom trutzig am Fluss gelegenen Center in die Stadt hinein, eine Außen-Videowand, vor der dann mehr als 1600 Menschen sitzen können, ein multifunktionaler Performance-Raum mit drei Proberäumen, Café, Bistro und etwas, was "Event Space" genannt wird. Davon kann man für den neuen Saal in München lernen, auch von den täglichen Konzerten, die immer um 18 Uhr kostenlos für alle im riesigen Foyer des Centers selber stattfinden - vergleichbar ein bisschen vielleicht mit den Konzerten der Musikstudenten im Gasteig.

Freilich: Beim Versuch, von den USA lernen zu wollen, stößt man schnell an Grenzen. Nur eine Handvoll Orchester haben die finanzielle Wucht und die Strahlkraft zu den gleichwohl überlebenswichtigen Aktivitäten, weitere vielleicht zehn kommen gut über die Runden. Dann wird es finster, wird nach Tagesdiensten bezahlt oder auch mal gar nicht, braucht man die Unterstützung der funktionierenden Institutionen. Klar, in reichen College-Städten wie Ann Arbor oder Chapel Hill, hippieske Oase im erzkonservativen, derzeit ostentativ schwulenfeindlich gewordenen North Carolina, kann man sich ein Konzertprogramm leisten und damit auch kleinere Orchester unterstützen.

Das Chicago Symphonie Orchestra, ja selbst in einer bis vor Kurzem noch prekären, nun zunehmend und durchaus brutal gentrifizierten Stadt beheimatet, nimmt etwa ein Jugendorchester unter seine Fittiche und Riccardo Muti dirigiert dann schon einmal (ausgelernte) Musikstudenten, die sonst bei Starbucks arbeiten würden, um ihre Studiengebühren zurückzahlen zu können.

Wo genug Geld für die echt empfundene Eigenverantwortung derjenigen, die von ihrem Reichtum abgeben wollen, vorhanden ist, funktioniert Amerika. Das ist ein alter Hut, von dem man dennoch immer wieder erzählen muss, weil in Deutschland der gesamtgesellschaftlichen Verpflichtung größtenteils mit dem Zahlen von Steuern, falls überhaupt, Genüge getan wird. Und man das nicht von heute auf morgen ändern wird.

Doch all dies ist in jenen 80 Minuten vergessen, in denen die Siebte von Schostakowitsch diese herrliche Tournee des BR-Symphonieorchesters in der Carnegie Hall beschließt. Oder anders gesagt, mit den Worten von Mariss Jansons: "Du darfst nicht spielen wie ein Schwein."

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