Urteile zu Hausmusik:Jetzt aber Ruhe!

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Ein Klavier oder eine Flöte sind etwa so laut wie eine Fräsmaschine, eine Trompete oder ein Schlagzeug kommt auf Dezibel-Werte wie eine Diskothek. (Foto: Lebedev Valeriy/ddp images)

Über nichts streiten Nachbarn so sehr wie über Lärm. Wann geklimpert, trompetet, geflötet werden darf, darüber urteilen Gerichte sehr unterschiedlich - wie im Fall eines Münchner Schlagzeugers.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Seit zehn Jahren spielt der Jugendliche Schlagzeug, Jazz und südamerikanische Rhythmen mag er am liebsten. An der Musikschule hat er Unterricht, zu Hause übt er in seinem Zimmer. Lange ging das gut in diesem Genossenschaftshaus im Westend - bis in die Räume darunter im Erdgeschoss eine Physiotherapeuten-Praxis zog. Die fühlte sich von den Übungen des heute 17-Jährigen gestört, so erzählt es sein Vater. Doch seit vier Wochen haben es die Praxis und die ganze Hausgemeinschaft schriftlich: Trommeln ist erlaubt, auch in einer Mietwohnung, so hat es in zweiter Instanz das Landgericht München I entschieden. Wenn auch nur 30 Minuten am Tag, und sonntags muss das Schlagzeug schweigen.

Lärm im Haus
:"Hinnehmbares Maß"

Wenn Nachbarschaftslärm das übliche Maß nicht übersteigt, muss er von den anderen Mietern akzeptiert werden.

Kein Thema birgt mehr Potenzial für Nachbarschaftsstreitigkeiten als der Lärm. Und dazu zählt nicht selten auch das Musizieren, wofür diverse Institutionen wie das Münchner Stadtmuseum an diesem Wochenende mit einem "Tag der Hausmusik" werben wollen. Eine Sammlung der Gerichtsurteile zu diesem Thema könnte ein Buch füllen. Es gibt, das wird rasch klar, keine klaren Spielregeln. Trotzdem zeichnet sich eine gewisse Bandbreite ab, innerhalb derer Freizeitmusiker agieren dürfen.

Beim Klavier reicht die Bandbreite von eineinhalb bis drei Stunden täglich

Die meisten Entscheidungen gibt es zum Klavierspiel. Hier reicht die Bandbreite von eineinhalb Stunden täglich (Amtsgericht Frankfurt) über zwei Stunden täglich (Oberlandesgericht Düsseldorf, I-9 U 32/05) bis zu drei Stunden täglich (Bayerisches Oberstes Landgericht, 2 ZBR 55/95). Meistens darf nur wochentags bis 20 Uhr beziehungsweise 19 Uhr an Sonn- und Feiertagen gespielt werden. Oft wird auch auf Hausordnungen Bezug genommen, in denen die Einhaltung einer Mittagsruhe von 13 bis 15 Uhr vorgeschrieben wird.

Saxofon und Klarinette dürfen nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe (6 U 30/87) wochentags maximal zwei Stunden, sonntags höchstens eine Stunde gespielt werden. Auch beim Schlagzeug sind manche Gerichte durchaus großzügig, wie etwa das Landgericht Freiburg, das je eine Stunde vormittags und nachmittags erlaubt. Oder das Landgericht Nürnberg/Fürth (13 S 529690) mit eineinhalb Stunden täglich. Akkordeon darf nach einem Urteil des Landgerichts Kleve (6 S 70/90) 90 Minuten täglich gespielt werden.

Vor allem die Mittagsruhe muss gewahrt werden

Anja Franz vom Mieterverein München erlebt oft Prozesse, in denen es um Hausordnungen geht, die das Musizieren einschränken. Sie sagt, der Mieter dürfe in seiner Wohnung grundsätzlich Instrumente spielen, Musik hören und fernsehen. Allerdings dürfe er die anderen Hausbewohner nicht stören. Dies gilt vor allem während der allgemeinen Ruhezeiten mittags zwischen 13 und 15 Uhr und von 22 bis 7 Uhr. Während sich die nächtlichen Ruhezeiten aus gesetzlichen Vorschriften ergeben, basieren die Mittagsruhezeiten auf individuellen Hausordnungen oder Gerichtsurteilen, wie Franz sagt. Während der Ruhezeiten müsse auf jeden Fall Zimmerlautstärke eingehalten werden.

Das ist mit den meisten Instrumenten unmöglich. Ein Klavier oder eine Flöte sind etwa so laut wie eine Fräsmaschine, eine Trompete oder ein Schlagzeug kommt auf Dezibel-Werte wie eine Diskothek. Der Rat von Anja Franz: Hausbesitzer und Mieter sollten im Mietvertrag eine Regelung über das Musizieren treffen. Ein generelles Verbot sei unwirksam. Denn letztlich geht es um eine Abwägung von Interessen: einerseits das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Musikanten, andererseits das Ruhebedürfnis der Nachbarn.

Deshalb verhängten die Gerichte am Ende oft zeitliche Einschränkungen, sagt Rudolf Stürzer, Vorsitzender des Verbands Haus + Grund in München. Abhängig natürlich von der Lautstärke des Instruments, aber auch von den baulichen Gegebenheiten oder anderen Details: "In einer Seniorenwohnanlage gelten andere Grundsätze als in einer Wohnanlage mit überwiegend jungen Menschen", sagt Franz. "Außerdem muss natürlich die Hellhörigkeit des Hauses, vorhandene Schallschutzmaßnahmen und ähnliches berücksichtigt werden."

Musizieren kann nicht völlig untersagt werden

Wie kompliziert das mitunter ist, zeigt eine Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Das stellte vor Jahren zwar klar, dass das Musizieren in einer Eigentumswohnanlage per Hausordnung nicht völlig untersagt werden kann. Ebenso wenig die generelle Beschränkung auf Zimmerlautstärke: Das nämlich käme bei einem Klavier zum Beispiel einem Musizierverbot gleich. Dennoch sei solch eine Hausordnung nicht per se nichtig, urteilte das Gericht, ein Nachbar könne sich durchaus darauf berufen. Dann habe der musizierende Wohnungseigentümer nur die Möglichkeit, eine Änderung der Hausordnung zu verlangen, dass das Klavierspielen wenigstens zu bestimmtem Zeiten zugelassen wird, auch wenn es Zimmerlautstärke überschreitet. Notfalls kann er das auch einklagen.

Bei all den Kompromissen spielt es laut Münchner Mieterbund auch keine Rolle, ob Dilettanten oder Künstler am Werk sind: Auch hochwertige Musik kann ohne weiteres als störend empfunden werden, hat das Landgericht Düsseldorf entschieden (22 S 574/89). Was aber ist, wenn Profis sich Hausmusik und Musikunterricht im Mietvertrag haben erlauben lassen? Das Landgericht Frankfurt (2/25 O 359/89) entschied vor langer Zeit, dass eine Klavierlehrerin werktags zwischen 7 und 17 Uhr spielen dürfe. Zwischen 17 und 22 Uhr dürfe sie nochmals drei Stunden ans Klavier. Nur am Wochenende müsse sie sich mit fünf Stunden begnügen. Das Landgericht Flensburg (7 S 167/92) erlaubte der Familie eines Berufsmusikers Geige, Violine, Bratsche oder Cello täglich acht Stunden lang zu spielen, an Sonn- und Feiertagen nur sechs Stunden.

Auf einem ganz anderen Blatt steht freilich, inwieweit solche Urteile den Streit unter Nachbarn im Einzelfall befrieden. Im Falle des Genossenschaftshauses im Westend könnte dazu nicht zuletzt eine andere Tatsache beitragen: Der 17-Jährige mache bald sein Abitur, erzählt sein Vater - zum Schlagzeugspielen komme er deshalb zurzeit nicht mehr so viel.

© SZ vom 22.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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