Urteil:Schütze von Unterföhring kommt in psychiatrische Einrichtung

Der Schütze vom S-Bahnhof Unterföhring muss in eine psychiatrische Einrichtung

Der Angeklagte leidet laut Gutachtern an einer paranoiden Schizophrenie.

(Foto: dpa)
  • Gutachter haben dem Angeklagten eine paranoide Schizophrenie attestiert. Er war zum Tatzeitpunkt schuldunfähig
  • Der 38-Jährige hatte einem Polizisten am S-Bahnhof Unterföhring die Waffe entwendet und mit den Schüssen unter anderem dessen Kollegin getroffen.
  • Die Polizistin liegt bis heute im Wachkoma und wird ihr Leben lang ein Pflegefall bleiben.

Von Susi Wimmer

Es war der letzte von sieben Verhandlungstagen, man hatte über 70 Zeugen gehört, und nun sollte endlich die Frau zumindest indirekt eine Stimme bekommen, die bei der Tragödie in Unterföhring das größte Leid erlitten hatte: die Polizistin Jessica L., von allen nur Jessi genannt. Ihre Nebenklageanwältin Annette von Stetten zeichnete ein Bild von einer hilfsbereiten, neugierigen und beliebten jungen Frau, "einer verdammt guten Polizistin", die schicksalshafterweise wenige Wochen vor dem Unglück eine Beschäftigung bei der Kripo abgelehnt hatte, um in der Ismaninger Inspektion weiter als Streifenpolizistin arbeiten zu können. Das war ihre Welt.

Bis zum 13. Juni 2017, als ihr der unter paranoider Schizophrenie leidende Alexander B. mit der Dienstpistole ihres Kollegen eine Kugel in den Kopf schoss. Dafür, so das Urteil am Freitag, wird der 38-Jährige in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht. Jessi L. wird ihr Leben lang ein nicht-kommunikationsfähiger Pflegefall bleiben. Aktuell, so die Anwältin, kämpfe Jessi L. nach einer medizinischen Komplikation um ihr Leben.

Die neunte Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Philipp Stoll, so entstand der Eindruck bei Prozessbeobachtern, verhandelte die Vorkommnisse von jenem Junitag äußerst flott durch, und auch die Urteilsverkündung dauerte nur wenige Minuten. Richter Stoll erklärte, Alexander B., der in der S-Bahn einen Fahrgast angegriffen hatte und am Bahnsteig in Unterföhring von den Polizisten befragt werden sollte, habe in seinem paranoid-schizophrenen Zustand Stimmen gehört. Eine weibliche und eine männliche Stimme hätten ihm gesagt, dass er getötet werde. Aus diesem Motiv heraus habe B. den Polizisten Kilian I. vor die einfahrende S-Bahn werfen wollen. Das sah die Kammer als versuchten Mord an.

Im anschließenden Gerangel auf dem Boden konnte B. die Waffe des Polizisten aus dem Holster ziehen und auf den flüchtenden Beamten fünf Schüsse abfeuern. Kilian I. konnte sich unverletzt hinter den Aufzug am Bahnsteig retten. Mittlerweile hatte Jessi L. ihre Waffe gezogen und aufgrund des voll besetzten Bahnsteigs nur zwei Schüsse abgefeuert. Ein Schuss traf B. in der Leistengegend, doch der ballerte weiter sein Magazin leer und er verletzte Jessi L. mit einer Kugel in den Kopf lebensgefährlich. Zwei Passanten wurden durch Querschläger verletzt. Die Schüsse auf die Polizisten, so die neunte Strafkammer, seien juristisch als versuchter Totschlag und nicht als versuchter Mord zu werten.

Staatsanwalt Andreas Bayer war in seinem Plädoyer da anderer Meinung gewesen. Er sah auch die Schüsse auf die Beamten als versuchten Mord an. Alexander B. habe bei dem ersten Stoß gezielt auf die einfahrende S-Bahn gewartet, "er wollte fliehen, dazu war ihm jedes Mittel recht". Sehr detailliert schilderte der Staatsanwalt, dass sich bei B. die Krankheit sehr wohl seit langem abgezeichnet hatte. "Er wusste um diese Erkrankung". Als Alexander B. im Jahr 2012 binnen zwei Tagen zweimal versuchte, sich das Leben zu nehmen, verließ er nach einer Woche bereits die psychiatrische Klinik und setzte seine Tabletten ab. Seine Eltern hätten nicht einmal nachgefragt, warum er sich umbringen habe wollen.

Die "schlechten Gedanken" aber holten B. wieder ein. Als er in Unterföhring am Bahnsteig stand, so formulierte es sein Verteidiger Wilfried Eysell, "konnte er nicht mehr erkennen, in welcher Situation er sich befand". Nach seiner Einlieferung in Haar unternahm B. erneut einen Suizidversuch, weil er der Meinung war, die Klinik sei ein Konzentrationslager. "Ich kann nicht beurteilen, wie weit er heute des Geschehen erkennt", sagte Verteidiger Eysell.

"I'm sorry", sagt B. als letztes Wort. Es sei alles sehr viel für ihn. Und er wolle sich bei allen entschuldigen.

Für die Eltern, so erzählt Anwältin von Stetten, sei es ein guter Tag, wenn Jessi L. bei einer Fuß-Massage den Blick nach unten richte. Sie werten das als gutes Zeichen. "Gott hat uns Jessi gelassen", sagt die Mutter. Und: "Sie ist eine Kämpferin." Nach der Not-Operation vom Freitag hängt das Leben der 27-Jährigen am seidenen Faden.

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