Süddeutsche Zeitung

Urteil:Randale im Stadion: Sechzig-Fan zu zehn Monaten verurteilt

  • Ein 22-Jähriger ist wegen besonders schweren Landfriedensbruchs und vierfacher versuchter Körperverletzung zu zehn Monaten auf Bewährung und 1000 Euro Geldstrafe verurteilt worden.
  • Er hatte beim Relegationsspiel des TSV 1860 gegen Jahn Regensburg unter anderem Sitzschalen herausgerissen und aufs Spielfeld geworfen.
  • Acht Prozesse um das Relegationschaos hat das Amtsgericht bereits geführt, bis auf einen Beschuldigten kamen alle mit Bewährungsstrafen davon.

Von Susi Wimmer

Frustration als Motiv nach einem grottigen Fußballspiel? "Nein", sagt der Richter, der auch noch Thomas Müller heißt, "damit kann ich nichts anfangen." Denn das Relegationsspiel gegen Jahn Regensburg am 30. Mai 2017 sei bei Weitem nicht das einzig grottige Spiel des TSV 1860 München in den vergangenen Jahren gewesen. Kevin M., 22, sitzt auf der Anklagebank vor dem Amtsgericht, weil er einer jener Löwenfans ist, die noch während der Partie Sitzschalen herausrissen und auf das Spielfeld warfen, Ballfangnetze zerstörten oder Fahnenstangen auf das Grün schleuderten. Kevin M. warf sieben Fahnenstangen, dafür wurde er wegen besonders schweren Landfriedensbruchs und vierfacher versuchter Körperverletzung zu zehn Monaten auf Bewährung und 1000 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Bewährungszeit legte das Gericht auf zwei Jahre fest, so lange darf der 22-Jährige auch kein Fußballstadion mehr betreten.

Das Abstiegsduell der Löwen gegen die Regensburger war zehn Minuten vor Schluss völlig aus dem Ruder gelaufen. Nachdem die Oberpfälzer in der 80. Minute in der Fröttmaninger Arena mit 2:0 in Führung lagen, fingen die frustrierten Löwenfans an, die Tribüne zu zerlegen, Fahnenstangen wie Speere aufs Spielfeld zu schleudern und Böller zu zünden. In der Masse unterzutauchen, war für die Straftäter auf Löwenseite allerdings nicht möglich. Dank der gestochen scharfen Videobilder aus dem Stadion konnte die Staatsanwaltschaft am Ende 25 Strafverfahren gegen die randalierenden Fans einleiten. Erst vergangene Woche wurde ein 30-jähriger Steinmetz wegen eines Fahnenstangen-Wurfes zu 21 Monaten Gefängnis verurteilt. Dass er nicht mit einer Bewährungsstrafe davonkam, lag an den einschlägigen Vorstrafen des Löwenfans.

Jetzt also Kevin M., ein Hotelfachmann aus der Nähe von Ulm, ein junger Mann mit ordentlich Körpermasse. Von seinem ohnehin nicht üppigen Verdienst investiert er 300 bis 400 Euro im Monat, um seiner Löwen-Obsession zu frönen. Es sei ein emotionaler Moment gewesen, lässt er durch seinen Anwalt Andreas Kuzmany ausrichten, und dass er niemanden habe verletzen wollen. Die Videoaufzeichnungen, die am Richtertisch abgespielt werden, zeigen die Würfe des 22-Jährigen. Wie einen Speer schleudert er die Fahnenstangen in Richtung Spielfeld, einmal bleibt eine auf dem Tornetz liegen, trifft fast den Torwart der Regensburger. Andere Attacken gehen in Richtung der Polizeikette. Das Gericht begutachtet jeden einzelnen Wurf und spricht von "roher Gewalt".

Die Staatsanwaltschaft fordert ein Jahr und drei Monate auf Bewährung sowie eine dreijährige Bewährungszeit mit Stadionverbot, die Verteidigung plädiert auf Freispruch. "Es waren Frusthandlungen, aber keine Gewalthandlungen", sagt Rechtsanwalt Kuzmany. Aber gerade dieses Argument will Richter Müller nicht teilen. "Sie müssen lernen, das zu trennen", sagte er zu M. "Ihre Wut hat nichts mit dem Traditionsverein 1860 zu tun. Das schadet ihm nur." Seit Jahren werde Sechzig mit Fan-Gewalt assoziiert. "Das geht doch nicht." Selbst wenn der Verein "furchtbar schlecht" spielen würde. Kevin M. wischt sich eine Träne aus dem Auge. Er sagt, er habe niemanden treffen wollen.

Acht Prozesse um das Relegationschaos hat das Amtsgericht bereits geführt, bis auf einen Beschuldigten kamen alle mit Bewährungsstrafen davon. Zu Kevin M. sagt Richter Müller noch: "Sie sind gut dabei, aber andere sind noch gröber unterwegs." Sprich: Müller will sich beim Strafrahmen noch Luft nach oben freihalten für die kommenden Fans, die die Sitzschalen geworfen haben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3966241
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.05.2018/huy
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.