Urteil im Dachau Prozess:Dachauer Todesschütze zu lebenslanger Haft verurteilt

"Kaltblütig ermordet": Im Januar hat Rudolf U. im Dachauer Amtsgericht um sich gefeuert und dabei einen jungen Staatsanwalt tödlich getroffen. Nun ist er dafür zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Landgericht München II stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest.

Aus dem Landgericht von Anna Fischhaber

Dachauer Todesschuetze zu lebenslanger Haft verurteilt

Dachauer Todesschuetze zu lebenslanger Haft verurteilt Achtung Redaktionen: Der abgebildete Angeklagte muss bis zu einer rechtskraeftigen Verurteilung bei Veroeffentlichung unkenntlich gemacht werden! +++ Der wegen Mordes an einem Staatsanwalt angeklagte Rudolf U. liegt am Donnerstag (29.11.12) in Muenchen in einem Krankenbett im Gerichtssaal. Rund elf Monate nach dem Mord an einem Staatsanwalt im Amtsgericht Dachau ist der Taeter zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Landgericht Muenchen stellte am Donnerstag zudem eine besondere Schwere der Schuld fest. (zu dapd-Text) Foto: Lennart Preiss/dapd

(Foto: dapd)

Noch während der Richter das Urteil begründete, hob Rudolf U. die linke Hand mit der Pistole und feuerte um sich. Sechs Schüsse gab der Mann ab, er schoss noch, als er zu Boden ging. Zweimal auf den Staatsanwalt. Viermal auf die Richterbank im Dachauer Amtsgericht, wo sich der Richter, seine Anwältin und der Protokollführer in Deckung gebracht hatten. Knapp elf Monate ist das jetzt her.

Nun liegt der schwer kranke Angeklagte, dem nach einer Blutvergiftung beide Beine amputiert worden sind, in einem Krankenbett neben dem Richtertisch im Münchner Landgericht. Er trägt ein blaues, kurzärmliges T-Shirt, die weiße Decke hat er bis zum Bauch hochgezogen, in der Hand hält er einen Brief.

Von seinem Bett aus verfolgt der 55-Jährige teilnahmslos, fast apathisch, wie erneut ein Richter über ihn urteilt. Doch diesmal geht es nicht mehr nur um nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge. Diesmal geht es um Mord und dreifachen versuchten Mord - und Rudolf U. bekommt die Höchststrafe.

Lebenslang muss er nun in Haft. Zudem stellt das Landgericht München II die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren kaum möglich. Die Tat habe der Mann "von langer Hand geplant", sagt der Vorsitzende Richter Martin Rieder zur Begründung. Die Opfer seien völlig wehrlos gewesen. "Der Angeklagte hat Tilman T. kaltblütig ermordet", erklärt er - obwohl er ihn nicht einmal kannte. Der 31-Jährige war für einen Kollegen eingesprungen.

Nicht einmal einen Monat hat der Mordprozess gegen den insolventen Transportunternehmer aus Dachau damit gedauert. Es ist ein Verbrechen gegen einen aus den eigenen Reihen, über das das Landgericht München II an diesem Donnerstagmittag urteilen muss. Bei dem Urteil gehe es aber nicht um einen Rachefeldzug der Justiz gegen den Angeklagten oder darum, mit ihm abzurechnen, betont der Richter, sondern um eine Gesamtwürdigung der Tat. "Es war ein sinnloser Tod", sagt er. Der Angeklagte habe unermessliches Leid über die Familie des jungen Staatsanwaltes gebracht.

"Blanker Hass"

Heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen habe Rudolf U. demnach den Staatsanwalt getötet und versucht den Richter zu erschießen, weil er einen "blanken Hass" gegen die Justiz entwickelt habe. Ihm sei zudem bewusst gewesen, dass auch seine Anwältin und der Protokollführer unter dem Richtertisch Zuflucht gesucht hatten. "Er nahm ihren Tod zumindest billigend in Kauf", so Rieder.

19 Mal wurde Rudolf U. bereits verurteilt. Der "rechthaberische, starrsinnige und querulatorische" Angeklagte habe sich über die Jahre seine eigene Rechtswelt errichtet, in der er immer Recht und die, die anderer Meinung waren, stets unrecht hatten, sagt Rieder. Tatsächlich sei ihm aber nie Unrecht geschehen - auch nicht im Januar, als er in Dachau vor Gericht stand.

Der Mann zeige negative Persönlichkeitszüge - diese beeinträchtigten aber nicht seine Schuldfähigkeit, so der Richter. Reue habe Rudolf U. im Prozess zudem nicht gezeigt. In seinem Schlusswort habe er gesagt, dass es ihm als Mensch leid tue. Das zeige, dass er die Tat nicht wirklich bereue.

Das Urteil entspricht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Staatsanwaltschaft und der Pflichtverteidiger hatten vergangene Woche lebenslänglich für den Angeklagten gefordert. Die Staatsanwaltschaft sah - im Gegensatz zur Verteidigung - zudem eine besondere Schwere der Schuld.

"Krasse Eigensucht"

Der Angeklagte habe sich "in krasser Eigensucht" über das Lebensrecht anderer hinweggesetzt, sagte Staatsanwältin Nicole Selzam. Er habe aus niederen Beweggründen und in "absolutem Vernichtungswillen" gehandelt und die Wehrlosigkeit seiner Opfer ausgenutzt. Wenn er die Möglichkeit dazu hätte, sei ein weiterer "Rachefeldzug gegen die Justiz" nicht auszuschließen.

Pflichtverteidiger Wilfried Eysell betonte dagegen: Der Angeklagte sei "kein herzloses Monster". Er habe vor elf Monaten Staatsanwalt Tilman T. "zufällig" als "Vertreter der Justiz" und "Vertreter der Obrigkeit" ermordet. Erst im Prozess habe Rudolf U. das Opfer als Menschen gesehen.

Auch Rudolf U. hatte sich am vorletzen Prozesstag zu Wort gemeldet: "Ich möchte der Familie T. einmal sagen, dass es mir leid tut als Mensch", erklärte er. Und: "Ich kann nicht mehr sagen." An diesem Donnerstag sagt er nichts, stattdessen starrt er, den Kopf auf ein großes, gelbes Kissen gebettet, an die Decke. Immer wieder schließt er die Augen, als ginge ihn das alles hier nichts an.

Als Nebenklägerin sitzt auch die Witwe von Tilman T. im Gerichtssaal. Sie hatte sich vergangene Woche in der Verhandlung erstmals zu Wort gemeldet. Ein äußert bewegender Auftritt: "Tilman war so voller Leben", erzählte die Frau mit den langen blonden Haaren. Er habe Richter werden wollen. "Es kam ihm darauf an, etwas Gutes, Sinnvolles mit seinem Leben anzufangen." Die Tat sei besonders schwer zu verarbeiten, weil sie so sinnlos sei.

Bei der Urteilsverkündung an diesem Donnerstag wirkt sie gefasst, eine Dolmetscherin übersetzt der Amerikanerin jedes Wort ins Englische. Dann ist der Prozess vorbei. Die Verteidigung hat eine Woche Zeit, um Revision einzulegen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: