Urban Explorer in München:Betreten verboten!

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Urban Explorer steigen in verlassene Gebäude ein, um deren Verfall und morbiden Charme auf Fotos zu dokumentieren. Unterwegs auf geheimer Mission in München.

Lisa Meyer

Der Schnee glitzert im Sonnenlicht. Idyllisch liegen die Gebäude in der weißen Winterlandschaft. Max Hardt ( Name geändert) mustert die umstehenden Häuser - niemand ist zu sehen. Es ist nicht weit von der Straße bis zum anvisierten Gelände. Einige Fenster und Eingänge sind mit Brettern vernagelt. Über dem Eingang zu einer Scheune ist ein Schild angebracht. Hardt kneift die Augen zusammen, um es in den Sonnenstrahlen lesen zu können: "Unbefugten ist das Betreten des Betriebsgeländes streng verboten!" Mit einem beherzten Schritt verschwindet Hardt im Dunklen. Er ist in geheimer Mission hier.

Die Faszination verfallener Plätze festzuhalten, das ist das Ziel vonUrban Explorernwie Hardt. München ist dafür ein hartes Pflaster. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Hardt ist ein Urban Explorer, kurz Urbexer. Das Einsteigen in stillgelegte und verlassene Gebäude ist sein Hobby. "Natürlich geht es auch um den Nervenkitzel. Was mich aber hauptsächlich antreibt, ist das Ziel, Orte festzuhalten, die wenige vor mir betreten haben und die auch nicht viele nach mir sehen werden", sagt Hardt, 26, ein Student aus München.

Eine Spiegelreflexkamera baumelt um seinen Hals - zum Einsatz bereit. Holzgestelle säumen die Scheune, die Decke ist teilweise eingestürzt. Hardt geht in die Knie, um die durch die Holzbalken gezauberten Schattenmuster einzufangen. Wir sind auf dem Gelände einer ehemaligen Ziegelei in Oberföhring. Auf den Holzgestängen wurden einst Ziegel getrocknet.

Urban Exploration meint die Erforschung von Gebäuden des städtischen Raums. Oft sind alte Industrieruinen Ziel der Erkundungstouren, aber auch Kanalisationen, Katakomben oder Bunker werden inspiziert. "Uns Urbexern geht es darum, die Ästhetik und Faszination, die diese Orte mit sich bringen, festzuhalten", sagt Hardt. Die oft surreal anmutenden Fotos werden anschließend im Internet veröffentlicht, als Beweis und "Trophäe" der vollbrachten Tour.

Hardt hat schon die Kanalisation in Kassel, ein ehemaliges Butterwerk in Nürnberg oder eine alte Sendeanlage in Berlin erkundet. München ist für Urbexer ein härteres Pflaster: "Hier werden alte Anlagen sehr schnell abgerissen. Aber wer sich auskennt, kann auch hier auf seine Kosten kommen und lohnenswerte Objekte finden", sagt Hardt. Die alte Ziegelei ist so ein "Objekt".

Über morsche Treppen gelangen wir in den ersten Stock eines verfallenen Wohnhauses auf dem Gelände der Ziegelei. Ein brauner Schrank steht mit offenen Türen verloren im ansonsten leeren Zimmer. Um die Ecke liegt ein kaputter Lampenschirm vor einer Toilette mit zerbrochener Kloschüssel. Einige Holzplanken des Bodens sind schon durchgebrochen, vorsichtig tastet sich Hardt vor. Auf seinem Kopf: ein weißer Schutzhelm.

Urban Exploration ist kein ungefährliches Hobby. Einsturzgefährdete Dächer, Industrieabfälle, morsche Bretter oder kaputte Leitungen sind mögliche Verletzungsursachen. Einmal hat es Hardt bislang erwischt, die Sprossen einer kaputten Leiter gaben nach.

Er verstauchte sich den Fuß, ein Begleiter brachte ihn aus dem Gebäude. "Eine meiner Grundregeln ist: Nie alleine auf Tour gehen", sagt Hardt. Einige Urbexer treiben die Sicherheitsvorkehrungen auch auf die Spitze. Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen, Karten, Kreide, Mundschutz, Pfefferspray, Lederhandschuhe, Verbandszeug, Energieriegel, GPS-Gerät, alle Art von Werkzeug, Stirnlampe oder Panzertape - in Online-Foren werden mehr oder weniger wichtige Utensilien aufgelistet und diskutiert.

Urban Explorer in München
:Betreten verboten!

Urban Explorer steigen in verlassene Gebäude ein, um deren Verfall und morbiden Charme auf Fotos zu dokumentieren. Unterwegs auf geheimer Mission in München.

Lisa Meyer

Die Explorer-Szene entstand in Australien und den USA. 1985 gründeten die Freunde Doug, Sloth und Woody den Cave Clan ( caveclan.org), ihnen hatte es vor allem die Melbourner Kanalisation angetan. Als Urahn der Explorer benennt der wohl bekannteste Urbexer, Jeff Chapman alias Ninjalicious, Philibert Aspairt, der sich 1793 bei einer Begehung der Pariser Katakomben verirrte und dort starb. Neu ist nur der Name, das Erkunden von schwer zugänglichen, verlassenen Orten haben Kinder und Erwachsene seit Generationen betrieben. Unter einem englischen Begriff wird es zum globalen Trend einer urbanen Subkultur erhoben und mit zunehmender Popularität zum Massensport des szenischen Stadtvolks.

Explorer wollen nur dokumentieren, nichts verändern. Sie ärgern sich selbst über Vandalismus, der die Authentizität der Orte zerstört. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

"Die lost places haben eine morbide Schönheit", sagt Hardt, während er mit seiner Kamera eine Barbiepuppe auf einem Pflug anzoomt. Wir sind nicht die Ersten, die dem Charme der alten Ziegelei erliegen. Die außergewöhnlichen Motive, der Kontrast zwischen Modernem und Vergänglichem, die Faszination des Verfalls locken Hardt an entlegene Orte und in düstere Winkel. Wo einst Fenster waren, leuchtet die Sonne durch die Öffnungen in der roten Backsteinwand. Mit erprobtem Griff rüttelt Hardt an der Leiter, die zu einem Dachboden führt. Stufe um Stufe nähert er sich der Kante, bis der neugierige Blick erfassen kann, was sich hinter der Luke verbirgt.

Legal ist das Vergnügen nicht. Wer ohne Erlaubnis private Gebäude betritt, begeht Hausfriedensbruch. Deshalb müssen gelegentlich Wachhunde, Sicherheitspersonal und Bewegungsmelder umgangen werden. Hardt bereitet seine Touren gründlich vor. Satellitenbilder im Internet geben ersten Aufschluss, in Communities werden Erfahrungsberichte und Hinweise zu bestimmten Gebäuden ausgetauscht.

Gerade wer in München als Explorer Erfolg haben will, ist auf Tipps seiner Mitstreiter angewiesen. "Hier kann sich die Lage sehr schnell ändern", sagt Hardt. Über ein Forum hat er auch von der Ziegelei erfahren, Ratschläge müssen aber kritisch hinterfragt werden: "Viele spielen sich auf und schildern die Tour extra dramatisch", erzählt Hardt. So warnt ein Urbexer online vor dem gefährlich steilen Hang, den es zu bezwingen gilt, um das Gelände der Ziegelei zu erreichen. Gemütlich spazierten wir die Böschung hinunter.

Durch das Internet erlebt die einstige Subkultur einen Boom. Weltweit vernetzt organisiert sich die Szene über eigene Homepages (zum Beispiel www.urbanex.de) und Social Communities wie Facebook. Durch Treffen und Veranstaltungen wird aus dem privaten Forschervergnügen ein Szenespektakel. Hardt ist das fremd. Zwar tauscht er sich aus und präsentiert seine Fotos online, doch für ihn geht es nicht um die Zugehörigkeit zu einer größeren Gemeinschaft. Er betreibt Urban Exploration als Zivilisationsflucht und Kontrastprogramm zum hektischen Alltag.

Eines der Backsteinhäuser steht besonders verlockend im Schnee. Unter dem Dach klafft ein fenstergroßes Loch in der Fassade, doch die Zugänge in Bodennähe sind vernagelt. Breite Holzlatten versperren den Weg, sie wären mit entsprechendem Werkzeug und etwas mehr Zeit kein Hindernis. Wüsste Hardt von sehenswerten Flecken hinter der Absperrung, würde er die Verkleidung abmontieren und nach seiner Erkundungstour im Haus wieder anbringen.

Mit Vandalismus nämlich, wollen Urbexer nichts zu tun haben. "Take nothing but pictures and leave nothing but footprints", ist der Leitspruch der Szene - nimm nichts außer Fotografien und hinterlasse nichts außer Fußabdrücke. "Ich ärgere mich wirklich über Idioten, die Dinge zerstören, klauen oder verschandeln", sagt Hardt. "Wir Explorer wollen nur dokumentieren, nichts verändern. Das würde die Authentizität der Orte zerstören."

Über knarzende Stufen gelangen wir wieder ins Freie. Während andere erleichtert die frische Luft einatmen würden, blickt Hardt zurück ins modrige Dunkle. "Ich glaube, ich komme wieder", sagt er und packt Kamera und Helm in seinen Rucksack. Durch den knirschenden Schnee geht es zurück in die Zivilisation. Wir hinterlassen nichts, außer Fußspuren.

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