Urban-Art-Messe Stroke.02:Die Straßenkunst hat sich fein gemacht

Früher waren Graffiti häufig illegal und gehörten in die Schmuddelecke der Kunst. Heute zaubern Urban Artists Fresken und fotorealistische Wandbilder aus ihren Spraydosen.

Evelyn Pschak

Lang ist's her, als man unter Graffiti noch Sätze wie "Legal, illegal, völlig egal" verstand, mit mehr oder auch gerne weniger Kunstfertigkeit an Mauern und Wagons gesprüht. Die heute angewandten Techniken verlangen mehr vom urban artist.

The Construction

"Deconestructed City 1": Die Graffiti des Urban Artists "The Conestruction Inc." sind in der Galerie Firstlines in München ausgestellt.

(Foto: The Conestruction)

Er versteht es, den Schattenwurf eines Nasenflügels in feinsten Abstufungen aus der Dose zu zaubern, collagiert zart verwitternde Gesellschaftsstudien in Käthe-Kollwitz-Strich, schafft ein Mosaik von lustig gepixelten Kachelfiguren in luftigen Höhen, verfremdet städtisches Interieur von der Ampel zum ZOB mit Nonsens-Installationen oder schabloniert Wortspiele und Karikaturen von witzig über kritisch bis politisch inkorrekt; kurz, er nutzt ein Instrumentarium, so vielfältig wie unser Lebensraum selbst und so geschliffen, dass an krakelige Unmutsbekundungen vergangener Jahrzehnte nicht mehr zu denken ist.

Nur noch legal

Die sind natürlich auch weiterhin zu sehen. In Berlin-Friedrichshain oder an jeder Kneipenklotür weltweit. Aber sicherlich nicht an den Galerieständen der Stroke.02, der "weltweit ersten Messe für Urban Art und New Contemporary Art" im Tucherpark, so die Veranstalter.

Vor allem während der Live-Paintings wird die Raffinesse der gezeigten Protagonisten deutlich. Das Duo "Herakut" etwa, die Frankfurterin Jasmin Siddiqui und Falk Lehmann aus Weimar, verbindet in gemeinsamen pieces Graffiti und Fotorealismus. Das Lieblingsmotiv des Dreißigjährigen ist ein spitzschnauziger "Straßenköter", dessen prüfend-melancholischer Blick so naturalistisch nachempfunden ist, dass selbst das gelbliche Weiß des inneren Unterlids nicht vergessen wurde.

Derlei Detailgenauigkeit verlangt neben der geübten Hand auch Zeit. Daher arbeitet das Duo seit vier Jahren nur noch legal: Keine nächtlichen Ausflüge unter Bahnhofsbrücken, sondern geladene Gastspiele von Rotterdam bis Los Angeles, bezahlt und mit den Farbdosen eines Sponsors ausgeführt.

Präzision anstatt Schmuddelecke

2006 hat Falk Lehmann auch an einem Buch über eine andere street art-Gruppierung, der er angehört, geschrieben: Ma'claim, die ihre Kunst aufgrund der fotorealistischen Annäherung an urbane Motivik "Graffoto" nennen und ebenfalls auf der Stroke vor Publikum eine Wand bespielen werden.

Im Buch summiert Lehmann die Arbeits-Grundausrüstung: Bleistift, Zollstock, Cuttermesser, diverse Caps (das sind austauschbare Dosenaufsätze, die den Farbaustritt und damit die Feinheit des Auftrags verändern), Gummihandschuhe, Maske mit frischen Ersatzfiltern, Schlagschnur, Klebeband, Plastikfolie (mit der man bei Regenwetter den Entwurf schützen kann), Marker, feiner Pinsel und gute Musik werden aufgezählt. Auch das klingt eher nach Präzision als nach Schmuddelecke.

Mit zunehmender Professionalisierung und Gesetzesnähe von Arbeitsweise, Ausführung und Auftragsakquise veränderte sich das Selbstverständnis der street artists: Sie legen sich zwar immer noch Straßenpseudonyme zu, lüften ihre Identität aber inzwischen zumeist selbst und sogar in eigenen Büchern.

Sie vermerken im Lebenslauf stolz den Namenseintrag im "Großen Graffiti Lexikon". Sie zeigen das Entstehen ihrer Kunstwerke in öffentlich angekündigten Live-Paintings oder aufwändig produzierten Filmen, wie etwa der brasilianische grafiteiro Claudio Ethos, der ebenfalls zur Stroke eingeflogen wird, um seinen grauschattierten, surrealistischen characters vor Publikum Leben einzuhauchen.

Poesie der Metropolen

Über vier Gerüststockwerke ziehen sich seine aufziehbaren Stadtmenschfiguren und Riesenfische, wer ihn auf- und abklettern sieht, die perspektivische und chromatische Finesse bewundernd, fühlt sich bisweilen an Freskenmaler der Renaissance erinnert.

Der 1982 geborene paulistano gehört zu den jüngsten Künstlern, die auf der Stroke zu sehen sind. Die Mailänder Künstlervereinigung "Limited No Art Gallery" zeigt dagegen auch die Mickey-Maus-Pochoirs Giacomo Spazios (geboren 1957), der zu Italiens Ersten gehörte, die Kunst auf die Straße brachten, in den 1970er Jahren noch in gereimter Form mit "Poesia Metropolitana". Das street-Kollektiv "Style Needs No Colour" entzieht der Mauerkunst die Farbe, was den düster-futuristischen Fantasy-Szenarios des Franzosen Duster132 sehr entgegenkommt. Und die Münchner Galerie Firstlines zeigt den 1980 geborenen Fotokünstler Maximilian Geuter, der für seine wie von grünem Nebel getränkten Arbeiten die Aufnahmen einer alten Polaroid SX-70 mit der Technik hochauflösender Digitalkameras kreuzt.

Das sind nur drei von insgesamt 55 Ausstellern, die zur zweiten Auflage der Stroke nach München kommen. Nachdem im letzten Herbst 7000 Besucher die ehemalige BMW-Niederlassung in der Dachauer Straße zur Stroke.01 bevölkerten, erwartet das initiierende Brüdergespann Marco und Raiko Schwalbe in den nächsten Tagen nicht nur mindestens ebenso viele street-art-Adepten sondern auch erheblich mehr Aufwand: "Wir haben 80 Prozent mehr Buchungen an Teilnehmern und bespielen 10.000 Quadratmeter auf vier Etagen einer ehemaligen Landeszentralbank. Da probten wir schon vor einem Jahr - aber nur in Keller und Erdgeschoss - mit der Ausstellung 'Kunst im Tresor' unseren Stroke-Vorlauf," bejubelt Raiko Schwalbe den schnellen Zuwachs der Messe.

Und fügt aber gleich hinzu: "Wir mussten mit unseren Partnern, dem Münchner 'Team from Hell', 14 Tonnen Holz und 3,5 Tonnen Stahlträger schleppen und haben daraus 250 Wandelemente gemalert und aufgestellt." Weiße Wände für urban art. Von städtisch zu stadtfein ist es eben gar nicht so weit.

Bis 30.Mai, von 14 Uhr an , Freitag/Samstag bis 23 Uhr, Sonntag bis 18 Uhr, mit 55 Galerien, Sonderausstellungen, Live-Paintings, Kinovorführungen, Dance-Floors, www.stroke02.com.

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