Urban Art in München:Achtung, die Strick-Guerilla kommt!

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Eine Wollmütze für den Stromkasten oder ein Häkel-Bikini für die Statue: Zwei Studentinnen verzieren mit ihren Handarbeiten München. Sich selbst nennen sie "Rausfrauen", ihre Werke "Guerilla Knitting".

Laura Höss

Der Tisch ist einladend gedeckt, ein buntes Tischtuch gibt es, Platzdeckchen, sogar an Blumen hat der aufmerksame Gastgeber gedacht. Der entscheidende Unterschied ist jedoch: An diesen Tisch wird sich niemand setzen und einen Kaffee trinken. Es wird auch niemand das Buch in die Hand nehmen, das zur Unterhaltung dort platziert wurde. Denn bei diesem Tisch handelt es sich um einen Stromkasten. Der Stromkasten in der Schellingstraße, gleich hinter der Uni, verkleidet als Cafétisch, ist eine der Arbeiten, mit denen zwei junge Münchnerinnen, die sich "Rausfrauen" nennen, seit Anfang des Jahres die Stadt verschönern.

Urban Art in München: Handarbeiten fürs Stadtbild: Zwar verändert sich damit die Sichtweise, den beiden Rausfrauen Sissi und Hermine geht es dabei aber um Feminismus.

Handarbeiten fürs Stadtbild: Zwar verändert sich damit die Sichtweise, den beiden Rausfrauen Sissi und Hermine geht es dabei aber um Feminismus.

(Foto: Robert Haas)

So manche Überraschung wartet da auf die Passanten: Eines Morgens war aus einem U-Bahn-Abteil auf einmal ein heimeliges Wohnzimmer mit Blumengardine und Zierkaktus geworden. Ein Straßenschild hatte einen liebevoll-überflüssigen Stricküberzieher, und die Nixe am Oberanger zeigte sich auf einmal züchtig bedeckt mit einem pinkfarbenen Häkel-Bikini. An jedem Werk war ein kleiner Zettel angebracht, der auf die Urheber verwies: "Rausfrauen verschönern München", stand da, in einer Art, wie auch Größe und Label eines Kleidungsstücks auf dem Etikett angegeben werden.

Die Menschen hinter den Rausfrauen nennen sich Sissi und Hermine. Man sieht ihnen an, dass sie in kein Schema passen wollen. Sissi ist groß, hat schwarze Haare und trägt einen Amélie-Pony. Hermine hat ein mädchenhaftes Gesicht, das durch den rasierten Undercut noch stärker betont wird. Beide sind Studentinnen, Mitte zwanzig, emanzipierte junge Frauen. Fragt man nach ihren echten Namen, schütteln sie den Kopf, denn sie wollen unerkannt bleiben.

Ihnen gefällt die Vorstellung, die Rausfrauen wären ein wenig wie Heinzelmännchen, die unerkannt und unauffällig die Stadt verschönern. Ganz so, wie unsere Großmütter und Urgroßmütter mit Handarbeiten wie Nähen, Sticken oder Klöppeln die Wohnungen ihrer Familien verschönerten. Fertigkeiten, die heutzutage kaum jemand noch beherrscht, die aber seit einiger Zeit ein regelrechtes Revival erleben. Die "Verstrickungen", wie sie ihre Arbeiten nennen, sind gewissermaßen eine Hommage an diese Tätigkeiten.

Denn jahrhundertelang war die Arbeit einer Frau auf den privaten Rahmen beschränkt und damit von jeglicher Form öffentlicher Anerkennung ausgeschlossen. Der öffentliche Raum, der Bestätigung bot, war von jeher ein Bereich, der Männern vorbehalten war. Doch nun erobern ihn die zwei Frauen. Daher auch der Name: Rausfrauen. Eine Abwandlung des Begriffs Hausfrau, eine Reminiszenz daran, dass die Arbeit einer Frau eben nicht mehr nur auf den Kosmos des Haushaltes beschränkt ist und es auch klassische Handarbeit nicht mehr sein sollte. Die Zeiten, in denen Frauentätigkeiten wie Stricken oder Häkeln verpönt waren, sind für Anhängerinnen des "Second Wave Feminism" wie Sissi und Hermine vorbei.

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