Upcycling:Wie aus alten Skateboards Rasierpinsel werden

Jens Reuter

"Der ist so schön, den würde ich am liebsten behalten", sagt Jens Reuter fast jedes Mal, wenn er eines seiner Stücke fertiggestellt hat.

(Foto: JAN-PHILIPP BECKER; Jan-Philipp Becker)

Jens Reuter drechselt aus den Brettern zudem Zubehör für Kaffeemaschinen, Lampenfassungen oder Schaltknüppel. Seine Kunden sitzen in Australien und den USA.

Von Jacqueline Lang

Langsam segeln die bunten Holzspäne auf den Boden und sammeln sich in einem kleinen Häufchen auf dem Boden. Wie Konfetti sehen sie aus, wenn sie durch die Luft fliegen. Jens Reuter bearbeitet das Holz weiter mit seinem Drechselmesser. Nach nicht einmal zwei Minuten wird so aus dem unförmigen, bunten Holzklotz in seiner Hand ein kleiner, runder Knauf. Jedes Stück ein Unikat, ein kleines Überraschungsei. Reuter selbst kann bis zur Vollendung meist nur vermuten, wie die einzelnen Farben verlaufen werden.

2016 hat Jens Reuter aus alten, zusammengeleimten Skateboards einen Tamper für seine Kaffeemaschine zu Hause gedrechselt. Tamper, so nennt man die Geräte, mit denen man bei einem Siebträger den gemahlenen Kaffee fest presst. Ein Foto von dem ersten fertigen Stück hat er auf Instagram gepostet. Sofort wurde das Bild von zahlreichen Freunden mit einem Herz versehen, dem Instagram-Like. Einige schrieben ihm sogar, dass sie selbst gerne einen solchen Tamper hätten.

Eine Geschäftsidee war geboren, und so startete Reuter die Produktion. Trotz der großen Nachfrage, ist "Skateboardcreations" ein Ein-Mann-Unternehmen geblieben. Seitdem drechselt er vor allem Zubehör für Kaffeemaschinen, aber auch Griffe für Schraubenzieher, Schaltknüppel und alles, was seinen Kunden noch so in den Sinn kommt. "Die Leute um mich herum sind deutlich kreativer als ich", sagt der 35-jährige Münchner mit den kurzen schwarzen Haaren und dem Dreitagebart. Er trägt eine schwarze Cap und einen grauen Trasher-Hoodie, dazu Baggie-Pants. Klassischer Skater-Look.

Reuter ist gelernter Schreiner, hat aber schon während seiner Ausbildung feststellen müssen, dass kaum jemand mehr bereit ist, Handarbeit fair zu bezahlen. Deshalb arbeitet er heute hauptberuflich als Ingenieur. Die Arbeit mit Holz hat ihm dennoch gefehlt. Reuter skatet, seit er zehn Jahre alt ist, deshalb stapelten sich bei ihm zu Hause die kaputten Skateboards. Bei ihm in der Küche steht eine Siebträgermaschine; morgens einen Kaffee zuzubereiten ist für ihn und seine Frau längst ein geliebtes Ritual - mit Skateboardcreations lassen sich all diese Leidenschaften perfekt vereinen.

Das Geschäft läuft gut. Aktuell hat er knapp 40 Anfragen aus Deutschland, aber auch aus Österreich, Australien und den USA. Unter den Kunden sind viele Café-Besitzer, aber auch Privatpersonen. Trotzdem steht für Reuter zum jetzigen Zeitpunkt fest, dass er sein Hobby nicht zu seinem Hauptberuf machen will. "Skateboardcreations ist ein Hobby und das wird es auch bleiben." Mittlerweile ist es allerdings ein sehr zeitintensives Hobby: Reuter verbringt seine Wochenenden und auch häufig noch einige Stunden nach der Arbeit in der kleinen Werkstatt unweit der Theresienwiese. Den Platz teilt er sich mit Freunden, Gesellschaft leisten ihm seine beiden Hündinnen Heidi und Wilma.

Mittlerweile reichen seine eigenen Skateboards längst nicht mehr aus, um der Nachfrage gerecht zu werden. "Die Jungs von den Skateparks und natürlich auch Skateshops unterstützen mich sehr", sagt Reuter. Auf seiner Gassitour läuft er täglich mehrmals über den Skateplatz. Die Jungs wissen das und lassen kaputte Boards einfach dort liegen. Reuter sammelt sie dann ein.

Die eigentliche Arbeit beginnt, wenn Reuter das Griptape von den Skateboards lösen muss - besonders im Winter eine mühsame Tätigkeit. "Ich muss alle zwei Tage den Daumenabdruck zum Entsperren meines iPhone ändern", sagt Reuter und muss lachen. Dann beginnt die eigentliche Arbeit erst: Er muss die Oberfläche vom Lack befreien, die Bretter in kleine Stücke sägen, diese zusammenleimen und den Holzblock in die gewünschte Form bringen. In einem letzten Schritt poliert und lackiert oder wachst er das Endprodukt noch auf Hochglanz. Upcycling nennt man das, wenn man alte und kaputte Gegenstände nicht nur wiederverwertet, sondern zu etwas Hochwertigerem verarbeitet.

Reuter kann nur schätzen, wie lange er für einen fertigen Tamper oder Rasierpinsel braucht, sechs Stunden in etwa. Über Geld will der Mann, dessen grauer Pulli von bunten Holzspänen übersäht ist, aber nicht reden. Für ihn geht es nicht in erster Linie um Gewinn, sondern um die Freude am Handwerk. Rechnet man den Preis für einen seiner bunten Knaufe in Arbeitsstunden um, verdient er nur ein wenig mehr als den absoluten Mindestlohn. Vielen sei aber selbst das zu teuer, sagt Reuter.

Skateboardcreations hat keine Homepage, keine Facebook-Seite, nur diesen einen Instagram-Account mit mittlerweile mehr als 2000 Abonnenten. Seinen ersten Tamper hat Reuter noch auf seinem privaten Account geteilt, mittlerweile nutzt er Social Media nur noch beruflich. Er verzichtet darauf, Werbung über zusätzliche Kanäle zu machen. "Ich habe genug zu tun", sagt Reuter. Mehr als 100 Bestellungen hat er seit 2016 entgegengenommen.

Die kleine Drechselbank, die Reuter mit Stickern beklebt hat, surrt wieder. Er legt das Drechselmesser an, sein Blick ist konzentriert. Die bunten Holzspäne rieseln zu Boden. Als er fertig ist, schaut er auf den farbenfrohen Knauf in seiner Hand und sagt: "Der ist so schön, den würde ich am liebsten behalten." So geht es ihm eigentlich bei jedem Stück.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: