Süddeutsche Zeitung

Unwetter in München:20 Minuten, die für Verwüstung sorgten

  • Wegen der starken Unwetter rückte die Polizei am Montagabend in München zu rund 200 Einsätzen aus.
  • Bei der Feuerwehr gingen knapp 700 Anrufe ein. Im Hasenbergl lief eine Tiefgarage mit Wasser voll.
  • Auch im Umland gab es schwere Schäden. Betroffene sollten Schäden zügig an ihre Versicherung melden.

Von Anna Hoben und Annemarie Rencken

Gerade waren sie noch auf einer Wiese in Allach gewesen und hatten sich eine Schafherde angeschaut. Plötzlich war es dunkel geworden und windig, und Arne Hess hatte zu seiner Frau gesagt: "Lass uns lieber heimgehen." So erzählt er es am Tag danach. Kaum angekommen zu Hause in Obermenzing, "hat es runtergehagelt vom Feinsten". Nach 20 Minuten war der Spuk vorbei, die Sonne kam raus, und die ersten Nachbarn standen schon auf der Straße und fegten Blätter zusammen. "Es sah aus, als ob ein Tornado hier durchfegt hätte", sagt Hess. Die Bäume: entlaubt. Der wilde Wein am Haus der Nachbarn: verschwunden. Die Rollos: gelöchert wie Schweizer Käse. Ebenso die erst vor zwei Jahren sanierten Hausfassaden. Am Boden lagen Hagelkörner mit mehreren Zentimetern Durchmesser.

Am Dienstagvormittag rief Arne Hess erst einmal bei seiner Versicherung an. Sein Auto hatte zwar einigermaßen im Windschatten gestanden, die Scheiben blieben ganz, doch das Dach hatte es ziemlich erwischt. Die Versicherung habe gesagt, er solle erst einmal in die Werkstatt fahren. Die wiederum riet ihm, spontan nach dem Mittag zur Begutachtung vorbeizukommen und viel Zeit mitzubringen - man mache keine Termine mehr, es sei einfach zu viel los. Also fuhr Hess - immerhin hat er gerade Urlaub - erst einmal in die Waschanlage, um sein Auto vom Laub zu befreien. Er sei mindestens schon der Fünfzigste an diesem Tag, dessen Auto so aussehe, hätten die Mitarbeiter dort gesagt. "Dort war Großkampftag."

Ein Großkampftag, das war der Montagabend vor allem für Polizei und Feuerwehr. Nahezu 500 Anrufe gingen pro Stunde bei der Polizei ein, 200 Mal rückten die Beamten zu Einsätzen aus, wegen Sturmschäden und Gefahrenstellen. 22 Mal wurden Ausfälle an Ampelanlagen gemeldet, zehn Mal Überflutungen, vor allem im Münchner Westen, den das Unwetter besonders heftig getroffen hatte. Man schätze den entstandenen Sachschaden "vorsichtig" auf eine sechsstellige Summe, sagte ein Sprecher der Polizei am Dienstag.

Tiefgarage im Hasenbergl vollgelaufen

Die Leitstelle der Feuerwehr nahm 700 Einsätze auf: Hagelkörner hatten Fenster eingeschlagen, woraufhin der Regen Wohnungen volllaufen ließ. Umgefallene Bäume hatten Fahrzeuge, Gebäude und Versorgungsleitungen der Deutschen Bahn beschädigt. Laub verstopfte Kanaldeckel, was zu überfluteten Fahrbahnen und Unterführungen führte - zum Teil waren in den westlichen Stadtteilen die Fahrbahnen nicht mehr zu erkennen. Gegen 22 Uhr drohte ein Damm an der Würm zu brechen; der Fluss hatte sich durch quer liegende Bäume zurückgestaut und drohte nördlich der Verdistraße in Obermenzing überzulaufen. Mit Sandsäcken konnte die Feuerwehr dies verhindern.

Die Stadtteile im Münchner Osten blieben vom Hagel verschont, dort mussten die Einsatzkräfte jedoch ein durch den Wind gelockertes, acht Stockwerke hohes Gerüst sichern. Im Hasenbergl lief der Regen in eine Tiefgarage, auf 4000 Quadratmetern Fläche stand das Wasser ungefähr 30 Zentimeter hoch. Das Abpumpen dauerte sechs Stunden. 250 Einsatzkräfte von der Berufsfeuerwehr waren unterwegs, zudem 380 Männer und Frauen von der Freiwilligen Feuerwehr. Auch am Dienstag war die Feuerwehr noch gut beschäftigt mit den Nacharbeiten. Die Stadt hat unterdessen bis auf Weiteres die Friedhöfe Neuhausen, Feldmoching, Obermenzing, Untermenzing, Allach und Aubing sowie den Westfriedhof für Besucher geschlossen - "als reine Vorsichtsmaßnahme gegen unvorhergesehenen Astbruch und die Umsturzgefahr von Bäumen". Beisetzungen fänden jedoch wie geplant statt.

Schäden für Versicherte noch nicht abschätzbar

Wie viele Versicherte in und um München vom Unwetter betroffen sind, kann die Bayerische Versicherungskammer noch nicht abschätzen. "Die Kunden sind gerade noch dabei, die Schäden zu melden", sagt Sprecherin Inge Sommergut. Man sei aber auf eine große Anzahl an Anrufen vorbereitet, eine kostenlose Hotline (0800/62 36 62 36 ) ist eingerichtet. Laut ihrer Einschätzung habe es durch die Wucht und die Größe des Hagelschlags viele Schäden an Gebäuden und Autos gegeben. Die Kammer rät Betroffenen, Schäden möglichst schnell zu melden und Fotos von den betroffenen Stellen zu machen.

Einigermaßen glimpflich davongekommen ist der Botanische Garten in München. Mit zwei Zentimetern Durchmesser seien die Hagelkörner dort nicht so groß gewesen, teilt Sammlungsdirektorin Ehrentraud Bayer mit. Allerdings habe der Hagel bei vielen Pflanzen mit weicherem Laub zum "Verlust zahlreicher Blätter oder zum Durchlöchern der Blätter geführt". Auch die krautigen Pflanzen im Schmuckhof hätten gelitten. Glasschäden an den Gewächshäusern habe es nicht gegeben. "Alles in allem schätzen wir uns sehr glücklich, dass die Schäden nicht größer sind", so Bayer.

Wie stark das Unwetter im Umland wütete, davon kann etwa Uschi Anlauf berichten. Ihr Haus in Finning hinter dem Ammersee hat einiges abbekommen: Auf der Westseite hat der Hagel die Fenster eingeschlagen, die Wand sehe aus, "als hätte jemand darauf geschossen". Ihr Auto: Totalschaden, mehrere Einschläge in der Scheibe. Und auch im Dach gebe es tennisballgroße Löcher. Viele Nachbarn hat es ähnlich erwischt, Dächern und Solaranlagen sind kaputt. Der Dachdecker dort hat einiges zu tun. Dienstagnachmittag sind es um die hundert Aufträge, Tendenz steigend.

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SZ vom 12.06.2019/lfr
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