Unterwegs an Tankstellen in München:Anzapfen und abzapfen

Benzin ist teuer wie nie und nicht mal mehr Bier können sie verkaufen, wie sie wollen: Münchner Tankstellen haben es derzeit nicht einfach. Die Kunden sind nicht nur verärgert - auch die Zahl der Benzindiebe steigt rapide.

Martin Mühlfenzl

Diese Szene läuft immer wieder gleich ab, wie ein ständig wiederkehrender Werbespot im Fernsehen: Ein Kunde tankt, sieht sich vorsichtig um, hängt den Zapfhahn ein - und springt blitzschnell in sein Auto, um das Weite zu suchen. "Da rege ich mich nicht mehr auf", sagt Frau Heindl, wie die Kassiererin der Tankstelle am V-Markt in der Balanstraße von ihrer Stammkundschaft genannt wird.

Unterwegs an Tankstellen in München: Bernhard Bader sucht per App nach günstigen Angeboten.

Bernhard Bader sucht per App nach günstigen Angeboten.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Ich würde ihn eh nicht erwischen. Bis ich aus meinem Häuschen draußen bin, ist der über alle Berge." Nur eben nicht unerkannt, schließlich wird die Zapfanlage auf dem Parkplatz des Großmarktes per Video überwacht. Kein Detail - vor allem kein Autokennzeichen - entgeht den Kameras, weiß Heindl: "Wir kriegen sie alle."

Eine Tankstelle, das ist ein kleiner geschlossener Mikrokosmos, der dennoch viel über das große Ganze, über soziale Zusammenhänge und gesellschaftliche Probleme verrät. Und wie so oft im Leben geht es letztlich um ein uraltes Thema: ums Geld. "Jeder Preissprung, jede Steigerung und jede Verbilligung machen sich hier an den Säulen bemerkbar", weiß die Kassiererin. "Und das Geld sitzt halt nicht mehr so locker." Dass immer mehr Menschen das Risiko eines Diebstahls an einer Tankstelle eingehen, sei bezeichnend: "Und da geht es eigentlich nie um große Beträge. Wenn einer abhaut ohne zu zahlen, hat er fast nie vollgetankt." Das Gewissen, sagt Frau Heindl. Das Gewissen der Leute verhindere den Betrug mit einem vollen Tank.

Verantwortungsbewusstsein an der Tankstelle? Darüber kann Josef Dierl, der an der Anlage in der Rosenheimer Straße in der Spätschicht arbeitet, nur lächeln. "Das ist schon komisch, was sie sich da wieder ausgedacht haben", sagt Dierl beim Blick auf ein Schreiben des Münchner Kreisverwaltungsreferats, das den Betreiber der Tankstelle bereits im März dieses Jahres erreicht hat. Es nahm damals eine Gesetzesänderung der bayerischen Staatsregierung vorweg, die seit Juni für alle Tankstellen im Freistaat gilt.

Der Freistaat legt per Gesetzesnovelle die Tankstellen gewissermaßen trocken. "Tankstellen ohne Gaststättenerlaubnis dürfen nach Ladenschluss kleinere Mengen an Lebens- und Genussmitteln nur noch an Reisende verkaufen", lautet der Gesetzestext. Soll heißen: Zwei Liter Cola oder vier Halbe Bier, zwischen acht und 14 Prozent Alkoholgehalt nur noch ein Liter - für Autofahrer oder deren Beifahrer ab 20 Uhr. An Fußgänger und Radfahrer darf gar nichts mehr verkauft werden.

"So einen Schmarrn habe ich noch nie gehört", sagt der 18-jährige Michael aus Giesing, der sich mit seinen Freunden auf dem Weg in die Kultfabrik befindet - zu Fuß. "Aber vielleicht stell' ich mein Auto das nächste mal einfach an der Tanke ab. Und wenn ich nach Hause fahr', kann ich ja noch was einkaufen." Einen Alternativvorschlag präsentiert Michaels Kumpel Anian, der sich eigentlich nicht über die Vorschriften amüsieren kann: betrunken das Auto zur Tankstelle schieben. "Dann müsste man doch auch einkaufen dürfen."

Schuld sind die hohen Preise

Die neue Regelung sorgt bei vielen Kunden der Tankstelle in der Rosenheimer Straße, die wie die meisten Anlagen mittlerweile auch einen Shop betreibt, für Kopfschütteln. "Da waren Experten am Werk", schimpft eine Mittvierzigerin, die beide Angebote der Tankstelle nutzt: die Möglichkeit nach 20 Uhr zu tanken - und noch ein paar Kleinigkeiten einzukaufen. Um diesen Vorzug für seine Kunden fürchtet auch Josef Dierl, schließlich hat seine Tankstelle rund um die Uhr geöffnet. "Wenn wir irgendwann an bestimmten Tagen oder zu bestimmten Uhrzeiten nichts mehr verkaufen dürfen, brauchen wir gar nicht aufsperren", sagt der Verkäufer. "Die Zeiten sind vorbei, da eine Tankstelle nur vom Benzinverkauf gelebt hat."

Unterwegs an Tankstellen in München: Josef Dierl versteht den Sinn der neuen Gesetzgebung nicht.

Josef Dierl versteht den Sinn der neuen Gesetzgebung nicht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Es sei denn, sie steht an einer exponierten Stelle. Die Tankstelle Hamberger in der Friedensstraße im Süden des Ostbahnhofs gehört in diese Kategorie - sie liegt an einer viel befahrenen Straße, direkt neben dem eigentlichen Haupthaus, dem weithin bekannten Großmarkt. "Wenn ich schon mal hier bin, dann tanke ich auch gleich. Man weiß ja auch, dass die Tanke zu den günstigeren gehört", sagt der Gastronom Markus Fleischer aus Landsberg am Lech.

"Das ist die große Stärke von Tankstellen neben einem Großhandel: Wir profitieren davon auch ungemein", erklärt Frau Heindl hinter der Glasscheibe ihrer Kasse am V-Markt. Vor allem am Nachmittag zieht das Geschäft merklich an, ab 16 Uhr herrscht an der Tankstelle Hochbetrieb. Einkaufen, Kaffee trinken, tanken - dies sei der normale Rhythmus der Kunden in der Balanstraße, sagt Heindl.

Draußen an der Zapfsäule kümmert sich währenddessen Reinhold Schuster um seine Vespa - ein italienisches Modell, dessen weiße Reifen Stilbewusstsein verraten. Wenn die Tankanzeige seiner Vespa sich dem unerfreulicheren Bereich nähert, begibt sich Schuster auf eine kleine Spritztour durch das Viertel - meistens am Abend. "Ich schau ganz bewusst, wo es am günstigsten ist. Bei den Preisen bleibt mir auch nichts anderes übrig", sagt der begeisterte Rollerfahrer, der sich derzeit auf Arbeitssuche befindet. "Es gibt ja mittlerweile sogar Tankstellen, die machen ganz bewusst Werbung", berichtet er. "Da wird einem dann gesagt: Komm morgen Abend vorbei, dann ist der Liter gleich um zehn Cent billiger." Ein Tipp, den wohl keiner ausschlagen kann.

Michael Nocker, der an der Säule nebenan seinen Wagen volltankt, schaut zwar nachdenklich auf die großflächige Anzeige - 1,71 Euro für den Liter Super ist dort zu lesen. Aufregen will sich der Münchner aber nicht: "Ich kann es ja eh nicht ändern. Aber natürlich wird man sensibler und informiert sich über das Internet, wo es gerade am günstigsten ist." Oder über eine spezielle App auf dem Smartphone, wie Bernhard Bader: "Das ist aber auch das einzige, was ich wegen der Preise unternehme. Noch trifft mich das Ganze nicht so hart."

Der Kunde gehört demnach nicht in die Riege jener, die eine Tankstelle manches Mal mit einer Beschwerdestube verwechseln. "Natürlich kriegen wir viel ab. Hier können die Leute ihren Frust rauslassen - aber daran hab' ich mich gewöhnt", sagt Kassiererin Heindl. "Ich kann dann nur sagen: Ich kann nix dafür, muss ja auch hier tanken und dieselben Preise zahlen."

Die hohen Tarife machen sich auch in einer reichen Stadt wie München bemerkbar, berichtet die Verkäuferin: "Am Ende des Monats ist weniger Geld im Portemonnaie - und bei uns weniger los. Und viele tanken einfach für kleinere Beträge." Oder versuchen den Diebstahl an der Zapfsäule, wenn sie unbedingt Ärger bekommen wollen.

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