Untervermietung in München:Lärm, Müll und ein Kampf der Kulturen

Untervermietung in München: Die Anlage liegt in einem ruhigen Hinterhof. Doch die Konflikte der Bewohner beschäftigen das Gericht, die Polizei und die städtischen Behörden.

Die Anlage liegt in einem ruhigen Hinterhof. Doch die Konflikte der Bewohner beschäftigen das Gericht, die Polizei und die städtischen Behörden.

(Foto: Robert Haas)

In einer Wohnanlage in einem ruhigen Hinterhof in der Paul-Heyse-Straße werden seit geraumer Zeit Unterkünfte an arabische Gäste untervermietet. Seither gibt es Konflikte mit den Nachbarn, die inzwischen Behörden, Polizei und Gerichte beschäftigen.

Von Sebastian Krass

Die Schilder an fünf Wohnungstüren sind rot, also nicht zu übersehen für jeden, der durch die Flure geht. Und was darauf steht, ist unmissverständlich: "Klingeln und Betreten verboten (§123 StGB)". Dieser Paragraf im Strafgesetzbuch gilt dem Delikt Hausfriedensbruch. Dazu ist auf dem Schild eine Handynummer genannt, ein "24H Notdienst/Support". An diese Nummer sollen Nachbarn sich also wenden, wenn es Probleme gibt. Doch für die Probleme, die es in dieser Wohnanlage gibt, reicht eine Telefonnummer längst nicht mehr.

Die Konflikte, die Bewohner der Paul-Heyse-Straße 30 bis 34 austragen, beschäftigen das Gericht, die Polizei und die städtischen Behörden. Die Kernfrage ist: Wird hier ganz normaler Wohnraum, der Münchner Bürgern zur Verfügung stehen könnte, zweckentfremdet als temporäre Unterkunft für Medizintouristen aus dem arabischen Raumf? Aber es geht auch um das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen und Lebensweisen auf engem Raum. Und in der vergangenen Woche musste die Polizei sogar untersuchen, ob eine arabische Familie eine Bedienstete unter ausbeuterischen Bedingungen beschäftigt.

Eine Wohnung nach der OP

Die Anlage mit insgesamt 139 Wohnungen in einem an sich ruhigen Hinterhof an der viel befahrenen Paul-Heyse-Straße existiert seit dem Jahr 2000. Waltraud S. ist Verwaltungsbeirätin der Eigentümerversammlung. Mit ganzem Namen will sie nicht in der Zeitung stehen. Sie wohnt seit 14 Jahren mit ihrer Familie hier, im Erdgeschoss mit kleinem Gärtchen. "Vor etwa zwei Jahren hat der Ärger begonnen", erzählt S. "In mehreren Wohnungen zogen in relativ kurzen Abständen Hotelgäste ein und wieder aus." Die Gäste kommen meist aus arabischen Ländern und halten sich für medizinische Behandlungen in München auf, so bestätigt es Anhor S., der mehrere dieser Wohnungen untervermietet.

München sei nach Paris und London das drittwichtigste europäische Ziel für Reisende aus den arabischen Golfstaaten, erklärte das Tourismusamt im vergangenen Jahr. 1994 kamen 8000 Gäste von dort in München an, 2012 waren es 140 000. Ein kleiner Teil mietet sich in Luxushotels ein, die meisten eher in Mittelklassehotels, die sich auf arabische Kundschaft spezialisiert haben - oder in Appartements wie in der Paul-Heyse-Straße.

Anhor S. ist deutscher Staatsbürger mit guten Beziehungen in die arabische Welt. Und er betreibt ein vermutlich lukratives Geschäft. Bei einer Gerichtsverhandlung vor zwei Monaten war unwidersprochen die Rede von 60 Euro Miete pro Quadratmeter. Die Wohnungen, um die es geht, sind zwischen 40 und 90 Quadratmeter groß. Bei einer kleinen Einheit wären das Mietkosten von 2400 Euro pro Monat.

Aggressive Reaktionen

Familie S. und viele ihrer Nachbarn fühlen sich gestört. Sie beklagen, dass die arabischen Gäste sich lautstark im Hof oder bei geöffneten Fenstern unterhalten. Bei der Hausverwaltung sind zahlreiche Mails eingegangen, in denen vermeintliche Ruhestörungen, oft nach Mitternacht, detailliert beschrieben sind. Auf Bitten, ruhig zu sein, hätten arabische Bewohner teils aggressiv reagiert. Eine andere Klage kreist um den Müll. Ein Bewohner hat Fotos von überquellenden Containern gemacht. "Ein ständiges Problem", sagt S., "weil die temporären Mieter teils mit sieben bis acht Personen auf engem Raum leben." Es wurden auch schon Löcher in die Hausfassade gebaut, für die Schläuche von Klimaanlagen.

Schließlich klagte die Eigentümerversammlung auf Unterlassung dieser Art von Vermietung. Der Amtsrichter zeigte teils Verständnis, die Kurzzeitvermietung sei womöglich ein Verstoß gegen die Zweckentfremdungsverordnung. Allerdings sei die Frage auch, ab wann Belästigungen unzumutbar seien. Der Vermieter wiederum müsse seinen Kunden immer wieder hiesige Regeln des Zusammenlebens erklären. Der Richter regte einen Vergleich an. Die Löcher in der Fassade allerdings seien nicht in Ordnung, fand auch er. Nun hängen Schläuche von Klimaanlagen aus den Fenstern, die ansonsten mit Gardinen und Rollläden nach außen abgeschottet sind.

Jede Woche eine Eskalation

In der Zwischenzeit hat sich die Rechtslage teils geändert. Die Lokalbaukommission (LBK) hat fünf von Anhor S. vermietete Wohnungen umgewidmet, sie dienen seit Juni offiziell als Boardinghausbetrieb. Das Geschäft mit der Kurzzeitvermietung ist legalisiert. Wie kann das sein, bei der Wohnungsnot in München? Die Wohnungen seien früher einmal Büroraum gewesen, erklärt ein LBK-Sprecher. Deshalb habe man die Umwidmung genehmigen müssen.

Bei fünf anderen Wohnungen in der Anlage prüft das Sozialreferat noch, ob sie zweckentfremdet werden. Ein Sprecher erklärt, die Verfahren sollen "bis Ende des Jahres abgeschlossen sein". Vermieter einer dieser Wohnungen soll nach SZ-Informationen Anhor S. sein. Verstößt er doch gegen geltendes Recht? Diese Wohnung würde "für Zeiträume über drei Monate, mithin längerfristig, vermietet", erklärt sein Anwalt. Drei Monate, so der Sprecher des Sozialreferats, sei die kritische Grenze: Länger laufende Mietverhältnisse gelten eher nicht als Zweckentfremdung.

Vermieter Anhor S. erklärt auch: "Die Mieter wurden und werden angewiesen, sich möglichst ruhig zu verhalten." Er sieht ein anderes Problem: Fremdenfeindlichkeit. "Offensichtlich haben einige Nachbarn grundsätzliche Probleme mit ausländischen Mitbürgern und Gästen." Er berichtet, arabische Gäste seien körperlich angegriffen worden. Nachbarn hätten versucht, in Wohnungen einzudringen. Deshalb die roten Schilder an den Türen. S. hat an den Fassaden auch gelbe Schilder montiert, die auf Videoüberwachung hinweisen. Das solle abschrecken, erklärt er. Videoüberwachung gebe es "derzeit noch nicht". Waltraud S. sagt, ihr sei nichts von tätlichen Angriffen bekannt.

Ermittlungen wegen Menschenhandels

In der vergangenen Woche folgte die nächste Eskalation. Eine Person, die schon lange im Haus wohnt, bekam, so erzählt sie, von einer Philippinin einen Zettel zugesteckt. Die SZ konnte diese Notiz einsehen. "Ich brauche Ihre Hilfe, ich muss hier raus", steht da auf Englisch. "Ich muss immer nur arbeiten und werde ständig angeschrien. Ich habe kein Geld und keinen Pass." Anwohner erstatteten Anzeige wegen Menschenhandels zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft.

Die Polizei kam, kontrollierte die Papiere der Familie und der Bediensteten. Die aber sagte offenbar nichts aus. Jedenfalls war "jeglicher Anfangsverdacht von Straftaten ausgeschlossen", erklärt ein Polizeisprecher. Kurz darauf reiste die arabische Familie eilig ab, mit der Bediensteten. Kommt es in den Wohnungen von Anhor S. zu Ausbeutung? Er widerspricht: Ihm sei der Sachverhalt "nicht bekannt". Solche Arbeitsverhältnisse lehne er "auf ganzer Linie" ab. Erführe er davon, würde er rechtliche Schritte einleiten. Und die verdächtig schnelle Abreise der Gäste? Das habe mit einem Todesfall zu tun. Wegen des Polizeieinsatzes "hätte die Familie beinah den Flug verpasst".

Die Verhandlungen über den vom Richter angeregten Vergleich laufen noch. Doch wie der einmal funktionieren soll, das weiß derzeit wohl niemand.

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