Untergiesing:Unter Verdacht

Untergiesing: Das Streitobjekt: das Wohnhaus an der Hans-Mielich-Straße.

Das Streitobjekt: das Wohnhaus an der Hans-Mielich-Straße.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der gemeinnützige Verein SOS Kinderdorf wehrt sich gegen den Vorwurf, seine Arbeit durch eine Vermietungspraxis zu finanzieren, die zur Verdrängung alteingesessener Bewohner führen könnte

Von Julian Raff, Untergiesing

Vor drei Monaten hatte der Stadtrat die Erhaltungssatzung Untere Au/Untergiesing verlängert und erweitert; nun werfen Luxussanierungen an der Hans-Mielich-Straße die Frage auf, ob das Instrument überhaupt etwas taugt. Enorme Preissprünge bei der Neuvermietung sanierter Wohnungen erscheinen Bewohnern, Nachbarn und Bezirksausschuss umso bedenklicher, als das betroffene Haus seit Jahresanfang dem gemeinnützigen Verein SOS Kinderdorf gehört. Die renommierte Institution hatte das 119 Jahre alte Gebäude Hans-Mielich-Straße 1 A von der verstorbenen Eigentümerin geerbt und sieht sich nun dem Vorwurf gegenüber, die karitative Arbeit durch eine Vermietungspraxis zu finanzieren, die zur Verdrängung alteingesessener Bewohner führen könnte.

Ein erster Blick auf und in das 50 Meter südlich des Hans-Mielich-Platzes gelegene Haus löst nicht gerade Gentrifizierungsalarm aus: Die braungraue Fassade zeigt deutliche Patina, Eingangsbereich und Treppenhaus gäben eine gute Kulisse für ein Milieustück aus dem alten Arbeiterviertel Giesing ab. Die Website der Makler- und Verwalterfirma Grosdidier zeichnet ein anderes Bild: Unter dem Titel "Schöner Wohnen am Hans-Mielich-Platz" und einem Foto der renovierten Fassaden wird eine "top renovierte", 131 Quadratmeter große Wohnung für 2380 Euro kalt, beziehungsweise 2630 Euro warm angeboten. Im weiten Umkreis wohl eine Rekordmarke, auch bei der Steigerung: Laut Auskunft der Mieter lag das Niveau über gut zwei Jahrzehnte bei 5,64 Euro pro Quadratmeter. Die angebotene Wohnung kostete demnach seinerzeit knapp 740 Euro kalt, beziehungsweise 990 warm.

Der technische Sanierungsstandard mit neuem Grundriss, neuen Böden, Küche oder Bad steht außer Frage, dennoch hat sich offenbar bislang niemand für die Luxus-Insel im einfachen Wohnumfeld entschieden. Die Wohnung wäre sofort beziehbar und sollte vor einigen Wochen noch 2830 Euro warm kosten - für die Bewohner ein Indiz dafür, dass versucht wird, sich dem erreichbaren Höchstpreis schrittweise von oben anzunähern; ein ähnliches Vorgehen erwarten sie bei zwei weiteren Wohnungen. Laut Kinderdorf-Pressesprecherin Carolin Mauz werden alle freien Wohnungen "auf den aktuellen Stand gebracht. Sollten weitere Wohnungen leer stehen, werden die Renovierungen fortgeführt, bis das gesamte Objekt saniert ist". Dabei betont die Sprecherin: "Die Mieter wurden und werden nicht gekündigt." Ein Bewohner hatte jedoch im Bezirksausschuss die Sorge geäußert, dass er und seine Nachbarn doch zum Auszug gedrängt werden könnten; der Verein SOS Kinderdorf jedenfalls sei über die auch als Verwalter eingesetzte Firma Grosdidier "sehr bestimmend" aufgetreten. Über die Einzelsanierungen hinaus sind neue Balkone, ein Lift und eine Fassadenerneuerung geplant - Maßnahmen, die alle Mieter zumindest im rechtlichen Rahmen von 15 Prozent Mietsteigerung mitzutragen hätten.

Alles in allem eigentlich genau der Fall, den die Erhaltungssatzung verhindern soll. Eine entsprechende "Abwendungserklärung" hat die Stadt vom neuen Eigentümer allerdings nie verlangt, da sie erst durch die Bewohner von der Sanierung erfuhr; ein Eigentümerwechsel per Erbschaft muss nicht ans Kommunal- und Sozialreferat gemeldet werden, ebenso entfällt das städtische Vorkaufsrecht.

Ein Behördenversagen läge allerdings vor, falls, wie Hausbewohner nach wie vor mutmaßen, der Eigentumsübergang formal als Kauf abgewickelt worden wäre, um Miterben auszuzahlen. Laut SOS Kinderdorf eine Fehlinformation: Der Verein sei Alleinerbe und erfülle die Ansprüche einiger, ebenfalls gemeinnütziger Vermächtnisnehmer auf Basis eines Verkehrswertgutachtens.

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