Untergiesing:Hier Zwitschern, dort Dröhnen

Eine Hör-Exkursion zeigt: Jeder Mensch nimmt anders wahr, stört sich an anderen Geräuschen. Ein weinendes Kind etwa wirkt fast so laut wie ein vorbeifahrendes, schweres Auto - doch der Straßenlärm ist gesundheitsschädlich

Von Johannes Korsche, Untergiesing

Roozbeh Karimi steht mit seinem Schallpegelmesser an der Humboldtstraße, Ecke Pilgersheimer Straße, um ihn herum die knapp 30 Teilnehmer der Hör-Exkursion durch Untergiesing, zu der das Münchner Forum und der Gesundheitsladen München am Freitagnachmittag eingeladen hatten. Niemand spricht in der Nähe des Messgeräts. Nur der Autoverkehr an der Straßenecke führt zu den Ausschlägen auf dem Display. Aber was heißt "nur"? Das Messergebnis ist hoch. Mit einem Mittelwert von etwa 72 Dezibel zu hoch, findet Karimi, der als Ingenieur seine Kunden beim Schallschutz berät. In ein paar Stunden, während der Rush-Hour, werden noch mehr Autos über die Kreuzung fahren, berichtet eine Anwohnerin. "Das Schlimmste ist aber nicht das normale Verkehrsrauschen, sondern das ständige Hupen." Sie muss regelrecht schreien, um die Motorengeräusche zu übertönen.

Hör-Exkursion durch Untergiesing, Giesing

Schluckt ziemlich viel: die Schallschutzwand an der Bahnlinie Nähe Humboldtstraße.

(Foto: Florian Peljak)

"Mit offenen Ohren" will Gunhild Preuß-Bayer vom Gesundheitsladen durch das Viertel spazieren, von der lauten Humboldtstraße über den ruhigeren Hans-Mielich-Platz zum nahezu idyllischen Rosengarten. Immer am Lauschen nach Geräuschen, nach Auto- und Bahnlärm und dem gelegentlichen Vogelgezwitscher, das manchmal "wie ein schöner Farbtupfer in einem hässlichen Gemälde" den Verkehrslärm überdeckt, wie Karimi sagt. Doch der Straßenlärm an der Humboldtstraße ist nicht nur "hässlich", sondern vor allem gesundheitsgefährdend. "Die Lärmuntersuchungen der vergangenen 40 Jahre haben gezeigt, dass es eine Verbindung zwischen Schlafproblemen, Depression oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen und der Lärmbelastung gibt", sagt Karimi.

Hör-Exkursion durch Untergiesing, Giesing

Hält Roozbeh Karimi sein Messgerät an eine Straßenkreuzung, fällt der Ausschlag heftiger aus.

(Foto: Florian Peljak)

Nur wenige hundert Meter weiter, auf der kleinen, zwischengenutzten Fläche an der Hebenstreitstraße, hält die Gruppe erneut an. Ein Zaun, ausgeschmückt mit Bambusrohren, und Gestrüpp liegen nun zwischen Karimis Messgerät und dem Autoverkehr. Prompt ist es um zehn Dezibel leiser - wenn nicht gerade ein Güterzug über die Gleise donnert. "Das entspricht einer Halbierung der Lautheit", sagt Karimi. Lautheit bezeichnet das subjektive Lärmempfinden. Denn jeder Mensch nehme seine akustische Umgebung anders wahr, störe sich an unterschiedlichen Geräuschen. Weil man sich an den Verkehrslärm mit der Zeit gewöhnt, "wird der zwar nicht mehr so laut wahrgenommen, aber wirkt trotzdem physikalisch laut auf den Körper." Ein Beispiel: Ein SUV fährt auf der Birkenau in Richtung Hans-Mielich-Platz. Kopfsteinpflaster, Zone 30. Das Messgerät zeigt 62 Dezibel an, als der Wagen an Karimi vorbeifährt. Ein weinendes Kind, das er wenig später aus etwa 10 Metern Entfernung misst, ist lediglich 59 Dezibel laut. Trotzdem empfindet man das Kind als das lautere Geräusch. Gesundheitsschädigender ist das vorbeifahrende Auto.

Nach gut drei Stunden Spaziergang durch das Viertel, ist die Hör-Exkursion an der letzten Station, im Rosengarten, angekommen. "Willkommen im Erholungsgebiet", sagt Preuß-Bayer. Tatsächlich ist die Lautheit im Vergleich zur Messung an der Hebenstreitstraße erneut um die Hälfte gesunken. Vor allem hört man kaum mehr den Auto- oder Zugverkehr, der die vergangenen Stunden so präsent war. Diese angenehme Geräuschkulisse muss nicht die Ausnahme in der Stadt sein, zumindest wenn es nach Karimi geht. "Lärm wird von uns allen produziert." Alle seien daher zugleich Opfer und Täter. Ein Ausweg ist, "sich selber an der Nase zu packen und zu fragen, wo verursache ich Lärm?" Das beginne zum Beispiel beim Autokauf: Müssen es denn wirklich die breiteren - und damit lauteren - Autoreifen sein oder kauft man nicht lieber die dünneren Reifen, fragt Karimi in die Runde. Allgemein wünscht er sich "mehr Pragmatismus, einfach das Hirn einschalten". Übertragen auf die Situation an der Humboldtstraße heißt das, zweimal zu überlegen, bevor man seinem Unmut über die Hupe Luft macht.

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