Süddeutsche Zeitung

Untergiesing:Gentrifizierungs-Vorwürfe gegen SOS-Kinderdorf

  • Die Hilfsorganisation SOS-Kinderdorf vermietet ein Haus an der Hans-Mielich-Straße in Giesing und will nun sanieren.
  • Die Mieter befürchten, dass ihre Wohnungen dabei zu Luxusobjekten umgebaut werden und sie sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten können.
  • Das SOS-Kinderdorf betont auf Nachfrage: "Angst ist nicht in unserem Interesse."

Von Isabel Bernstein und Julian Raff

Maklerträume sehen eigentlich anders aus als das schmucklose Haus an der Hans-Mielich-Straße 1 a mit seinem angegrauten Nachkriegsambiente. Für die Mieter schien hier lange die Zeit stehen zu bleiben, während ringsum modernisiert und teuer neu vermietet wurde. Nun ist die Gentrifizierung offensichtlich auch in diesen Teil Untergiesings vorgedrungen. Im Zentrum des Streits über steigende Mieten und Luxussanierungen steht als Eigentümer ausgerechnet ein gemeinnütziger Münchner Verein, der sich nun dem Verdacht ausgesetzt sieht, seinen guten Zweck mit zweifelhaften Mitteln zu finanzieren: das SOS-Kinderdorf.

Der Verein bekam das Haus Anfang 2016 von einer alten Dame vererbt. Erst wurden Pläne bekannt, dass das SOS-Kinderdorf das Haus grundlegend sanieren wolle; dann erhöhte der Verein Anfang des Jahres die Mieten um 15 Prozent, was für sich genommen die Mieter angesichts des niedrigen Ausgangsniveaus von etwa 5,60 Euro pro Quadratmeter inklusive Nebenkosten erst einmal weniger beunruhigte. Doch spätestens seit einem Schreiben von Anfang August, das das SOS-Kinderdorf via Anwalt den Hausbewohnern zukommen ließ, geht die Angst um, vertrieben zu werden. Darin heißt es, dass der Verein darauf verzichten würde, die Modernisierungskosten umzulegen, "wenn alle Mieter des Anwesens Hans-Mielich-Straße 1a in München ihr Einvernehmen" mit den Arbeiten erklären.

Das Wort "alle" wurde explizit unterstrichen. Wäre dieses Einvernehmen nicht möglich, werde sich der Verein "vorbehalten, die (...) Modernisierungsmaßnahmen förmlich anzukündigen, um nach entsprechender Fertigstellung auch von der Möglichkeit der jeweiligen Modernisierungsmieterhöhung Gebrauch zu machen". Laut Maximilian Heisler vom Bündnis bezahlbares Wohnen kann das einen Betrag von 300 Euro monatlich zusätzlich zur Miete ausmachen. Er spricht von "Sippenhaft": "Hier werden Mieter unter Druck gesetzt." Denn ohne die Einwilligung der Betroffenen sei ein derart umfassender Umbau illegal. Das SOS-Kinderdorf betont auf Nachfrage: "Angst ist nicht in unserem Interesse."

Einige Mieter haben sich bereits einen Anwalt gesucht, der Umbau wird im Haus kritisch gesehen. Er bringe wenig außer Lärm und Dreck, heißt es, Balkone und Aufzug seien zu klein geplant und kaum nutzbar. Für letzteren müssen außerdem Toilettenfenster zugemauert werden. In erster Linie fürchten Anwohner aber eine Umwandlung zum Luxusobjekt. Weil in den Streit Anwälte eingeschaltet sind, wollen sie namentlich nicht in der Zeitung genannt werden. Das Wohnen hier, so fürchten sie, könne sich allein bei Ausschöpfung der Mietpreisbremse bald kein alteingesessener Bewohner mehr leisten. Ihren Protest gegen die Luxussanierungen machten Fans während eines Heimspiels des TSV 1860 München deutlich: "SOS! Der Luxus-Sanierer kommt! Giesing bleibt Working Class! Kinderdorf, verpisst euch", war dort auf Transparenten zu lesen.

Dass es mit den niedrigen Mieten nicht ewig so weitergehen würde wie in den Jahren zuvor, war Bewohnern und Nachbarn durchaus klar. Nicht aber, dass sich hier ein fast kurioser Interessenkonflikt entwickeln sollte. Als die betagte Eigentümerin - eine, die zwar keine Sanierungen anging, aber auch die Mieten nicht erhöhte - das Haus dem SOS-Kinderdorf vermacht hatte, betonte der Verein, bestehende Mietverträge blieben unangetastet.

Doch bald ging der gemeinnützige Verein mithilfe eines als Luxussanierer bekannten Immobilienentwicklers selbst für Münchner Verhältnisse ausgesprochen zielstrebig vor, um frei werdende und neue Wohnungen mit maximalem Profit zu vermarkten. Eine ursprünglich für 990 Euro vermietete 131-Quadratmeter-Wohnung brachte die Firma Grosdidier Immobilien nach der Rundumsanierung für 2400 Euro warm an den Mann, nachdem sie sich über die ursprünglich ausgeschriebenen 2830 Euro schrittweise von oben ans Machbare heran getastet hatte.

"SOS-Kinderdorf verhält sich hier wie ein ganz gewöhnlicher Spekulant"

In der damaligen Annonce war der Ausbau des Lifts bereits angekündigt. Zwei weitere frei gewordene und modernisierte Wohnungen à 100 Quadratmeter wurden für 1900 Euro warm vermietet, drei weitere entstehen im ausgebauten Dachgeschoss. Neue Balkone und ein Außenaufzug sollen den Gesamtstandard anheben. "SOS-Kinderdorf verhält sich hier wie ein ganz gewöhnlicher Spekulant", kritisiert Heisler. Die Immobilie solle möglichst viel Ertrag abwerfen - damit mit diesem Geld wiederum anderen Menschen geholfen werden könne.

Um zu verhindern, dass alteingesessene Mieter verdrängt werden, stellt die Erhaltungssatzung Untere Au/Untergiesing genau dieses Vorgehen als "Luxussanierung" unter Genehmigungsvorbehalt und räumt der Stadt ein Vorkaufsrecht ein. Beides greift im Fall der Hans-Mielich-Straße 1 a nicht, da Eigentümerwechsel per Erbschaft der Stadt, anders als Verkäufe, gar nicht erst gemeldet werden müssen. "Zahnloser Tiger" oder "Schall und Rauch" lauten im Viertel noch die harmloseren Kommentare zum Wert dieser Satzung.

Auch wenn sich einige Mietparteien derzeit juristisch beraten lassen, um ihre Zustimmung nicht nachträglich teuer bezahlen zu müssen, rechnet SOS-Kinderdorf-Sprecherin Carolin Mauz damit, alle Unterschriften für den Umbau zu bekommen. Von einem Gespräch wie im nahen Hans-Mielich-Karree ist man aber offenbar weit entfernt. Ein Vorgehen wie dort nämlich wünscht sich Mieteraktivist Heisler: Eine Immobilien-Gesellschaft will eine Anlage mit 260 Wohneinheiten teils abreißen, teils energetisch modernisieren. Die Mieter müssten mit zehn Euro Mieterhöhung pro Quadratmeter rechnen, doch der Investor habe dem Bündnis bezahlbares Wohnen Kompromissbereitschaft signalisiert, so Heisler. Wer sich den Betrag nicht leisten kann, für den finde sich eine Lösung, das habe der Investor zugesagt.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2017/eca
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