Untergiesing:Die Macht der Musik

An der Landesschule für Körperbehinderte können Jugendliche in einer Band spielen, Proben und Auftritte stärken ihr Selbstbewusstsein und bereiten ihnen große Freude. Das Projekt ist aber immer wieder auf Spenden angewiesen

Von Julius Bretzel, Untergiesing

Bass. Trommeln. Elektronische Sounds. Ein immerwährender Puls treibt drei Akkorde an, die in ihrer ständigen Wiederholung das Fundament für einen Song bilden. Dazu die Worte, die ein Junge ins Mikrofon singt, den Blick fest auf den Boden geheftet, schüchtern, dafür konzentriert: "Don't you tell me what you think that I can be. I'm the one at the sail, I'm the master of my sea." Sag mir nicht, was ich deiner Ansicht nach sein kann. Ich bin derjenige am Segel und der Herrscher über mein Meer. Das Lied "Believer" von Imagine Dragons hat die Band der Landesschule für Körperbehinderte selbst ausgewählt. Im Liedtext geht es darum, sich trotz eines schweren Schicksals, trotz des Andersseins nicht unterkriegen zu lassen. "Die Jugendlichen fanden, dass die Thematik des Songs sehr gut zu ihnen passt", sagt Birgit Tröndle-Stahl. Sie leitet die Band der Förderschule gemeinsam mit ihrem Kollegen Markus Zimmermann.

Seit knapp drei Jahren proben sie wöchentlich mit Kindern und Jugendlichen, die körperlich beeinträchtigt sind, unter Autismus oder einer geistigen Behinderung leiden. "Wir haben eine ganz bunte Gruppe", sagt Tröndle-Stahl. "Darunter sind auch Behinderungsbilder, die recht dramatisch sind." Das Ziel des Band-Projekts: jedem Schüler die Möglichkeit zu geben, Musik zu machen, Spaß zu haben und dabei das Selbstbewusstsein zu stärken. Musikalische Unterstützung bekommen sie von den drei Musikern Marja Burchard, Maasl Maier und Wolfi Schlick, die unter anderem in den Münchner Bands Embryo und Express Brass Band spielen.

Bandprobe an der Bayerischen Landesschule für körperlich Beeinträchtigte

Julius gibt den Takt vor: Bei einer Improvisationsübung darf jeder, der sich traut, an der Snare Drum ein kleines Schlagzeug-Solo hinlegen. Bei den Band-Proben werden die Jugendlichen auch von den drei Profis Marja Burchard, Maasl Maier und Wolfi Schlick unterstützt.

(Foto: Florian Peljak)

Auf welche Weise es gelingt, das Selbstvertrauen der Schüler zu festigen, zeigt sich schon in der Probe. Zu Beginn spielt jeder noch für sich, doch bald schon gehen die Schüler aus sich heraus und musikalisch aufeinander ein. Die Köpfe nicken zum Takt, jedes Mitglied hat ein Instrument vor sich oder singt im Chor mit. Der Klang von Xylofon und Glockenspiel erfüllt den Raum. Dazu kommt der eines Schlagzeugs und komplexerer Instrumente wie der eines E-Basses. Manchmal erklingt ein Solo. Dann werden die jungen Musiker leiser. Nur einer von ihnen steht nun ganz im Fokus, drückt in seinem Solo aus, was ihn bewegt. "Da kann man der Kreativität freien Lauf lassen und zeigen, was man drauf hat", erklärt die Schülerin Aurora stolz.

Die Organisation der Band erfordert viel Aufwand und eine besondere Ausstattung. "Jeder Schüler hat nun mal andere Möglichkeiten", sagt Tröndle-Stahl. Die Musiklehrerin und ihr Kollege versuchen, auf jedes Kind so einzugehen, dass es ein passendes Instrument spielen könne. Samuel zum Beispiel, der in einem elektrischen Rollstuhl sitzt, spielt sein Solo auf einem iPad. "Für jemanden mit besonderen motorischen Umständen können wir nicht zu einem Instrument von der Stange greifen, sondern brauchen etwas Spezielles", begründet Zimmermann die technischen Hilfsmittel im Band-Inventar. Wer sich kaum bewegen könne, habe so trotzdem die Möglichkeit, mit wenigen Fingerbewegungen beeindruckende Musik zu zaubern. "Solche teuren Investitionen sind jedoch aus normalen Schulgeldern kaum zu stemmen." Das Projekt ist deshalb immer wieder auf Spenden angewiesen.

Bandprobe an der Bayerischen Landesschule für körperlich Beeinträchtigte

Milena groovt sich ein: Proben sind gut, Auftritte sind besser. Die Band will schließlich zeigen, was sie kann.

(Foto: Florian Peljak)

21 Schüler sind momentan in der Band, geprobt wird getrennt in zwei Gruppen. So schaffen es die Lehrer, gezielter auf die einzelnen Schüler einzugehen. Einmal im Monat kommen alle zusammen. "Dann können wir zu einem gemeinsamen Klangkörper werden", sagt Tröndle-Stahl. Ganz besonders ist das Gemeinschaftsgefühl in der Gruppe während einer Probenwoche vor zwei Jahren gewachsen. Losgelöst vom Schulstress konnten sich die körperlich beeinträchtigten Jugendlichen dem Spaß am Musizieren hingeben und fokussiert an ihrem Programm arbeiten. Die Band war dafür extra ins Schullandheim Wartaweil am Ammersee gefahren. "So etwas ist allerdings wahnsinnig aufwendig, was Pflegepersonal und vor allem Kosten angeht", bedauert Zimmermann. Deshalb gab es keine erneute Probenfahrt. Zu hohe Kosten, zu viel Personalaufwand. Auch wenn sich die Schüler schon lange wieder solche Probentage wünschten. "Das Budget lässt es derzeit einfach nicht zu." Geprobt wird deshalb weiterhin ausschließlich in der Schule in Untergiesing.

Als echte Band wollen die Schüler den Proberaum aber trotzdem verlassen - für richtige Auftritte. Gigs spielen, wahrgenommen werden. Denn das Höchste ist es, vor Publikum zu zeigen, was sie in zahlreichen Proben hart erarbeitet haben. Dazu hatte die Schulband der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte schon mehrmals die Gelegenheit: beim Sommerfest der Schule etwa, in einer Kirche oder bei der Vernissage einer Kunstausstellung. Dann geht es darum, auf den Punkt vorbereitet zu sein und abzuliefern. "Für die Schüler ist es eine super Erfahrung, mal im Mittelpunkt zu stehen und positive Rückmeldung zu bekommen", sagt Zimmermann. Dass sich die Jugendlichen trotz ihrer vielen Probleme auf die Bühne trauten, erfordere erst einmal großen Mut. Ein erfolgreicher Auftritt sei jedoch dann für die Schüler etwas ganz Besonderes. "Danach sind sie immer ganz beseelt."

So können Sie spenden:

Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V.

Stadtsparkasse München

IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00

BIC: SSKMDEMMXXX

www.sz-adventskalender.de

www.facebook.com/szadventskalender

Bis zum nächsten Auftritt werden neue Stücke erarbeitet, umgeschrieben und auf die einzelnen Fähigkeiten der Bandmitglieder hin arrangiert. Wie sehr während der wöchentlichen Proben die Freude an der Musik, am Zusammenspiel und am aufeinander Hören wächst, zeigt sich bei einer Improvisationsübung zum Probenabschluss. In der Mitte des Raumes steht eine Trommel, über das iPad wird ein Rhythmus in Dauerschleife eingespielt. Wer sich dazu bereit fühlt, darf ein Solo spielen. Der Reihe nach treten Schüler und Schülerinnen zur Trommel und zeigen, was sie können. Die Schüler jubeln und lachen, werden von den Rhythmen mitgerissen, bis einige von ihnen schließlich aufstehen und zu tanzen beginnen. Wer dies nicht kann, feiert einfach im Rollstuhl mit. Die Leiter der Schulband haben ihr Ziel schon längst erreicht: Die schweren Schicksale und alltäglichen Probleme der Jugendlichen, ihr Schulstress und die Unsicherheit, all das ist vergessen. Für einen kurzen Moment.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: