Unterbringung von Flüchtlingen:München ist im Not-Not-Not-Modus

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"We do our best", sagt OB Dieter Reiter umringt von Asylsuchenden bei seinem Besuch in der Bayernkaserne. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Zelte als Unterkünfte: In München müssen mehr als 100 Asylbewerber in einem Jugendcamp schlafen. Oberbürgermeister Reiter ist sauer. Doch die bayerische Staatsregierung will von Versäumnissen nichts wissen.

Von Bernd Kastner, München

Hanea will ihren Nachnamen lieber nicht nennen, zur Sicherheit, man weiß ja nie. Ihr Mann und ihre 16-jährige Tochter sind noch in der Heimat, in Syrien. Den Mann haben sie erst vor kurzem wieder freigelassen. Haneas siebenjährige Tochter ist tot, gestorben im Krieg. Die Mutter, 32 Jahre alt, hat es geschafft, sie ist am Donnerstagabend in München eingetroffen. Freimann, Bayernkaserne.

Dort aber war kein Bett mehr frei, jeder Garagenplatz war belegt. Also haben die Behörden Dutzende Flüchtlinge mit Bussen ins Kapuzinerhölzl gefahren, ins internationale Jugendcamp. Um ein Uhr nachts ist Hanea mit dreien ihrer Kinder angekommen, das jüngste eineinhalb Jahre, die anderen 13 und 15. Sie haben Stockbetten in einem der großen Zelte von "The Tent" bezogen. Der Freistaat Bayern muss seine Flüchtlinge jetzt in Zelten unterbringen, auch in München, so weit ist es gekommen.

Es rumort am Donnerstagabend

120 Menschen wurden in der Nacht zu Freitag hierher transportiert. Es muss, so ist zu hören, ein wenig chaotisch gewesen sein, weil der Bezug erst für Freitagabend vorgesehen war, es war viel Improvisation gefragt, und die hat geklappt. Die Regierung von Oberbayern, verantwortlich für die Erstaufnahme neu angekommener Asylsuchender, wollte mit dieser spontanen Verlegung Druck aus der Bayernkaserne nehmen, die mit gut 2300 Flüchtlingen belegt ist. Es hatte rumort am Donnerstagabend, Dutzende Flüchtlinge, viele von ihnen noch ohne Bett, hatten die Heidemannstraße besetzt und gegen ihre Unterbringung protestiert.

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Alles blieb friedlich, aber Regierungspräsident Christoph Hillenbrand und die Polizei hatten gut zu tun, um alles zu organisieren. Am Ende schaffte die Feuerwehr auf die Schnelle Decken ins Kapuzinerhölzl. 60 Betten sind dort noch frei, wahrscheinlich nicht mehr lange. Am kommenden Donnerstag will der Kreisjugendring (KJR), der das Camp betreibt, die drei Zelte abbauen, endgültig. Aber das dachte das KJR-Team auch am vergangenen Montag, gleich nach der Wiesn, bis von der Stadt die Ansage kam: Stopp! Das Lager wurde ganz offiziell als "Not-Not-Not-Kapazität" der Regierung angeboten. Jetzt ist dieser Not-Not-Not-Fall also eingetreten.

Wie im Feriencamp

Wie ein Flüchtlingslager wirkt es nicht, was die Besucher am Freitag nördlich des Botanischen Gartens vorfinden, eher wie ein Feriencamp. Die Sonne scheint, es ist warm, Menschen aus aller Welt spielen zusammen. Die einen Fußball, die anderen Tischtennis oder Beachball, ein kleines Kind, es kann gerade laufen, versucht sich auch an einem Ball. Das Tent-Team hat auf die Schnelle das eigene Material wieder ausgepackt, sie wollten nicht nur Bettgestelle und Matratzen anbieten.

Einer aus dem Team sagt, ihm seien zwischendurch die Tränen gekommen. Tränen ob des Leids, das ins Lager Einzug gehalten hat. Man sieht es den Menschen nicht an, aber man ahnt ihre Geschichten. Die von Hanea ist nur ein Beispiel. Ein Security-Mann, selbst syrischer Kurde, übersetzt aus dem Arabischen. Drei Monate war die Frau mit ihren Kindern auf der Flucht.

300 Asylsuchende sind allein am Donnerstag neu in München angekommen. Maria Els, die Vizepräsidentin der Bezirksregierung, steht jetzt zwischen den Zelten und versucht zu erklären, wohin sie und ihre Leute, die teils bei zur Erschöpfung und darüber hinaus arbeiten, die Flüchtlinge bringen wollen. Sie spricht vom Schulterschluss, dankt Stadt und KJR und Feuerwehr für die Kooperation, sagt, dass sie täglich neue Quartiere zu erschließen suchen.

Aber eine Antwort, wie es weitergehen soll, gibt sie nicht. Niemand hat eine Antwort. Die Flüchtlingspolitik unter Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) läuft schon lange im Not-Not-Not-Modus. Dazu gehören auch ein paar Hotelzimmer, in die die Regierung Familien mit Säugligen oder Schwangere unterbringt. Die Zimmer sind nur ein Tropfen, und der Stein, auf den sie fallen, glüht.

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Von Dominik Hutter

"We do our best"

Am Freitagnachmittag schaut sich die Politprominenz in der Bayernkaserne um, in der Zentrale der oberbayerischen Erstaufnahme, in der weit mehr als 4000 Menschen leben, verteilt auf Dependancen in halb Oberbayern. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist mit hochrangigen Vertretern des Bündnisses für Toleranz gekommen, sie wollen ein Willkommenssignal senden. Sofort ist er von einer Traube Menschen umgeben, sie sehen den großen Mann im dunklen Anzug als Hoffnungsträger. "We do our best", sagt er, und später: "I do my very best." Er kann aber nicht wirklich helfen, nicht bei individuellen Sorgen, und auch nicht, weil die bayerische Asylpolitik ist, wie sie ist.

Reiter ist sauer auf Ministerpräsident Seehofer. "Das nervt mich wirklich", sagt er. "Es kann so nicht mehr weitergehen." Wie lange schon fordere die Stadt, dass schneller mehr Unterkünfte zu schaffen seien. In einem Brief an Seehofer wird Reiter deutlich: Er wolle nicht länger hinnehmen, dass der Freistaat "am laufenden Meter provisorische Notlösungen" für kurze Zeit schaffe. Es brauche endlich einen gesamtbayerischen Krisenstab. Und die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge müssten besser verteilt werden: "München ist nicht mehr in der Lage, für eine ordnungsgemäße Unterbringung und Betreuung zu sorgen."

Unvorhersebar sei das gewesen, sagt Spaenle

Je länger Reiter in der Kaserne zuhört, je intensiver ihn die Flüchtlinge bedrängen, desto wütender scheint er zu werden - auf die bayerische Staatsregierung. Von der sind zwei Minister da, Emilia Müller (Soziales) und Ludwig Spaenle (Kultus). Versäumnisse? Ach was. Vorreiter sei Bayern bei den Sprachkursen, lobt sich Spaenle. Und Müller sagt, dass der Bund endlich mehr tun müsse, für die unbegleiteten Minderjährigen vor allem. Und Bayern? Dass jetzt so viele Flüchtlinge kommen angesichts der Kriege, "das weiß doch keiner", sagt Müller. Spaenle assistiert: Unvorhersehbar sei das gewesen.

Im Kapuzinerhölzl richten sich die Menschen derweil vorübergehend in den großen Zelten ein. "Socken. Irgendjemand wollte doch Socken." Die junge Frau aus dem Tent-Team hat eine große Tüte in der Hand, gefüllt mit Socken. Selbst gestrickt und warm, nicht gebraucht, sondern ganz neu. Gleich kommen ein paar neue Campbewohner und greifen zu. Eine Nachbarin, erzählt die junge Frau im roten Shirt, hat die Tüte am Morgen abgegeben, sie hatte gehört, dass Flüchtlinge gekommen sind. Kinderpullis sind auch in der Tüte, ebenfalls selbst gestrickt und mit Bären vorne drauf. Auch das ist ein Signal, wie der Politikerbesuch in der Bayernkaserne. Ein Signal aus der Münchner Bevölkerung, wie es derzeit viele gibt: Wir wollen helfen, heißt es.

© SZ vom 11.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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