Süddeutsche Zeitung

Universität:Platznot in der Bibliothek: LMU öffnet Mensa zum Lernen

  • Zum Ende der Hochschulsemester, während der Prüfungsphase, sind die Münchner Bibliotheken oft überfüllt.
  • Die LMU hat nun die Mensa an der Leopoldstraße zum Lernen geöffnet. Das bringt etwa 600 zusätzliche Plätze.
  • Auch an der TU herrscht Platzmangel. In einigen Bibliotheken wird um die Tische offenbar regelrecht gekämpft.

Von Toni Wölfl

Die ersten Studierenden kommen um halb acht Uhr morgens, und selbst das ist nicht immer früh genug. "Wir mussten heute 20 Leute abweisen," sagt Natalie Hartl. Die Wissenschaftlerin sitzt an der Theke des Historicums an der Schellingstraße, der größten Teilbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Hier gibt es 316 Plätze zum Lernen, doch es sind zu wenige. "Es ist zu voll, es jammern alle", sagt Hartl. Und das Historicum ist nicht allein: Die Münchner Bibliotheken leiden unter Platznot, gerade jetzt, in der Prüfungszeit vor dem Semesterende. Und Bibliothekare berichten, es werde immer enger.

Beispiel LMU: Münchens größte Uni bietet 3013 Bibliotheksplätze an - bei etwa 52 000 Studierenden, Tendenz steigend, die sich immer häufiger zum Lernen in die Bibliothek zurückziehen. Dort ist es ruhiger, es gibt weniger Ablenkung. Um die Kapazitäten besser zu nutzen, gibt es einen Online-Platzfinder, der freie Plätze anzeigen soll.

Doch da ist viel rot, wenig grün. Immerhin ist Besserung in Sicht. "Mit dem Philologicum, das derzeit an der Ludwigstraße gebaut wird, kommen 700 Plätze hinzu", sagt LMU-Sprecherin Katrin Gröschel. Die neue Bibliothek soll Ende 2018 fertig sein. Und jetzt gehen LMU und Studentenwerk neue Wege: Nun steht auch die Mensa an der Leopoldstraße zum Lernen offen. Das bringe 600 Plätze, sagt Debora Schmidt vom Studentenwerk. Bis 16 Uhr wird gegessen, bis 22 Uhr können die Studenten dann lernen.

Es ist Dienstag, 16 Uhr: Noch ist nicht viel los hier, manche Studenten essen noch Pasta oder Quarkkartoffeln, andere brüten schon hinter Bücherstapeln. So wie Julia, Aga und Anna, Kommunikationswissenschaftlerinnen im dritten Semester. "Für Gruppenarbeit ist es hier ideal, weil man sich unterhalten darf. Und wir müssen unsere Taschen nicht abgeben." Dass nur wenige Studenten da sind, finden sie gut. "Hat sich wohl noch nicht rumgesprochen." Das heißt für sie: mehr Platz.

Ganz anders ist es am Historicum. Wer hier rein will, braucht eine der abgezählten Zugangskarten. Mit denen werde geradezu gedealt, sagen Studenten. Manchmal würden die Karten unter den Notausgängen nach draußen geschoben - oder einer verlasse die Bibliothek mit zwei Karten, der eigenen und der eines anderen, und gebe diese dann draußen an Freunde weiter.

Grund für die Platznot sei auch die Bologna-Reform, meint Constanze Wegener von der theologischen Fachbibliothek der LMU. "Die Prüfungsphase hat sich verändert. Früher kamen alle zur selben Zeit, danach fiel es schlagartig ab. Die Zeiten, in denen wir in den Osterferien eine Woche zusperren konnten, sind vorbei. Durch Bologna und Bachelor schreiben die Studenten auch in den Ferien viele Arbeiten." Leere oder voll besetzte Räume waren gestern, mittlerweile seien die Bibliotheken "voll oder besonders voll".

An der Technischen Universität (TU) ist das nicht anders: Die 504 Plätze in der Hauptbibliothek am Stammgelände seien zur Zeit alle vergeben, sagt Christoph Mitscherling, Leiter der Benutzungsabteilung. Die Bibliothek baut um: "Der Trend geht zu weniger Regalen und mehr Arbeitsplätzen." Und die Studenten suchen nicht nur in den eigenen Unis nach Platz. "Wir merken, dass wir viele Juristen der LMU bei uns haben", sagt Mitscherling.

Umgekehrt suchen TU-Ingenieure Unterschlupf in Bibliotheken der LMU, etwa bei den Germanisten an der Schellingstraße 3. "In den letzten Jahren wurden wir immer mehr zum Geheimtipp", sagt die Hilfskraft Alex Schmidt. "Ab 25 Benutzern lassen wir keine Fachfremden mehr rein", erklärt seine Kollegin Tatiana Khalyako von der Anglistik-Bibliothek ein Stockwerk tiefer.

In den Bibliotheken wird um die Tische dann offenbar regelrecht gekämpft. Und dabei mischen auch die Professoren mit: Neulich sei sie einmal kurz am Spind gewesen, erzählt eine Studentin im Historicum der LMU. Als sie zurückkam, saß ein Professor auf ihrem Platz. Der hatte ihre Sachen einfach weggeräumt und sich hingesetzt.

"Am Wochenende war's so schlimm wie noch nie, da musste man seinen Platz richtig verteidigen", sagt Franziska Prokopetz; die 20-Jährige studiert "Naher und Mittlerer Osten" an der LMU und lernt gerne in der Bayerischen Staatsbibliothek. Dort warten morgens manchmal 60 Menschen vor der Pforte, um einen der 636 Arbeitsplätze zu reservieren - auch wenn nicht alle die ganze Zeit über dort arbeiten wollen, sagt Stabi-Sprecherin Sabine Gottstein: Plätze werden blockiert, bleiben aber leer.

Die Stabi wehrt sich dagegen, und nicht nur sie. In mehreren Bibliotheken müssen Studenten mittlerweile eine Parkscheibe aufstellen, wenn sie Pause machen wollen; nach einer Stunde ist der Platz weg. Die Stabi setzt auf ein ähnliches Konzept: Wenn jemand länger fort ist, legen die Mitarbeiter eine gelbe Karte auf seinen Platz. Liegt die nach einer Stunde immer noch da, folgt die rote Karte, und der Platz wird geräumt.

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SZ vom 08.02.2017/bhi
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