Universität:Mehr Chance als Risiko

Universität: Vergil Mavrodiev hat in Sofia ein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,0 hingelegt, was ihm den Weg nach München ebnete. Er spricht perfekt Deutsch und will eigentlich auch nicht mehr zurück in seine Heimat.

Vergil Mavrodiev hat in Sofia ein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,0 hingelegt, was ihm den Weg nach München ebnete. Er spricht perfekt Deutsch und will eigentlich auch nicht mehr zurück in seine Heimat.

(Foto: Stephan Rumpf)

Bulgarien ist klein, trotzdem kommen von dort so viele Studenten an die LMU wie aus kaum einem anderen Land. Sie leben gerne in München - es gibt aber auch Probleme

Von Viktoria Spinrad

Wer an Bulgarien denkt, denkt an Armut, Tagelöhner, vielleicht noch an billigen Urlaub am Schwarzen Meer. Dass Bulgarien auch ein Land des "Brain Drain" ist, aus dem durch die Abwanderung von Leistungsträgern besonders viele der Münchner Studenten der Medizin, Informatik und BWL kommen - daran denken wohl die wenigsten. Dabei sind Studierende aus dem kleinen Balkanland die viertgrößte ausländische Studentengruppe an der LMU - hinter Studenten aus Österreich, China und Italien. "Bulgaren sind bei uns schon immer eine starke Gruppe gewesen", sagt Stefan Lauterbach, Leiter des Referats für internationale Angelegenheiten an der LMU. "München ist mein neues zu Hause", sagt zum Beispiel Vergil Mavrodiev (21) aus Sofia. Im vierten Semester studiert er in seiner neuen Heimat Medizin. Um an einer der selektivsten Universitäten des Landes überhaupt zugelassen zu werden, brauchte er wie seine Kommilitonen den perfekten Notenschnitt von umgerechnet 1,0.

Den konnte er vorweisen. Das Konstantin-Galabov-Gymnasium, eine Traditionsschule, von der Mavrodiev von der Hauptstadt Sofia nach München gekommen ist, gilt als eines der besten Gymnasien des Landes. Jedes Jahr bewerben sich rund 2500 Schüler, diejenigen, die es dann noch in die Leistungsklassen schaffen, pauken von der achten Klasse an wöchentlich 20 Unterrichtsstunden auf Deutsch. "Nach einem Jahr sprechen sie die Sprache", sagt Beate Bergmann, Leiterin der Deutschen Abteilung des Galabov-Gymnasiums, in der Oberstufe lesen die Schüler Goethe und Schiller. Wie kommt es, dass viele öffentliche Schulen in einem Land an der Peripherie Europas ihre Schüler so gezielt auf das Studium an einer deutschen Hochschule vorbereiten? "Bulgarien ist ein kleines Land", sagt Bergmann, "die relativ wenigen Bewohner waren schon immer auf Fremdsprachen angewiesen". Früher brachte ein Donaudampfer Bulgaren, die es ins Ausland zog, nach Wien, nach der Wende seien auch mehr englische Sprachschulen entstanden.

Vergil Mavrodiev weiß auch, wie es ist, in Bulgarien zu studieren. Nach dem Abitur verbrachte er ein Jahr an der Universität in Sofia, ebenfalls mit Medizin. "Der größte Unterschied ist das Geld", sagt er. Nur ein leicht rollendes "r" erinnert daran, dass er kein deutscher Muttersprachler ist. Den Unterricht in Sofia habe er auch angemessen gefunden, aber an der LMU seien Betreuung und die Ausstattung viel besser, "vor allem in der Anatomie". Unbedingt weg aus seinem Heimatland habe auch er nicht gewollt - wohl aber seine Chance nutzen, in Deutschland praktizieren zu können. "Keiner will unbedingt weg", sagt er, auch in Bulgarien könne man gut leben. Bulgarische Kultur vermisse er nur bedingt, sagt er, gelegentlich schicken Mavrodievs Großeltern ein Paket mit Leckereien vom Balkan, Lutenitza, eine Art Püree aus Paprika und Tomaten, sowie bulgarischer Käse und Salami.

Man fragt sich, wie junge Menschen aus dem ärmsten EU-Land es schaffen, das Leben in einer der teuersten Städte der Welt zu stemmen. Mavrodiev verweist auf die niedrigen Semesterbeiträge: "Hier zahle ich insgesamt kaum mehr, als ich in Sofia zahlen musste". Er wohnt günstig, denn er kam nach bürokratischem Hin und Her im Studentenwohnheim nahe dem Klinikum Großhadern unter. Andere aufstrebende Bulgaren sind auch schon trotz Zusage für einen Studienplatz zurückgekehrt, nachdem sie kein bezahlbares Zimmer finden konnten. Und noch etwas ermögliche sein Studium an der LMU: "Hier kannst du immer etwas Arbeit für nebenher finden", in Bulgarien gebe es derweil kaum studentische Nebenjobs. München, Stadt der Möglichkeiten. Mavrodiev jobbt auf Großveranstaltungen, nach dem ersten Staatsexamen will er dann medizinische Sprechstunden an der Uni geben.

München kannte Mavrodiev schon von einem Schüleraustausch. "Die Stadt hat mir auf Anhieb gefallen", erinnert er sich. Seine Lieblingsorte in der Umgebung sind der Olympiapark und der Chiemsee. Auch die bayrische Kultur mit den vielen Bierfesten gefalle ihm, sagt er schmunzelnd. "Außerdem sind die Deutschen gar nicht so verschlossen, wie ich erwartet hatte." Sein gesprochenes Deutsch verbesserte er in den ersten Semestern während der Leichensezierungen, "im Anatomiekurs muss man einfach viel sprechen". Ressentiments wegen seiner Herkunft habe er bisher keine erfahren. "Im Gegenteil, meine Kommilitonen haben mich unterstützt." Nichtsdestotrotz stimmt ihn der Ruf seines Landes in Deutschland unzufrieden. "Die Mehrheit der Bulgaren hier sind leider ohne Bildung, mit dem Berliner U-Bahn-Treter kam wieder schlechte Stimmung gegen Bulgaren auf", moniert er.

Wie typisch sind die Eindrücke und der Weg Mavrodievs für bulgarische Studierende in München? Irena Galabova aus Sofia kann das gut erklären, sie lebt seit 2004 in München, hat hier studiert und arbeitet seit ihren Abschlüssen in Kommunikationswissenschaft und Soziologie an der LMU im Produktmanagement. "Das bulgarische Schulsystem ist viel durchlässiger als das Deutsche", berichtet die 29-Jährige. Diejenigen, die es auf die Sprachgymnasien schaffen, kämen aus allen gesellschaftlichen Schichten, "manche sind gut situiert, manche kommen aus Arbeiterfamilien". Im Hinblick auf ihre Zukunft im Ausland informierten sich die Schüler an den deutschen Sprachgymnasien sehr genau, "der Informationsfluss zwischen ehemaligen und angehenden Studenten in Deutschland funktioniert sehr gut." Wenn sie ihr Heimatland erst mal verlassen haben, merkten die Studenten dann: "Es ist doch kein Hexenwerk, im Ausland zu leben."

Sie selber sei ebenfalls vernarrt in München, "selten habe ich so ein warmes Gefühl gegenüber einer Stadt gehabt". Selbst als ihre Beziehung nach acht Jahren in die Brüche ging, entschied sie sich hier zu bleiben, der Lebensqualität wegen. In den letzten Jahren habe sie aber einen Unterschied in der Atmosphäre bemerkt: "Bis 2015 hat mir Deutschland Toleranz beigebracht", seit der Flüchtlingsdebatte fühle sie in ihrem Alltag in München mehr Feindseligkeit. "Lernen Sie erst mal Deutsch", habe eine Frau vor einem Jahr zu ihr gesagt, der sie auf einem Fahrradweg wohl im Weg stand. "Zu Beginn meines Studiums in München hatte ich völlig ausgeschlossen, jemals zurückzugehen", erzählt sie. Begegnungen wie diese hätten ihr Grundgefühl verändert, eine Rückkehr schließt sie jetzt langfristig nicht mehr aus.

Mavrodiev steht noch am Anfang. Bald hat er sein erstes Staatsexamen, er sitzt viel in der Bibliothek, um zu lernen. Ein bulgarischer Kommilitone hat eine Prüfung erst im dritten Anlauf geschafft und ist damit knapp an einer Exmatrikulation vorbeigeschrammt. Ob er nach seinem Abschluss eine Rückkehr nach Bulgarien plane? "Das wäre nicht so schlau", sagt Mavrodiev. Ein Arzt in Bulgarien verdient etwa 900 Euro im Monat. "Ich will schon hierbleiben - am liebsten auch gleich in München". Es gibt keine verlässlichen Zahlen dazu, wie viele der Bulgaren, die in München studieren, auch hier bleiben. "Informatiker kommen wieder verstärkt aus Deutschland zurück", sagt Beate Bergmann von der Schule in Sofia. Insgesamt ist das kleine Land aber in den letzten 30 Jahren von fast neun Millionen auf knapp mehr als sieben Millionen Einwohner geschrumpft. Mavrodiev zuckt mit den Schultern. "Die Probleme mit der Korruption hören nicht auf", sagt er. Nichts verändere sich im Land, der Fortschritt sei viel zu langsam. "Klar würden wir bulgarische Absolventen zu Hause gebraucht", sagt Mavrodiev. "Aber hier eben auch."

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